: Second Life als Albtraum
Die zweite Staffel von „Severance“ entwickelt wieder Mindgames. Die hochintelligente Serie diskutiert die Erweiterung des Körpers für Profit
Von Thomas Klein
Schon die erste Staffel war eine komplexe dystopische Reflexion über Zukunft und Gegenwart der Arbeit mit einer ordentlichen Prise Satire. Wenn eine größere Work-Life-Balance wünschenswert ist, bietet es sich dann nicht einfach an, eine klare Trennlinie zwischen dem arbeitenden und dem privaten Subjekt zu ziehen?
In „Severance“ ist dem mysteriösen Pharma-Konzern Lumon Industries genau dies gelungen: Mitarbeiter können so beschäftigt werden, dass sie sich durch einen ins Gehirn eingepflanzten Chip nicht an die Arbeit erinnern können. So entsteht eine neue dialektische Spezies der Arbeitsgesellschaft: die Outies und die Innies. Doch die Innies werden auf der Arbeit so schlecht behandelt und ihre Tätigkeit erscheint ihnen derart sinnlos, dass einige rebellieren. Die Innies von Mark (Adam Scott) und seinen Mitarbeitern Dylan George (Zach Cherry), Helly Riggs (Britt Lower) und Irving Bailiff (John Turturro) wollen zudem wissen, wer ihre Outies sind. Das gelingt ihnen zum Ende der ersten Staffel auch. Allerdings findet Mark heraus, dass es die verstorbene Frau seines Outies als Innie gibt und sie eventuell noch lebt. Und Helly ist Innie der Tochter des Konzernchefs und entfacht einen Skandal, weil sie in der Öffentlichkeit die schlimmen Arbeitsverhältnisse publik macht.
In der zweiten Staffel geht es also um die Suche nach Marks Frau und darum, wie Helly ein Leben zwischen Outie und Innie vereinbaren kann. Mit diesen zentralen Handlungssträngen wird wieder eine Mindgame-Dramaturgie entwickelt, die mit allerhand rätselhaften Situationen und Überraschungen aufwartet.
Der Spieß der Work-Life-Balance, so wie sie in den letzten Jahren diskutiert wurde, wird in „Severance“ umgedreht: Während die Privatmenschen zunächst recht zufrieden sind, streben die Arbeitenden zunehmend nach Erkenntnis. Das kennen wir von Erzählungen über Roboter und künstliche Intelligenzen. Sind die Innies nichts anderes als künstliche Erweiterungen der Outies? Darauf, dass es in der Serie auch um die Digitalisierung unserer Lebenswelt geht, verweist bereits die unsinnige Arbeit, die in der Abteilung, deren Leiter Mark ist, zu leisten ist: Mit dem Computer müssen sie umherfliegende Zahlen auf dem Bildschirm einsammeln und in Behälter am unteren Rand des Displays ablegen. Das mutet wie ein simples Bildschirmspiel an. Und überhaupt erinnert das Setting mit seinen endlosen Gängen und Türen, hinter denen sich überraschende Räume auftun, an die gute alte Computerspielzeit der 1970er und 1980er Jahre. Dieser Retro-Look erzählt aber etwas über unsere digitale Gegenwart und Zukunft.
Der Konzern selbst nennt seine Erfindung, also im Grunde den entwickelten Chip, eine transformative Technologie. Es geht also auch um Transhumanismus. Und diese Theorie und Praxis ist stark mit der Digitalisierung verwoben. Im Grunde sind die Innies Erweiterungen der Outies zu Cyborgs. Ihre Arbeit in der Abteilung Macrodata Refinement könnte auch insofern eine Verfeinerung oder Veredelung von Daten sein, als sie – der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie von Makro- und Mikrodaten folgend, wonach die Makroebene die eines Konzerns und die Mikroebene die der Angestellten ist – der Optimierung des Konzerns dienen. Was den Anschein eines banalen Sammelns von Daten erweckt, könnte auch maschinelles Lernen sein, wodurch Algorithmen des Konzerns optimiert werden.
So erzählt diese hochintelligente Serie von Ben Stiller auch davon, dass die Erfüllung der Utopie einer gewinnbringenden Erweiterung unseres Körpers durch digitale Technologie bis hin zu künstlichen Mischintelligenzen immer von den Konzernen abhängen wird, die sie herstellen.
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