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Ein Institut probt den Aufstand

Was passiert, wenn chronisch überlastete wissenschaftliche Mit­ar­bei­te­r:in­nen einen Teil ihrer Arbeit nicht mehr erledigen? An der Universität Göttingen wird ab Freitag gestreikt – damit das Präsidium endlich für bessere Arbeitsbedingungen sorgt. Andere Unis sind schon weiter

Von Ralf Pauli

Die Georg-August-Universität Göttingen hat schon ruhigere Tage erlebt. Im vergangenen Frühling musste die größte niedersächsische Hochschule ihre Hoffnungen begraben, den 2012 verlorenen Titel „Exzellenz-Universität“ zurückzugewinnen, der neben Prestige großzügige Fördermittel gebracht hätte. Auch deshalb eskalierte im Sommer und Herbst 2024 dann ein Streit zwischen Senat, Stiftung und Präsidium, der in der Abwahl des Präsidenten endete. Der Interimsnachfolger, der die Wogen glätten soll, kommt erst im März. Und nun wagen auch noch die Angestellten den Aufstand.

Ab Freitag dieser Woche lassen die wissenschaftlichen Mit­ar­bei­te­r:in­nen am Institut für Soziologie einen Teil ihrer Arbeit ruhen: Sie betreuen dann auf unbestimmte Zeit keine neuen Abschlussarbeiten von Studierenden mehr. Mit diesem Streik wollen sie auf ihre prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam machen. Von den 25 wissenschaftlichen Mit­ar­bei­te­r:in­nen am Institut haben nach eigenen Angaben nur zwei einen unbefristeten Vertrag, damit liegt die Quote weit unter dem ohnehin schon niedrigen Entfristungsschnitt der Uni von gerade einmal 15 Prozent.

„Diese Befristungspraxis widerspricht dem selbst gesteckten Ziel, eine familienfreundliche Uni zu sein“, sagt Thorsten Bartels, einer der Mit­ar­bei­te­r:in­nen am betroffenen Institut, zur taz. Seitdem Bartels als Wissenschaftler arbeitet, hatte er „auf jeden Fall schon über zehn Verträge“. Sein aktueller Kontrakt endet nach diesem Semester. Ob er danach weiter als Soziologe in Göttingen bleiben kann, ist wie bei einigen seiner Kol­le­g:in­nen unklar. Wegen ihrer unsicheren Arbeitsplätze möchten Bartels und die anderen Streikenden nicht ihre richtigen Namen in der Zeitung lesen.

Die hohe Befristungsquote ist deutschlandweit ein Kritikpunkt am Arbeitgeber Hochschule. Seit 2007 erlaubt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), For­sche­r:in­nen insgesamt zwölf Jahre befristet anzustellen. Begründet wird das damit, dass sie sich mit ihrer Arbeit für spätere – dann unbefristete – Jobs weiterqualifizierten. In der Praxis gibt es einen enormen Wettbewerb von prekär angestellten Nachwuchswissenschaftler:innen, die um die wenigen unbefristeten Stellen konkurrieren. Auch nach erfolgreicher Promotion bleiben neun von zehn For­sche­r:in­nen befristet angestellt.

Kri­ti­ke­r:in­nen halten vor allem das Qualifizierungsargument für vorgeschoben. Schließlich übernehmen wissenschaftliche Mit­ar­bei­te­r:in­nen häufig Daueraufgaben – auch am Institut für Soziologie in Göttingen. Einige Stellen seien etwa für erhöhte Lehre oder Studienkoordination zuständig und böten daher keine Qualifizierungsmöglichkeiten, kritisieren die Mit­ar­bei­te­r:in­nen in einer Erklärung. Sie fordern, alle entsprechenden Stellen zu entfristen.

Zudem soll die Uni eine generelle „Entfristungsstrategie“ für Stellen neben der Professur entwickeln, wie sie in anderen Hochschulen längst üblich ist. In Niedersachsen etwa gibt es an den Unis in Hannover und Hildesheim bereits seit Jahren Dauerstellenkonzepte. Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ist im Prinzip für mehr entfristete Stellen speziell für Forschung oder eigens für die Lehre – wenn Bund und Länder dafür die Grundfinanzierung erhöhen. Die Aussichten dafür sind bei der aktuellen Haushaltslage jedoch gering.

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Selten sind die Ärmsten so diffamiert worden, selten war der Wohlstand so ungleich verteilt. Die taz begibt sich auf die Suche nach dem sozialen Gewissen des Landes. Alle Texte zum Thema finden Sie hier:

Eigentlich wollte die Ampel-Regierung die Arbeitsbedingungen an Hochschulen verbessern und unter anderem Mindestvertragslaufzeiten für Promovierende und promovierte Wis­sen­schaft­le­r:in­nen (den sogenannten Postdocs) einführen. Die entsprechende Reform des WissZeitVG schaffte es zwar noch für die erste Lesung in den Bundestag – mit dem Ampel-Aus war das Gesetz aber vom Tisch.

Dass die neue Bundesregierung einen neuen Anlauf startet, darf bezweifelt werden. Die in Umfragen führende Union verspricht zwar, den akademischen Mittelbau stärken zu wollen. Im Wahlprogramm ist das Ganze jedoch unter dem Punkt „Mit Exzellenz in die Zukunft gehen“ gefasst – das klingt nicht nach Verbesserungen in der Breite. Der bildungspolitische Sprecher von CDU/CSU im Bundestag, Thomas Jarzombek, hat kürzlich in einer Veranstaltung zur Hochschulpolitik im Wahlkampf die Prioritäten der Union genannt: mehr Gründermut an Unis, weniger Bürokratie, mehr Härte bei Antisemitismus – prekäre Arbeitsbedingungen war nicht dabei.

In die neue Bundesregierung setzen die For­sche­r:in­nen in Göttingen keine großen Hoffnungen. Sie glauben, dass ihre Universität auch ohne neues Gesetz vieles anders machen könnte. Zum Beispiel jene Stellen zu entfristen, die über den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ (ZVL) finanziert werden. Tatsächlich ist es ein ausdrückliches Ziel des mittlerweile verstetigten Bund-Länder-Programms, damit den „Ausbau unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse des mit Studium und Lehre befassten Personals an den Hochschulen“ zu ermöglichen – trotzdem entfristet die Uni Göttingen nach einer internen Regelung gerade mal 40 Prozent dieser Stellen. Das Präsidium begründet dies auf taz-Nachfrage damit, dass es „ein ausgewogenes Verhältnis zwischen unbefristeten Stellen mit Daueraufgaben und befristeten Stellen zur wissenschaftlichen Qualifizierung“ brauche.

Für die wissenschaftlichen Mit­ar­bei­te­r:in­nen ist dies wenig stichhaltig. „Das ist eine total willkürliche Quote“, sagt Bartels. Sie belege, dass die Universität ihre Spielräume schlicht nicht voll im Sinne der Angestellten nutzen wolle. Diesen Eindruck hätten die Angestellten bereits vor knapp zwei Jahren gewonnen. Damals überreichte die „Initiative Göttingen Unbefristet“, die den Streik der So­zio­lo­g:in­nen unterstützt, dem Präsidium eine Petition mit mehr als 1.000 Unterschriften. Auf ihre Forderung ist die Hochschulleitung laut der Initiative bis heute nicht eingegangen.

Auch die GEW Niedersachsen bezeichnet die Befristungspraxis in Göttingen als „Missstand“, den Streik hält die Gewerkschaft für eine „nachvollziehbare Reaktion“. Sogar die Soziologie-Studierenden in Göttingen, die von dem Streik betroffen sind, haben sich mit den For­sche­r:in­nen solidarisiert. Mitte Januar forderten Ver­tre­te­r:in­nen der Fachrichtungen Soziologie und Sozialwissenschaften in einer studentischen Vollversammlung das Präsidium auf, endlich für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Von den 25 Mit­­­­arbei­te­r:in­nen am Institut haben nach eigenen Angaben nur zwei einen unbefristeten Vertrag

Aus Sicht der streikenden Angestellten gehören dazu nicht nur entfristete Verträge. „Wir alle versuchen, neben unserer eigenen Forschung auch gute Seminare zu geben und die Studierenden gut zu betreuen“, so Bartels. Allerdings sei das mit den üblichen Teilzeitstellen kaum zu schaffen. „Wir arbeiten alle deutlich mehr, als in unseren Verträgen steht“. Mit dem Streik wollten die wissenschaftlichen Mit­ar­bei­te­r:in­nen auch ein Zeichen gegen die permanente Überlastung setzen.

Wer die Arbeitsbedingungen am Institut verbessern könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das Präsidium sieht sich auf taz-Anfrage nicht in der Verantwortung: „Im Rahmen der Fakultätsautonomie an der Universität Göttingen ist für die Begründung von Beschäftigungsverhältnissen in erster Linie die Sozialwissenschaftliche Fakultät zuständig.“ Das Gleiche gelte für die Personalverantwortung. Die für die Fakultät verantwortliche Dekanin Andrea Bührmann wiederum verweist auf die Zuständigkeit der Hochschulleitung: „Die Entscheidung über die dauerhafte Neueinrichtung sowie über die konkrete Besetzung unbefristeter Stellen im wissenschaftlichen Dienst obliegt dem Präsidium“, teilt Bührmann der taz mit.

Wahr ist aber auch: Die Fakultäten können bei der Hochschulleitung Anträge auf Entfristung stellen. Warum dies nicht häufiger geschieht, begründet die Dekanin damit, dass die im WissZeitVG festgeschriebenen Ziele berücksichtigt werden müssten. Soll heißen: Für Forscher:innen, die sich noch qualifizieren, greift die Befristungsregelung.

Für die Mitarbeitenden am Institut sind das Ausflüchte. Schließlich schreibt das WissZeitVG den Hochschulen nicht vor, dass sie befristen müssen. „Andere Universitäten sind da schon weiter“, sagt Bartels und verweist auf hessische Hochschulen. Tatsächlich hat beispielsweise die Universität Frankfurt Stellen für Researcher und Lecturer eingeführt. Damit bietet sie neue Karrierewege neben der Professur – und weicht vom traditionellen Lehrstuhlprinzip ab. Eine Entwicklung, die das Land Hessen unterstützt.

Die „Initiative Göttingen Unbefristet“ protestiert seit Jahren gegen die prekären Arbeitsbedingungen an der Georg-August-Universität – geändert hat sich bis heute wenig Foto: Klaus Peter Wittemann

In einem bundesweit einzigartigen Schritt haben sich Gewerkschaften und Landesregierung aus CDU und SPD auf eine verpflichtende Erhöhung der Dauerstellen im Mittelbau geeinigt: Bis 2030 muss die Zahl um rund 400 auf 1.850 Vollzeitstellen steigen. Damit hätten rund 40 Prozent der vom Land finanzierten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen eine Dauerstelle.

In Niedersachsen sind das im akademischen Mittelbau aktuell 37 Prozent, teilt das Wissenschaftsministerium in Hannover auf taz-Anfrage mit. Gemeinsam mit den Hochschulen soll zudem ein Kodex für „Gute Arbeit“ entstehen, der „insbesondere auch auf die Verbesserung der Karriereperspektiven für den akademischen Mittelbau ausgerichtet ist“. Dafür soll demnächst auch das Landeshochschulgesetz geändert werden.

Bis es so weit ist, bauen die wissenschaftlichen Mit­ar­bei­te­r:in­nen in Göttingen auf folgendes Szenario: Die Pro­fes­so­r:in­nen unterstützen die Anliegen des Mittelbaus und verzichten darauf, die eigenen Mit­ar­bei­te­r:in­nen zu sanktionieren. Andere Institute schließen sich dem Protest an. Irgendwann ist der Druck so hoch, dass die Uni das Anliegen nicht länger ignorieren kann. Und wenn die Georg-August-Universität Göttingen eines Tages dann noch einen Präsidenten bekommt, dem an guten Arbeitsbedingungen gelegen ist, könnte das was werden mit einer neuen Entfristungspraxis.

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