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Komplizierte Gefühlslage

Unter Interimstrainer Mike Tullberg erkämpft der BVB in Unterzahl ein 2:2 gegen Bremen. Der Trainer kann zufrieden sein, aber die Profis plagt ein schlechtes Gewissen. Und auch in der Trainerfrage sind die Verhandlungen schwierig

Ach, wär’ er doch in Stuttgart geblieben: Serhou Guirassy nach dem 2:2 gegen Werder Foto: dpa

Aus Dortmund Daniel Theweleit

Ein unklares Gefühl der Leere lag über der Dortmunder Südtribüne, als der BVB auch das fünfte Pflichtspiel des Jahres nicht gewonnen hatte. Die emotionale Lage war voller Widersprüche nach dem 2:2 (1:0) gegen Werder Bremen. Einerseits hatte die Mannschaft hingebungsvoll gekämpft, hatte 70 Minuten lang in Unterzahl gespielt. Demnach haben seine Spieler „nicht alles richtig gemacht“, sagte der Interims­trainer Mike Tullberg, „aber sie haben alles auf dem Platz gelassen. Ich bin eher positiv nach dem Spiel als negativ.“ Andererseits erklärte Mittelfeldspieler Julian Brand: „Mit einem Punkt gehen wir nicht glücklich nach Hause.“

Diese Diskrepanz im Empfinden hatte viel mit den unterschiedlichen Perspektiven zu tun, aus denen Tullberg und die Spieler auf diese Partie blickten. Der Trainer konnte zufrieden sein, weil seine Mannschaft trotz schwerer Rückschläge hoch intensiv gearbeitet hatte. Von den Spielern hatte er gefordert, sich „mit Sabber im Mund und Messer zwischen den Zähnen“ zu wehren. Das ist der Mannschaft ganz gut gelungen an diesem Nachmittag, an dem sie abermals in eine Extremlage hineingeraten war.

Weil ein leichter Schubser von Nico Schlotterbeck gegen Marco Grüll mit guten Gründen als Notbremse gewertet wurde, spielte der BVB ab der 21. Minute in Unterzahl. „Aber die Jungs haben alles rausgehauen“, sagte Tullberg. Der Däne, der eigentlich Chefcoach der U19 ist, gehört zu jener Sorte Trainer, die als „Motivator“ beschrieben werden. Seine Rhetorik ist mitreißend und nach diesem Spiel blieb der Eindruck, dass diese Eigenschaft bei den Profis wirkte. Die waren aber trotzdem nur bedingt zufrieden. Weil sie zwar trotz Unterzahl durch Tore von Serhou Guirassy (28.) und Marco Friedl (51.) mit 2:0 geführt, aber trotzdem nicht gewonnen hatten. Und weil sie von einem schlechten Gewissen geplagt werden.

„Wir wissen, dass wir in den letzten Wochen superschlecht Fußball gespielt haben. Und dafür fühlen wir uns auch definitiv schuldig und schämen uns dafür, den Verein in eine Situation gebracht zu haben, überhaupt Nuri Sahin zu entlassen“, sagte Brandt. Diese Last schleppen sie jetzt mit sich herum. Und weil die Bremer am Ende doch noch zwei sehr schöne Tore schossen, verschaffte der Nachmittag keine Linderung.

In der Tabelle ist der BVB mittlerweile auf den elften Platz zurückgefallen und die Suche nach einem neuen Trainer stockt. Entgegen ersten Planungen wird Tullberg daher auch am Mittwoch während der Champions-League-Partie gegen Schachtjor Donezk auf der Bank sitzen. „Zunächst ging es nur ums Bremen-Spiel, weil ich 100 Prozent Mike Tullberg haben wollte“, sagte der Sport-Geschäftsführer Ricken und wich der Frage aus, ob Tullberg sogar als Lösung bis zum Saisonende in Frage kommt. Denn die Verhandlungen mit erfahreneren Kandidaten sind kompliziert.

Intensiv beschäftigen die Dortmunder sich mit Niko Kovac, von dem die Vereinsführung aber verständlicherweise nicht so überzeugt ist, dass man ihm direkt einen länger gültigen Vertrag geben möchte. Nach erstaunlichen Erfolgen mit Eintracht Frankfurt zwischen 2016 und 2018 hatte der Kroate anschließend beim FC Bayern große Probleme mit einer Mannschaft, mit der Hansi Flick nach der Trennung am Saisonende das Triple gewann. Und in Wolfsburg wurde er im ersten Jahr Achter, bevor er in der folgenden Saison als Tabellenvierzehnter entlassen wurde.

Erschwerend kommt hinzu, dass es auch eine Grundsatzentscheidung erfordert: Wird erst mal nur nach einer Lösung bis zum Saisonende gesucht, um dann beispielsweise mit Roger Schmidt verhandeln zu können? Oder suchen die Dortmunder doch direkt einen Trainer, dem sie zutrauen, den Klub langfristig in eine neue Erfolgsära zu führen? Erik ten Hag oder einen Überraschungskandidaten, wie ihn die Bayern in Vincent Kompany gefunden haben? Vielleicht wäre es eine interessante Idee, mal bei Christian Streich nachzufragen. Nicht nur das Team steht gewaltig unter Druck. Auch Lars Ricken steht vor der wichtigsten Entscheidung seiner bisherigen Zeit als Chef für alle Sportfragen bei Borussia Dortmund.

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