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UNRWA in JerusalemSie machen weiter, so lange es geht

Das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA darf seit Donnerstag eigentlich nicht mehr in Israel agieren. Doch im Gesundheitszentrum in Jerusalems Altstadt bleiben die Türen geöffnet.

Eine Sicherheitsmaßnahme sei der Abtransport der Autos aus dem UNRWA-Hauptquartier in Ostjerusalem, erklärt Sprecherin Juliette Touma Foto: Felix Wellisch

Jerusalem/Chan Junis taz | Faiza Ahmad Hassan will die vielleicht letzte Möglichkeit nutzen. Die betagte Frau steht im Gesundheitszentrum des UN-Palästinahilfswerks UNRWA in der Jerusalemer Altstadt und verstaut Medikamente in ihren Taschen. „Insulin, Kanülen, all das reicht mir etwa einen Monat“, sagt die Palästinenserin. Am Donnerstag sind zwei israelische Gesetze in Kraft getreten, die die Arbeit von UNRWA auf israelischem Gebiet und israelischen Behörden den Kontakt zum Hilfswerk verbieten. Was das für dessen Arbeit bedeutet, ist unklar. „Wir waren froh, dass heute morgen nicht die Polizei vor der Tür stand“, sagt eine Laborantin, die seit 28 Jahren bei UNRWA in der Altstadt arbeitet und ihren Namen für sich behalten möchte.

Zwei Tage zuvor im Hauptquartier von UNRWA in Ostjerusalem: Arbeiter laden weiße Pkw mit dem hellblauen UN-Logo auf einen Transporter. „Noch nie in unserer Geschichte waren wir in so einer unklaren Situation“, sagt Juliette Touma, die Kommunikationsdirektorin des Hilfswerks. Die israelischen Behörden hätten im Vorfeld keinerlei Informationen zur Umsetzung ausgegeben.

UNRWA habe ein klares Mandat zur Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge in den von Israel besetzten Gebieten. Israel betrachtet die gesamte Stadt seit ihrer völkerrechtswidrigen Annexion 1980 als israelisches Staatsgebiet. Das Hauptquartier war in den vergangenen Monaten mehrfach zum Ziel rechtsextremer Proteste geworden. Die Verlegung der Ausrüstung sei eine Vorsichtsmaßnahme, sagt Touma.

Israel beschuldigt UNRWA, dass sich rund 30 Mitarbeiter am Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel beteiligt hätten. Die UN entließ mehrere Beschuldigte umgehend. Zudem sollen Details über rund 100 Mitarbeiter an die UN übermittelt worden sein, die Mitglieder der Hamas seien. Der Vorwurf, die 13.000 Beschäftigten im Gazastreifen seien von der Hamas unterwandert, ist bisher nicht belegt.

Die Stadt Jerusalem könnte UNRWA-Dienste übernehmen

Vielen Israelis ist das Palästinenserhilfswerk ohnehin verhasst. 92 der 120 Parlamentsabgeordneten hatten die Gesetze Ende Oktober mitgetragen. Eine weitverbreitete Kritik: UNRWA gebe den Flüchtlingsstatus über Generationen – und auch über den Erhalt einer neuen Staatsbürgerschaft hinweg – weiter. Das Hilfswerk widerspricht: UNRWA bestehe auch 75 Jahre nach seiner Gründung noch, weil eine politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts fehle.

In den vergangenen Monaten hatten israelische Politiker zu verstehen gegeben, dass sie Israel nicht in der Verantwortung sehen, Aufgaben von UNRWA zu übernehmen. Völkerrechtlich ist Israel als Besatzungsmacht für die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung verantwortlich. Kurz vor Inkrafttreten der Gesetze hat die Jerusalemer Stadtverwaltung mitgeteilt, Alternativen für die UNRWA-Dienstleistungen in Jerusalem anbieten zu wollen.

Wenige Kilometer von der Jerusalemer Altstadt entfernt liegt das Flüchtlingslager Schuafat, eingeschlossen von zwei israelischen Siedlungen und über die Jahrzehnte zu einem Dschungel aus Hochhäusern angewachsen. UNRWA betreibt hier Schulen, ein Gesundheitszen­trum und die Müllabfuhr. Der junge Arzt Ahmed Issa kommt auch an diesem Donnerstag aus dem benachbarten Ramallah im Westjor­danland zur Arbeit in das Gesundheitszentrum Schuafat. „Wir haben hier rund 2.500 Patienten jeden Monat“, sagt der 32-Jährige, der seit 2018 hier arbeitet. Viele von ihnen würden seit Jahren vom selben Arzt betreut. „Das lässt sich nicht einfach ersetzen.“ Er werde weiter zur Arbeit kommen, „solange ich durch die israelischen Checkpoints gelassen werde.“

In Gaza verteilt UNRWA Hilfsgüter, beherbergt Geflohene

Noch härter treffen könnten die israelischen Gesetze den Gazastreifen, wo nach dem Krieg fast die gesamte Bevölkerung auf Hilfe angewiesen ist. Sowohl die UNRWA-Leitung als auch viele in Gaza tätige Hilfsorganisationen sehen das Hilfswerk mit seinen 13.000 Beschäftigten als unverzichtbar an.

Unter den Bewohnern einer zur Notunterkunft umfunktionierten UNRWA-Schule in Chan Junis sorgen die israelischen Pläne für Angst. „Es wäre eine Katastrophe“, sagt die 29-jährige Riham al Shami. „Seit wir vor einem Jahr aus Gaza-Stadt vertrieben wurden, haben wir von keiner anderen Organisation Unterstützung bekommen.“ Die 45-jährige Zinat al Eshtal stimmt ihr zu: „UNRWA garantiert eine gerechte Verteilung der Hilfen, im Gegensatz zu lokalen Familien, die manchmal diese Rolle übernommen haben.“

„Uns bleibt nur, von Tag zu Tag zu planen“, sagt Touma. Wie sollen künftig Hilfslieferungen vom israelischen Hafen Aschdod nach Gaza gelangen? Wie humanitäre Missionen mit der Armee koordiniert? Die UNRWA-Sprecherin kommentiert trocken: „Trotz solcher Absprachen sind in diesem Krieg mehr als 260 Mitarbeiter getötet worden. Unsere Teams in Gaza werden weitermachen.“

Mitarbeit: Malak Tantesh

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