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Flucht aus JakutienEin Punk gegen den Krieg

Aikhal Ammosov ist Punk und Aktivist aus Jakutien in Russland. Er demonstrierte gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine und musste nach Deutschland flüchten.

Einmal Punk immer Punk: Aikhal Ammosov Foto: Vitaliy Malyshev

Ein schwarz gekleideter Vermummter steht vor einem Bestattungsunternehmen und hält ein Plakat in die Höhe. Darauf sind ein Sarg und die Aufschrift „Der Bräutigam ist da“ in russischer Sprache zu erkennen. Eine zweite Person macht einen Schnappschuss, das Foto landet auf dem Instagram-Profil des Vermummten.

Die Szene spielt sich im April 2022 in Jakutsk ab, der Hauptstadt der im Fernen Osten der Russischen Föderation gelegenen Republik Sacha. Sie ist auch als Jakutien bekannt. Beim Vermummten handelt es sich um den damals 30-jährigen Aikhal Ammosov, einen Punk und Aktivisten, der zu der nationalen Minderheit der Jakuten gehört.

Sein Plakat zitiert eine Szene aus dem Kultfilm „Gruz 200“ (Fracht 200), von Aleksej Balabanow, einen brutalen Psychothriller über die sowjetische Gesellschaft während des Afghanistankriegs aus dem Jahr 2007. „Fracht 200“, so nennt man auch heute noch die Zinksärge, in denen tote russische Soldaten von der Front zurückkehren.

„Einsame Demos“ gegen russischen Angriffskrieg

Solche „einsamen Demos“ unternahm Ammosov 2022, im ersten Jahr des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, viele. Er dokumentierte auch möglichst viele davon online. Dazu gehörten Graffitis mit Anti-Kriegs-Parolen und Flugblätter, Repertoire seiner „Guerilla-Aktionen“, wie er sie nennt. Doch selbst solche Mini-Protestformen sind hochgefährlich im autoritären Russland unter Putin.

Ammosov wurde im Frühjahr 2022 von der Polizei und der Anti-Extremismus-Behörde verhört und saß danach mehrere Tage im Gefängnis. „Sie drohten, sie würden mich töten. Ich hörte trotzdem nicht auf“, erzählt er der taz. Am 13. August 2022, an dem Tag, als der russische Ministerpräsident Michail Mischustin nach Jakutsk kam, hängte Ammosov ein riesiges Transparent im Zentrum der Stadt auf: „Yakutian Punk Against War“.

Danach wurde es ernst. Er wurde verhaftet und für 42 Tage ins Gefängnis gesteckt, im September jenes Jahres eröffneten die Behörden ein Strafverfahren wegen wiederholter „Diskreditierung der russischen Armee“ gegen ihn.

Abenteuerliche Flucht nach Belarus

Ammosov machte sich aus dem Staub. Seine Flucht ist abenteuerlich. Er blieb auf Social Media stumm und trampte unerkannt 8.600 Kilometer westwärts nach Smolensk, bis er zu Fuß die kaum überwachte Grenze nach Belarus überquerte. Von dort wollte er weiter nach Polen, um politisches Asyl zu beantragen.

Doch als ihm klar wurde, dass dieser Fluchtweg lebensgefährlich ist, flog er stattdessen von Belarus nach Kasachstan. Im Oktober 2023 wurde er dort auf Ersuchen der russischen Behörden erneut festgenommen, wegen angeblicher „Anstiftung zu terroristischen Handlungen“, wie sein Engagement gegen die russische Invasion in die Ukraine in Russland genannt wird.

Er verbrachte ein Jahr in einem kasachischen Gefängnis, in ständiger Angst, an Russland ausgeliefert zu werden. Doch dann wurde er überraschend freigelassen. Menschenrechtler und das deutsche Außenministerium hatten für ihn ein humanitäres Visum und einen grauen Ersatzpass besorgt, mit dem Ammosov Anfang November 2024 nach Berlin kam. Seinen Fall hatten unter anderem „Radio Free Europe“, die Moscow Times und das unabhängige russische Exilmedium Novaya Gazeta bekannt gemacht.

Russland beutet als imperialistischer Staat viele Nationen aus, darunter auch uns, die Sacha

Aikhal Ammosov, Musiker

Anti-Kriegsdemonstration in Berlin

Nur eine Woche nach seiner Ankunft in Berlin nahm er an der Anti-Kriegs-Demonstration russischer Exil-Oppositioneller teil – für ihn war es die erste Teilnahme an einer großen Demonstration überhaupt – Ammosov lief im Antifa-Block und hielt zusammen mit anderen Ak­ti­vis­t:in­nen ein großes Banner: Darauf stand die Forderung „Waffen den Ukrainern“ in ukrainischer Sprache.

Es war eine der wenigen expliziten Aufforderungen zur militärischen Unterstützung für die Ukraine bei dieser Demonstration. Diese Zurückhaltung ist nur ein Grund, weshalb Ammosov viele russische Oppositionelle, auch prominente wie Julia Nawalnaja, kritisch sieht. „Die russischen Liberalen denken nur an sich“, urteilt er, von der kolonialen Vergangenheit und Gegenwart der Russischen Föderation wollen sie nichts wissen.

Tatsächlich verunglimpfte Nawalnaja 2024 in einer Rede die „Dekolonisatoren“, Ak­ti­vis­t:in­nen ethnischer Minderheiten wie Ammosov. Nawalnaja warf ihnen vor, Russland und seine Bewohner:innen, „Menschen mit einem gemeinsamen Hintergrund und Kontext“, „künstlich spalten“ zu wollen.

Eine ignorante Aussage, eroberten doch die Russen im 16. und 17. Jahrhundert mit erheblicher Gewalt die östlichen Regionen der heutigen Russischen Föderation. Die lokalen Bewohner, die gegen die Fremdherrschaft revoltierten – darunter Jakuten, Ewenken und Burjaten – wurden brutal ermordet, ausgeraubt, zwangsrussifiziert und -christianisiert. 1990, als die Sowjetunion bröckelte, proklamierte auch Jakutien zusammen mit einer Reihe weiterer von Russland kolonisierter Republiken seine Souveränität, doch das wurde von der Russischen Föderation nie hingenommen.

Diskriminierung wegen asiatischen Aussehens

Die Diskriminierung wird schon ersichtlich mit Blick auf Ammosovs Passname: Er lautet Igor Ivanov, was typisch russisch klingt. Wegen seines asiatischen Aussehens wurde er in Russland regelmäßig diskriminiert. „Russland beutet als imperialistischer Staat viele Na­tio­nen aus, darunter auch uns, die Sacha. Wir sind entbehrliches Material für die Russen“, sagt Ammosov.

Obwohl in Jakutien Erdöl, Gas und Kohle gefördert, Diamanten, Edelmetalle und Mammutelfenbein gewonnen werden, ist von Reichtum vor Ort wenig zu spüren. Männer werden verstärkt von hier und aus anderen östlichen Regionen, wo ethnische Minderheiten leben, als Kanonenfutter an die Front in der Ukraine beordert. Während Russen aus den reichen Zentren Moskau und Sankt Petersburg im Westen des Landes beim Kriegsdienst ausgespart werden.

Trotz der langen Unter­drückungsgeschichte gebe es paradoxerweise eine Menge jakutischer Kriegsanhänger, berichtet Ammosov: „Die Jakuten sind einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Sie glauben immer noch, was ihnen im russischen Staatsfernsehen aufgetischt wird. Die Propaganda behauptet, dass Jakuten und Russen Brüdervölker seien, dass wir angeblich einen gemeinsamen Feind hätten. Und viele Menschen glauben das auch noch.“

Seine Liebe gilt der Muttersprache Jakutisch

Ammosov stammt aus armen Verhältnissen, wuchs in einem Dorf auf und zog mit 18 nach Jakutsk, wo er Russisch und Literatur auf Lehramt studierte. Doch seine Liebe galt stets der Muttersprache Jakutisch. In ihr schrieb er seit der Jugend Gedichte, die er in Regionalzeitungen veröffentlichte und später auch zu Songtexten für seine Musikprojekte verarbeitete.

In Underground-Kreisen bekannt wurde Ammosov als Sänger der 2016 gegründeten Band Crispy Newspaper, die ihre Alben beim jakutischen Label „yunost severa“, Russisch für „Jugend des Nordens“, veröffentlichte. „Sacha-Punk“ nennt Ammosov sein Genre, das musikalisch an die US-Band Fugazi und ästhetisch an die russische Perestroika-Kultkombo Kino gemahnt. Tatsächlich bildete sich in den letzten Jahren eine spannende lokale Punk- und Rockszene in Jakutien aus. Die Stoner­band Kuturar, die ebenfalls auf Jakutisch singt, gehört zu ihren bekanntesten Vertretern.

Im kasachischen Exil brachte Ammosov die bis dato neueste EP von Crispy Newspaper heraus, allerdings ohne die anderen Bandmitglieder, die noch in Jakutsk leben. Das Cover zeigt eine Ermächtigungsfantasie: Drei vermummte Sacha-Kämpfer mit Kopfbinden haben einen doppelköpfigen Adler – das Symbol des russischen Imperialismus – erlegt.

Inzwischen lebt Ammosov in Düsseldorf in einer Flüchtlingsunterkunft, wartet auf die Klärung seines Status. Er ist sich sicher, dass es mit Aktivismus und Punk weitergeht. „Ich werde die Band wieder zusammenstellen und auch in Deutschland live spielen. Als ich im Gefängnis war, habe ich zwei Kladden mit Gedichten voll geschrieben.“ Er werde auch Wohltätigkeits-Konzerte geben, um Geld für die ukrainische Armee zu sammeln und auch anderen Flüchtlingen und politischen Gefangenen zu helfen.

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