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„Mir fehlt die Perspektive Pro-Mensch“

Die Berlinerin Vered Berman ist Mitbegründerin eines Vereins, der Friedensarbeit in Israel/Palästina unterstützt. Ihre Mutter ist bei einem Anschlag in Jerusalem ums Leben gekommen. Für sie ist klar: Um zu Frieden zu kommen, braucht es andere Erzählungen. Und mehr Geld

Protokoll Uta Schleiermacher

Aufgewachsen bin ich in Westjerusalem, seit 22 Jahren lebe ich in Berlin. In Israel/Palästina bin ich Mitglied im Parents Circle Families Forum (PCFF), das ist eine Gruppe von etwa 800 Familien, in denen ein Familienmitglied dem Konflikt zum Opfer gefallen ist. Bei mir ist es meine Mutter. Sie ist bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen.

Wir sind israelische und palästinensische Familien, die sagen: Das Blutvergießen muss aufhören. Wir haben etwas besseres verdient. Denn wir wollen keine neuen Mitglieder in unserem Verein. Nicht, weil wir dagegen sind, dass mehr Menschen für den Frieden kämpfen. Sondern weil wir nicht wollen, dass noch mehr Menschen jemanden verlieren.

Ich glaube an den Frieden. Ganz fest. Dass Frieden machbar ist. Frieden ist eine Entscheidung, Frieden ist etwas, das Menschen machen. Am Ende von Konflikten passiert es immer genau so: Politiker treffen sich und unterschreiben ein Abkommen, und damit hören die Kämpfe auf. Das wünsche ich mir auch für Israel/Palästina.

Unsere Gruppe gibt es seit 30 Jahren. Ich bin seit dem Sommer 2023 Mitglied, und seit Dezember 2024 bin ich hier von Berlin aus Mitbegründerin von dem Unterstützerverein Parents Circle Friends Deutschland, weil ich die Arbeit von PCFF so wichtig finde. Wir wollen deren Botschaft auch hier verbreiten und dafür werben.

Aktuell bereiten wir eine Aktions­woche vor: Zwei Sprecher von PCFF kommen hierher, mit ihnen machen wir mehrere Dialogtreffen in Berlin und Potsdam (siehe Kasten). Die Treffen machen sie so auch in Israel/Palästina: Es sind immer zwei Personen, eine mit palästinensischem Hintergrund, eine mit israelischem Hintergrund.

Und dann erzählt jeder erst mal seine eigene Verlustgeschichte. Und wie sie dazu gekommen sind, gerade in so einer Gruppe aktiv zu sein. Yuval Rahamim zum Beispiel hat seinen Vater verloren, als er acht Jahre alt war. Als Kind und Jugendlicher hatte er lange Rachefantasien. Heute sagt er: Das ist unsere Stärke, wie wir von Rache zu Friedensarbeit gekommen sind.

Erst dachte ich: Habe ich dann gar keine Stärke? Denn ich hatte nie dieses Bedürfnis nach Rache. Heute weiß ich: Auch Menschen, die schon immer Frieden wollten, haben eine starke Botschaft. Ich habe meine Mama verloren. Das hätte nicht passieren dürfen, und vor allem nicht in irgendjemandes Namen.

Es gibt auch die Organisation Lo Lashav, übersetzt heißt das „Nicht umsonst“. Das sind Familien von Terroropfern oder gefallenen Soldat*innen, die sich für Frieden einsetzen, weil sie sagen, ihr Kind ist dann nicht umsonst gestorben. Das verstehe ich emotional. Aber für mich ist klar: Meine Mutter ist absolut umsonst gestorben. Ihr Tod hat Israel nicht sicherer gemacht und Palästina nicht freier. Meine Verantwortung ist, dazu beizutragen, dass das Töten aufhört. Denn noch passiert es täglich. Seit Sonntag mit dem Waffenstillstand hoffentlich nicht mehr, aber …

Ich habe mit 16 Jahren angefangen, mich für den Frieden zu engagieren. Ich war Friedensaktivistin in einer Gruppe, die in der Westbank Medizinzentren mit aufgebaut hat, wenn etwa neue Checkpoints Menschen den direkten Zugang zu Krankenhäusern versperrt haben. Oder wir haben Olivenbäume neu gepflanzt, wenn Siedler oder die Armee Haine zerstört haben.

Dann habe ich den Militärdienst verweigert. Das war ein großer Kampf mit meiner Mama, der größte Streit, den wir je hatten. Sie meinte, wir müssen alle der Gesellschaft etwas zurückgeben, und wir könnten sie nur von innen verändern. Sie hätte es lieber gesehen, wenn ich zur Armee gehe.

Nach meinem Zivildienst bin ich mit 19 aus Israel weggegangen und als Au-pair in Berlin gelandet. Es war 2003, die Zeit der zweiten Intifada. Mir war die Gesellschaft in Israel zu militarisiert und auch zu macho-sexistisch. Ich habe etwas anderes gesucht.

Ich war neun Monate weg von zu Hause, da gab es in Jerusalem ein Attentat auf einen Bus. Ich habe es in den Nachrichten gesehen. Wir hatten damals ein Handy für die ganze Familie. Am Nachmittag, gegen 17 Uhr, habe ich das Handy angerufen, und meine Schwester hat mir gesagt: Es ist alles okay. Ich weiß noch, dass ich mir Vorwürfe gemacht habe, ob ich überhaupt anrufen soll, weil der Anruf so teuer war.

Vered Berman

ist in West-Jerusalem aufgewachsen und lebt seit 22 Jahren in Berlin. Sie ist Sozialarbeiterin, Sozialwissenschaftlerin, Lehrbeauftragte an der Alice-Salomon-Hochschule und Kinderbuchautorin. Im Jahr 2003 verlor Berman ihre Mutter bei einem Selbstmordattentat der Hamas. Seit 2023 ist sie Mitglied des Parents Circle – Families Forum (PCFF). Im vergangenen Jahr hat sie in Berlin den Verein Parents Circle – Friends Deutschland mitgegründet. (usch)

Meine Mutter war unterwegs, aber meine Familie hat sie erst nicht mit dem Attentat in Verbindung gebracht. Es gab keinen Grund, warum sie im Bus sein sollte, normalerweise wäre sie gelaufen. Wir wissen bis heute nicht, warum sie im Bus war. Als sie dann nicht zurückkam, haben sie sich das erst damit erklärt, dass viel los ist nach dem Anschlag, dass sie vielleicht nicht durchkommt. Ich bin in Berlin entspannt ins Bett gegangen. Ich hatte auch noch eine Nachricht von einem Freund gelesen, er war in dem Bus und hatte einen Splitter in die Schulter bekommen, aber es ging ihm gut.

Als meine Mutter dann auch spätabends noch nicht zurück war, haben mein Papa und meine Schwester die Krankenhäuser abtelefoniert und auf den Straßen nach ihr gesucht. Dann kam ein Anruf: Es gab eine unidentifizierte Leiche, sie sollten kommen. Um drei Uhr morgens hat mich meine Schwester dann angerufen: „Mama ist beim Attentat ums Leben gekommen.“

Es gab damals nur zwei Flüge pro Woche nach Israel, einer ging zufällig am nächsten Morgen, am 11. Juni 2003. Der Vater meiner Au-pair-Familie hat mich zum Flughafen gebracht, und ich bin nach Israel geflogen, um meine Mutter zu begraben. Mit 19.

Meine Mutter war 50, als sie gestorben ist. Wir hatten eine gute Beziehung, aber ich vermisse, dass wir nie eine Erwachsenenbeziehung hatten. Ich habe drei Kinder, und ich hatte vier Geburten. Und es ist egal, wie lange das her ist: Dass sie nicht dabei sein konnte, das ist einfach ungerecht.

Dass ihr Tod so brutal und plötzlich kam, hat dazu geführt, dass ich lange nicht verstanden habe, was passiert ist, und lange gebraucht habe, bis ich Trauer erleben konnte. Ein paar Jahre später habe ich das Buch „Die Asche meiner Mutter“ gelesen. Über einen Mann, der seine schwerkranke, im Sterben liegende Mutter pflegt. Ich weiß noch: Ich war so neidisch auf ihn. Ich war neidisch auf das Privileg, sich verabschieden zu können.

taz themenwoche frieden und krieg

Der Krieg ist zurück im Alltag Europas. Die Welt wird neu sortiert und Deutschland sucht darin seine Position. Die taz beobachtet die Kämpfe. Alle Texte zum Thema finden Sie hier:

Ich war schon vorher Friedensaktivistin. Der Unterschied ist, dass ich jetzt aus meinen Erfahrungen, in meinem Körper weiß, was dieser Krieg bedeutet. Das weiß ich viel zu genau.

Es ist nicht einfach, in Israel für den Frieden zu kämpfen. In unserem Unterstützerverein machen wir neben der inhaltlichen Arbeit auch Fundraising, um den Verein in Israel/Palästina auch finanziell zu unterstützen. Denn: Frieden kostet Geld. Wir wissen aus Irland, dass die internationale Gemeinschaft vor dem Karfreitagsabkommen rund 44 Dollar pro Jahr und pro Kopf für Friedensorganisationen ausgegeben hat. In Israel/Palästina sind es derzeit nur 1,50 Dollar.

PCFF geht in Israel viel in Schulen, in die elften Klassen. Das sind Jugendliche kurz vor ihrem Militärdienst. Oft ist die Person aus unseren Duos die erste palästinensische Person, die sie in ihrem Leben treffen. Ganz oft kommt die Frage: „Warum macht ihr das mit Palästinensern zusammen? Wie geht das, wie könnt ihr das, mit ihnen reden, nach dem, was passiert ist?“

Dialog für Frieden

Der Verein Im Parents Circle – Families Forum (PCFF), heute auch Israeli Palestinian Bereaved Families for Peace genannt, kommen israelische und palästinensische Familien zusammen, die durch Gewalt nahe Angehörige verloren haben. Dem Verein, 1995 gegründet, gehören mittlerweile rund 800 Familien an. Trotz ihres tragischen Verlustes setzen sie sich für Dialog ein. Sie wollen nach eigener Aussage ihren Schmerz in Hoffnung verwandeln und ein friedliches Zusammenleben praktizieren. Seit Dezember gibt es dafür einen Unterstützungsverein in Deutschland, den Parents Circle Friends Deutschland e. V.

PCFF in Berlin In der kommenden Woche kommen zwei Mitglieder von PCFF aus Israel und Palästina nach Berlin und Potsdam. Yuval Rahamim und Wajih Tmaiza Fawzeya werden in einem in dem Verein etablierten Dialogformat ihre Geschichten erzählen und in den Austausch mit dem Publikum gehen.

Dialogformat Die Idee ist, dass jeweils eine Person mit israelischem und eine mit palästinensischem Hintergrund gemeinsam auftreten. Beide haben ein oder mehrere Familienmitglieder im Konflikt gewaltsam verloren.

Termine Eine Veranstaltung für Schüler*innen der Oberstufen findet am Dienstag, den 28. Januar von 9 bis 1.:30 Uhr statt, der Vortrag um 19 Uhr ist offen für alle. Ort: Katholische Akademie, Hannoversche Straße in Mitte. Weitere Termine: Mittwoch, 29. Januar 19 Uhr im Einstein-Forum in Potsdam; Donnerstag, 30. Januar um 14 Uhr im Audimax der Alice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf. Mehr Infos auf https://parentscirclefriends.de/ (usch)

Der Verein setzt sich für eine andere Erzählung ein. Wir wollen uns gegenseitig zuhören. Wir wissen: Mein Schmerz ist genauso wie dein Schmerz. Menschen sollten frei und friedlich leben können. Das ist es, was Menschen sich im Grunde wünschen und was sie brauchen.

Ich denke, dass ich auch aus Berlin etwas bewirken und beitragen kann. Berlin ist als Stadt so unglaublich divers, und hier leben viele, die auch vom Konflikt betroffen sind. Ich habe viele israelische Freunde mit Kindern, für die es eine große Frage ist, wie offen sie mit ihrer jüdischen Identität umgehen können, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Genauso ergeht es Familien, Kindern und Jugendlichen mit palästinensischer Identität. Antisemitismus ist stark angestiegen, antimuslimischer Rassismus, vor allem antipalästinensischer Rassismus nimmt auch zu. Das Sprechen über den Konflikt und die Ansichten sind hier unglaublich polarisiert.

Für die Arbeit in Berlin ist es meine Hoffnung, jemanden zu finden, der hier mit mir solche PCFF-Dialogtreffen machen könnte. Also eine Person, die jemanden im Konflikt verloren hat und die offen ist für Friedensarbeit. Und die auch für ein anderes Narrativ wirbt. Jemand, der oder die mit mir zusammen zeigen will: Es geht auch ganz anders. Es geht nicht um pro Israel oder pro Palästina. Es geht um pro Mensch. Diese Perspektive fehlt mir komplett.

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