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Ernten bis zum Umdenken

Der Fotograf Kadir van Lo­hui­ze­n ist an unterschiedliche Orte gereist, um zu erfahren, wie Lebensmittel heute produziert werden. Einblicke in eine hochtechnisierte Welt

Ein innovatives Gewächshaus in den Niederlanden, das sich den äußeren Wetterbedingungen anpasst. Hier werden vollautomatisiert Salate großgezogen

Interview Johanna Weinz

taz: Herr van Lohuizen, wie sind Sie darauf gekommen, die Lebensmittelindustrie zu fotografieren?

Kadir van Lo­hui­ze­n: Ich habe mich schon in früheren Projekten damit beschäftigt, wie Großstädte ihre Abfälle managen beziehungsweise missmanagen. Es ist bekannt, dass wir weltweit ein Drittel unseres Essens wegschmeißen. Als mir die Ausmaße in New York so richtig bewusst wurden, dachte ich, dass ich ein Projekt über die Ernährungsindustrie machen sollte.

taz: Kommen Sie von dort?

Kadir van Lo­hui­ze­n

*1963, ist ein mehrfach aus­gezeichneter Fotograf aus den Niederlanden. In seinen Fotoarbeiten beschäftigt er sich mit bewaffneten Konflikten, sozialen Themen und der Klima­krise. Sein Bildband „Food for Thought“ ist im Juni 2024 bei Lannoo Publishers er­schienen.

van Lohuizen: Nein, ich komme aus den Niederlanden und bin wie viele andere mit der Sicherheit aufgewachsen, dass alle Lebensmittel jederzeit zur Verfügung stehen. Aber mit der Zeit ist mir klargeworden, dass die Lebensmittelproduktion auch in diesem Teil der Welt nicht so sicher ist, wie wir immer denken.

taz: Was meinen Sie genau?

Das riesige Gewächshaus in Monster in den Niederlanden züchtet Kresse, essbare Blätter und Blüten mithilfe von LED-Beleuchtung

van Lohuizen: Die Niederlande liegen in einem Delta. An den Küsten haben die Bauern mit versalzenen Feldern zu kämpfen. Auch in anderen Ländern Europas gibt es durch Starkregen oder langanhaltende Dürren Schwierigkeiten bei der Ernte. Corona und der Krieg in der Ukraine haben zudem gezeigt, wie fragil das Ernährungssystem ist. Unsere Abhängigkeit von Importen hat zu Lieferschwierigkeiten geführt. Plötzlich waren bestimmte Lebensmittel im Supermarkt nicht verfügbar.

taz: Für das Projekt sind Sie in mehrere Länder gereist. Wie kam es zu der Auswahl?

Eine Milchfarm in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Kamele sind im Gegensatz zu Kühen perfekt an die Hitze angepasst

van Lo­hui­ze­n: In allen Ländern gab es Aspekte, die mich besonders interessiert haben. Die Niederlande sind ein kleines Land und trotzdem der zweitgrößte Lebensmittelexporteur, direkt nach den USA. Aus Kenia gelangen ebenfalls extrem viele Früchte und Gemüse nach Europa. Saudi-Arabien wiederum hat vor der Pandemie 90 Prozent seiner Lebensmittel importiert und möchte das nun ändern. Die Emirate und Saudi-Arabien versuchen durch Geothermie, also durch künstlichen Regen, zu landwirtschaften. Und China hat das Ernährungssystem verändert: Dort werden die Lebensmittel in der Nähe der Großstädte produziert.

taz: Gab es etwas, das Sie überrascht hat?

Eine Ranch in Texas. Die winzigen Flecken sind keine Schimmelsporen, sondern Kälber für die Milch- und Rindfleisch­produktion

van Lo­hui­zen: ­Dass die Lebensmittelindustrie in China besser als in den meisten anderen Ländern funktioniert. Das Land importiert und exportiert sehr wenig. Für mich war es außerdem am einfachsten, dort zu arbeiten, das hätte ich nie gedacht.

Eine der größten Landwirtschaftsmessen in den USA in Minnesota. Hier können die Besuchenden die Geburt und Aufzucht von Nutztieren live miterleben

taz: Wieso war es in den anderen Ländern so schwierig?

van Lo­hui­ze­n: Dort herrschte großes Misstrauen, was passieren würde, wenn ich in die Betriebe komme und fotografiere. Da war es einfacher, in die Diamanten­in­dus­trie zu kommen.

Eine vertikale Farm in Compton in Los Angeles. Hier wachsen Salate und andere grüne Blattgemüse auf etwa 1 Hektar Fläche. Die Arbeit erledigen vor allem Roboter. Beteiligt an dem 1-Milliarde-Dollar-Projekt ist Walmart

taz: In Ihrem 2024 erschienenen Bildband „Food for Thought“ schreiben Sie, dass wir keine Vorstellung davon haben, woher unser Essen kommt.

Ein Gewächshaus an einem nicht näher benannten Ort in China. Der Salat ist reif und kann in die Transportboxen gefüllt werden. Die Betreiber planen ihre 5 Hektar um ganze 15 ­Hektar zu erweitern

van Lohuizen: Wir sehen die großen Farmen und Distributionszentren, aber wir haben keine Idee davon, wie viel wir wirklich produzieren. Wir haben die Verbindung zum Ursprung der Lebensmittel verloren. Wir sind komplett entkoppelt.

Erntezeit auf einer Farm im September in Sulmac Village in Kenia. Hier werden neben Pak Choi und anderem Gemüse auch Blumen angebaut. Das milde Klima in der Nähe des Äquators bietet optimale Bedingungen

taz: Wie sieht die Landwirtschaft der Zukunft aus?

van Lo­hui­zen: Die liegt meiner Ansicht nach im saisonalen und regionalen Anbau. Außerdem sollten wir dringend weniger Fleisch konsumieren. Die Lösungen sind da, aber wir müssen unsere Komfortzone verlassen. Den Klimawandel können wir nicht mehr aufhalten, dafür sind wir zu spät, aber wie wir unsere Ernährungsweise und die Lebensmittelproduktion gestalten, das können wir verändern.

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