: Singen über Gewalt
Die Pariser Opéra Bastille ist eines der größten Opernhäuser weltweit. Regisseur Calixto Bieito inszeniert dort aktuell Wagners „Rheingold“
Von Joachim Lange
Die Bastille-Oper in Paris ist ein imponierender Bau. Das 1989 zum Revolutionsjubiläum eröffnete Haus gleicht von außen einer modernen Festung. Drinnen ist der fast 2800 Plätze-Saal einer der größten seiner Art auf der Welt. Damit sollte Oper für jeden möglich werden. Das hat auch funktioniert. Zuschauer aller Generationen gehen hier tatsächlich nach Arbeit oder Einkauf hin. Auch schon mal mit Mantel und Taschen bis in die eh schon engen Reihen. So unterläuft eine etablierte Unsitte den Gigantomanismus dieses Hauses.
Allein wegen seiner Dimension ist dieses Haus für die Werke des Musikgiganten Richard Wagner prädestiniert. In Frankreich hat der deutsche Überkomponist schon immer eine eingeschworene Gemeinde. Und weil die Welt der Oper eh international ist, hat den letzten Nibelungen-Ring mit Günter Krämer auch ein Deutscher inszeniert. Der geplante Start einer fälligen Neuinszenierung der Tetralogie war für 2020 geplant – die Pandemie kam dazwischen. So gab es erst jetzt den Auftakt mit dem „Rheingold“. Was Wagner selbst Vorabend genannt hat, ist der mit zweieinhalb Stunden vergleichsweise kurze Anfang vom Ende. Denn um nicht weniger als das Ende einer bzw. der Welt geht es im „Ring“ mit den folgenden Teilen „Walküre“, „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“.
Das „Rheingold“ liefert erst mal die Vorgeschichte jenes Rings, der aus geraubtem Gold geschmiedet wurde, für Macht steht, ausführlich verflucht wird, schon hier zweimal den Besitzer wechselt und einen Erschlagenen hinterlässt. Um Alberich den hier monströsen Hals-Ring abzuluchsen, müssen Wotan und Loge in dessen Frankenstein’sches Gruselkabinett mit KI-Ausrüstung zur Herstellung von Humanoiden absteigen. Am Ende hat der Riese Fafner den Ring. Der ist einer der Bauherren der Götterburg Walhall. Hier tritt er mit Cowboyhut großkotzig auf und grabscht sogar Wotans Frau Fricka an.
Diesmal führt Calixto Bieito das Inszenierungsteam an. Der Katalane gehört nicht nur in Deutschland noch immer zu den Stars der Szene. Zunächst irritiert, dass sich Bieito bei seiner Götterburg (um deren Bezahlung es ja im „Rheingold“ geht) auf eine wuchtige Wand aus Dutzenden Lochblechelementen beschränkt. Ein wallendes Tuch davor steht für den Rhein und gleich noch für das Gold. Diffuse Videos imaginieren einen Blick ins Innere.
Am Ende bietet das eine Pointe, die man in Paris kaum so wahrnehmen dürfte. Wenn hinter der Fassade die Lichter angehen, dann erinnern die Lampen an den (auch wie Walhall untergegangenen) Palast der Republik in Berlin. In Paris gibt’s jetzt also nicht Erichs, sondern Wotans Lampenladen. Wotan und Fricka können sich mit Mühe in ihren neuen Bau schleppen und die herabgelassene Rampe hinaufziehen. Die für das ewige Leben und die Jugend zuständige Göttin Freia ist da nicht dabei. Erst hatte Wotan sie (quasi als Sicherheit für den Kredit) an die Riesen verpfändet. Dann wurde sie von den beiden auf einer Plane weggeschleppt. Und nach ihrer Rückkehr und Auslösung schlicht und einfach vergessen. Sichtbar traumatisiert beschmiert sie sich mit einer schwarzen Masse. Da die vermutlich brennbar ist und Feuergott Loge mit gezündetem Feuerzeug langsam auf sie zugeht, ahnt man, was er vorhat. Das wäre der düsterste denkbare Schlusspunkt schon im „Rheingold“.
Für die Zeichnung von Wotans Gewaltproblem oder Frickas hysterischem Aktionismus kommt Bieitos Fähigkeit für packende Personenregie voll zur Geltung. Gesungen wird in Wagner-Spitzenstandard – ohne Kraftmeierei. Pablo Heras-Casado, der auch schon in Bayreuth Furore gemacht hat, beweist mit seinem differenzierten, geradezu kammermusikalischen Dirigat einmal mehr, dass das Orchester der Pariser Oper (auch) ein vorzügliches Wagner-Orchester ist.
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