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„Eine Kamera zu haben, ist schlimmer als eine Waffe“

Der Krieg im Sudan erhält nur wenig internationale Aufmerksamkeit. Deshalb hat sich in Hamburg die Gruppe Talk About Sudan gegründet. Mohamed Elfatih Ahmed erzählt von der Gründung und seinen Erfahrungen als sudanesischer Geflüchteter aus der Ukraine

Machtkampf im Sudan: Jugendliche gehen durch eine von Geschosseinschlägen übersäte Straße Foto: Mudathir Hameed/dpa

Interview Marie Dürr

taz: Herr Ahmed, aus welcher Gegend im Sudan kommen Sie?

Mohamed Elfatih Ahmed: Ich komme aus dem Bundesstaat Al-Dschazira. Ich bin dann vor einigen Jahren in die Ukraine gegangen, um dort Medizin zu studieren. Als der Ukraine-Krieg ausbrach, kam ich nach Hamburg und lebe hier mittlerweile seit mehr als zwei Jahren.

taz: Im April 2023 ist dann der Krieg im Sudan ausgebrochen. Wie haben Sie das erlebt?

Ahmed: Es war von Anfang an sehr schwierig für mich und alle sudanesischen Bürger. Ich habe erst mal darüber nachdenken müssen, wie ich meiner Familie im Sudan helfen kann und habe mich in Hamburg um eine Arbeitserlaubnis bemüht, um meine Familie finanziell zu unterstützen. Die Erlaubnis habe ich aber bis heute nicht bekommen. Ich habe dann mit vielen Freunden gesprochen und gemeinsam überlegt, wie wir helfen können. So kam es zu der Idee, die Gruppe „Talk About Sudan“ zu gründen.

taz: Der Krieg im Sudan wird auch als „der vergessene Krieg“ bezeichnet. Wann haben Sie gemerkt, dass die Aufmerksamkeit für die Geschehnisse im Sudan fehlt?

Ahmed: Von Anfang an. Die Medien haben nicht genug auf die Situation im Sudan aufmerksam gemacht. Irgendwie ist das Thema nicht so interessant für Europa. Es gibt nicht viele Bilder, weil das Land für Journalisten sehr unzugänglich ist. Dort eine Kamera zu haben, ist schlimmer als eine Waffe. Außerdem lag der Fokus der Berichterstattung beim Ukraine-Krieg und seit dem 7. Oktober auch auf dem Konflikt zwischen Israel und Palästina.

taz: Obwohl sich im Sudan laut einem Bericht des International Rescue Committee (IRC) in diesem Jahr wieder die größte humanitäre Krise der Welt abspielt.

Ahmed:Der Sudan ist fünfmal so groß wie Deutschland. Die humanitäre Krise ist größer als die in der Ukraine, in Palästina, im Libanon und in Somalia zusammen. Natürlich sind alle diese Kriege schlimm, aber wir wollen, dass die Leute auch wissen, was in unserem Land passiert.

taz: Was ist das Ziel von Talk About Sudan?

Ahmed: Wir wollen den Menschen erst mal erzählen, was in unserem Heimatland gerade los ist.

taz: Wer ist bei Talk About Sudan organisiert?

Ahmed: Es hat mit mir angefangen. Ich habe im Herbst eine Kundgebung bei der Polizei angemeldet und direkt viel Unterstützung bekommen von Bekannten und anderen aktivistischen Gruppen. Zum Beispiel von der Black Community und der Partei Die Linke, die das Ankündigungsplakat der Kundgebung auf ihrer Website gepostet hat. In der Gruppe sind wir jetzt ungefähr 14 Leute. Aber es gibt auch viele weitere, die uns immer wieder unterstützen.

taz: Welche Aktionen haben Sie außerdem auf die Beine gestellt?

Ahmed: Wir treffen uns zweimal die Woche im Internationalen Zentrum B5 in St. Pauli. Wir haben einen Filmabend organisiert und weitere Kundgebungen. Jeden Samstag kochen wir gemeinsam Essen und verteilen es im B5 auf Spendenbasis. Die Gewinne gehen alle an Organisationen, die im Sudan Essen verteilen. Wir wollen Schritt für Schritt außerhalb Hamburgs eine sudanesische Community aufbauen, uns vernetzen. Außerdem ist Instagram unsere Hauptplattform, um Informationen aus dem Sudan zu teilen.

taz: Woher bekommen Sie selber Ihre Informationen?

Ahmed: Wir haben Kontakt zu unseren Familien und es gibt auch internationale Channels, in denen über das Thema geredet wird.

taz: Wie viel Zeit nimmt die Arbeit für Talk About Sudan gerade ein?

Ahmed: Eigentlich meine ganze Zeit. Weil ich auch die ganze Zeit mit vielen Leuten über das Thema rede und mich sowieso damit beschäftige. Ich übernehme momentan fast alles, was die Organisation angeht.

taz: Warum?

Ahmed: Ich will nicht so viel Druck auf die anderen in der Gruppe laden. Aus anderen Projekten, in denen ich engagiert war, weiß ich, dass viele Leute aufgegeben haben, weil die Themen sehr hart und sehr, sehr emotional sind. Also versuche ich, das meiste auf meinen Rücken zu nehmen.

taz: Wie schaffen Sie es, so vieles alleine zu tragen?

Foto: privat

Mohamed Elfatih Ahmed

25 Jahre alt; hat in der Ukraine Medizin studiert; Im Herbst 2024 hat er die erste Kundgebung von Talk About Sudan Hamburg organisiert.

Ahmed: Ich habe nichts anderes momentan. Und ich habe auch nichts, was ich machen kann. Als ich aus der Ukraine hergekommen bin, hatte ich für sechs Monate eine Fiktionsbescheinigung.

taz: Also nur eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung.

Ahmed: Ja, ich habe nach Ablauf der sechs Monate einen Abschiebungsbescheid bekommen. Ich wusste nicht, was ich mit meiner Zukunft machen soll. Deswegen habe ich erst mal eineinhalb Jahre lang einen Bundesfreiwilligendienst gemacht bei einer Beratungsstelle für Geflüchtete und in der Gastronomie. Ich habe Vollzeit 40 Stunden gearbeitet und hatte keine Zeit, an meinem C1-Niveau zu arbeiten.

taz: Sprachniveau C1 bräuchten Sie, um Ihr Studium fortsetzen zu dürfen.

Ahmed: Genau und ein Konto mit mindestens 10.000 Euro. Ich habe versucht, mein Bestes zu geben. Aber es hat sich nicht viel geändert. Ich bin geduldet. Ich habe seit fünf Monaten einen Arbeitsvertrag, aber habe noch keine Arbeitserlaubnis erhalten. Ich habe vier Jahre Medizin studiert. Mir fehlen noch vier Semester, aber ich darf nicht weiter studieren. Und ich habe in Deutschland mehr Diskriminierung erlebt als in den vier Jahren in der Ukraine.

taz: Möchten Sie davon mehr erzählen?

Ahmed: Seit wir aus der Ukraine geflohen sind, werden wir anders behandelt. Ukrainische Geflüchtete haben einen sichereren Aufenthaltstitel erhalten, obwohl wir vor dem gleichen Krieg geflohen sind. Dann ist da einmal die Bürokratie: Mein Abitur wurde im Gegensatz zur Ukraine hier nicht anerkannt. Und auch die alltäglichen Situationen: In der Ukraine wurde ich nie als „Migrant“ angesehen. Seit ich die Grenze überquert habe, ist das ständig Thema –ob durch die AfD, im Fernsehen oder durch Blicke und Kommentare auf der Straße.

taz: Sie kamen in die Ukraine, um zu studieren, mussten von dort fliehen, obwohl Sie eigentlich kurz vor Ihrem Abschluss standen. Hier wird Ihnen keine Möglichkeit gegeben weiterzustudieren. Wie halten Sie das durch?

„Die humanitäre Krise ist größer als die in der Ukraine, Palästina, Libanon, Somalia zusammen“

Ahmed: Ich dachte irgendwann: Okay, obwohl alles schlecht und schlimm bei mir läuft, kann ich vielleicht mit der Organisation „Talk About Sudan“ zumindest etwas Gutes machen. Ich werde immer inspiriert von vielen Menschen.

taz: Von wem?

Ahmed: Von Leuten, die für das Recht und gegen systematische Diskriminierung gekämpft haben.

taz: Was wünschen Sie sich?

Ahmed: Dass noch viel mehr Leute versuchen, uns zu unterstützen. Wir wollen auch mehr lernen. Zum Beispiel wie man einen Verein organisiert, denn wir gründen gerade einen. Und ich wünsche mir, dass der Krieg und die Notlage im Sudan ernster genommen werden. Die Menschen im Sudan und auch wir wollen einfach Sicherheit und wir wollen einfach leben.

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