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„Essen wird genutzt, um zu polarisieren“

Die politischen Debatten übers Essen hängen ihr „zum Halse raus“, sagt Tina Andres vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Die Biobranche trifft sich ab Dienstag zur weltgrößten Naturkost­messe Biofach – ausgerechnet in Markus Söders Wahlkreis Nürnberg

Ob Markus Söder bei der Biofach vorbeischaut und mal was Neues probiert? Die größte Naturkostmesse der Welt läuft nächste Woche in Nürnberg Foto: Peter Kneffel/dpa

Interview Hanna Gersmann

taz: Frau Andres, Markus Söder, CSU, gibt sich gern als Fleischliebhaber, unter dem Hashtag #söderisst postete er erst vor Kurzem zum Beispiel, wie er ganz genüsslich in eine Bratwurst beißt. Wie ist Ihr Eindruck?

Tina Andres: Ich esse selbst gern Fleisch. Ab und zu ein gutes Stück Fleisch zu essen ist kein Problem. Aber Söder will ja zeigen, dass er sich nicht reinregieren lässt in den Kochtopf, in sein Gericht auf dem Teller. Das ist albern. Denn es ist keine Rede davon, dass Fleischessen verboten werden soll. Essen wird genutzt, um zu polarisieren. Das braucht die Gesellschaft gar nicht.

taz: Söder hat sehr viele Follower in den sozialen Medien …

Andres: Aber würden alle nur in der Kategorie Die-Wurst-ist-mein-Hoheitsgebiet denken, wäre doch nicht so viel in Bewegung! Die Ernährungswelt ist schon viel differenzierter als die politische Diskussion, die uns derzeit um die Ohren gehauen wird. Sie ermüdet, hängt mir zum Halse raus. Und bestimmt nicht nur mir, sondern vielen anderen auch.

taz: Die Menschen kaufen schon jetzt anders ein als früher?

Andres: In die fünf Biosupermärkte, die ich leite, kommen immer mehr ältere Menschen, die fragen: Meine Enkeltochter kommt zu Besuch, die ist vegan, was koche ich denn? Ich würde mir wünschen, dass wir mehr darüber reden, was diese Veränderungen von Ernährungsgewohnheiten auch bringen, zum Beispiel aus volkswirtschaftlicher Sicht.

taz: Welche Wirkungen erzielen mehr oder weniger nachhaltige Ernährungsgewohnheiten?

Andres: Klimaschutz, Artenvielfalt. 45 Prozent des globalen Artensterbens gehen zum Beispiel auf die derzeitige Ernährungswirtschaft zurück. Die deutsche Landwirtschaft verursacht Kosten in Höhe von 90 Milliarden Euro pro Jahr, weil sie das Klima anheizt, die Böden und das Grundwasser belastet und am Ende der menschlichen Gesundheit zu schaffen macht. Zusätzliche 300 Millionen Euro müssen jeden Tag aufgebracht werden, um ernährungsbedingte Krankheiten zu behandeln, Herzkreislaufprobleme, Diabetes, Unverträglichkeiten. Das ist ökonomischer Wahnsinn. Wir haben es mindestens dreimal am Tag in der Hand, dies zu ändern, beim Frühstück, Mittagessen, Abendbrot.

taz: Gibt es eine deutsche Esskultur?

Andres: Mit Sicherheit, aber im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern gehen wir sehr sorglos mit unserer Essensqualität um. Italiener oder Franzosen legen sehr viel mehr Wert auf gute Zutaten und deren Zubereitung. Sie zahlen dafür auch viel mehr. Wir haben es verlernt, dass Lebensmittel einen Wert haben. Wir müssen uns darauf aber wieder besinnen.

taz: Nicht einfach, kaum steigt der Butterpreis, beschäftigt das die ganze Republik.

Andres: Die Deutschen halten sich wirklich stark mit den Lebensmittelpreisen auf, weil wir es geschafft haben, sie in den vergangenen Jahrzehnten zu Dumpingpreisen zu degradieren. Nirgendwo sonst regt man sich so sehr über Butterpreise auf, die ja nicht einmal kostendeckend für die Erzeuger sind, zumindest nicht für die Biobauern. Selbst Menschen, die keine finanziellen Sorgen haben, tun es. Als mit dem Ukrainekrieg die Inflationsangst wieder aufkam, haben die Menschen hierzulande zuallererst an Lebensmitteln gespart. Sich an ihnen gesundzusparen, das ist allerdings verdammt schwierig. Ihr Konsum macht nur wenig an den Gesamtausgaben der Haushalte aus.

taz: 14,8 Prozent waren es im Jahr 2023 im Schnitt, 1950 noch 44 Prozent – das ist keine gute Entwicklung?

Andres: Das ist so wenig wie in kaum einem anderen EU-Land. Wenn man sich gleichzeitig noch anschaut, wie viel teurer Urlaubsreisen geworden sind – Österreich hat Rekordbuchungen bei deutschen Touristen bei saftig gestiegenen Preisen. Es regt sich auch keiner über die gestiegenen Kosten für einen Flug nach Barbados auf.

Foto: Foto:Maurice Weiss

Tina Andres, 54, ist Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Als geschäftsführende Vorständin leitet sie die Lü­becker Landwege Genossenschaft, einen Zusammenschluss von Bioerzeugern und -händlern.

taz: Es gibt Leute, die sich am Monatsende nur noch Toastbrot leisten können …

Andres: Das gehört sich in einem immer noch wohlhabenden Land wie Deutschland nicht und muss dringend geklärt werden. Gute Ernährung steht allen zu, sie ist ein Menschenrecht. Wir haben zudem einen eklatanten Fachkräftemangel und eine enorm hohe Krankenquote. Wir dürfen es uns – kühl volkswirtschaftlich betrachtet – überhaupt nicht leisten, dass sich Menschen schlecht ernähren.

taz: Wie muss Politik gegensteuern?

Andres: Bisher gibt es nicht einmal in der Ausbildung der Ärzte das Thema Ernährungsmedizin. Außerdem ist die Ernährung in Kitas, in Schulen, auch in Krankenhäusern bodenlos schlecht. Das machen andere besser. Dänemark zum Beispiel, Kopenhagen besonders. Dort ist die Versorgung in öffentlichen Küchen zu 90 Prozent auf Bio umgestellt, es gibt weniger Fleisch, mehr Gemüse. Das ist auch gar nicht viel teurer.

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