orte des wissens: Notfallübung unter Realbedingungen
Das bundesweit einzigartige Institut für Rettungs- und Notfallmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein bündelt Expertise für NotfallpatientInnen
Wer einen Rettungswagen durch die Stadt fahren sieht, mit Blaulicht und Folgetonhorn, begreift: Jetzt wird es ernst. Über das Personal an Bord, über sein Equipment und seine Kompetenzen wissen die meisten nur wenig. Ist ja auch ein düsteres Thema. Niemand denkt gern darüber nach. Ein Blick auf das Institut für Rettungs- und Notfallmedizin (Irun) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) zeigt, wie facettenreich das Thema ist: RettungssanitäterInnen werden hier ausgebildet, Kurse für Notärzte stehen auf dem Programm, Intensivtransport-Kurse, Reanimationskurse, Kurse für Atemwegsmanagement und Narkose.
Und das ist nur ein Teil der Bandbreite des Irun, das seit Herbst 2015 existiert und heute in Kiel und Lübeck rund 60 Mitarbeitende hat: „Damals war das in der Universitätslandschaft bundesweit ein Novum“, sagt Anästhesiologe Jan-Thorsten Gräsner der taz, Hochschulprofessor und Direktor des Instituts. „Mittlerweile sind Institute in München und Aachen dazugekommen, aber die haben teils andere Schwerpunkte als wir.“
Der Zeitpunkt der Gründung war herausfordernd: „Wir waren gerade frisch in der Aufbauphase“, sagt Gräsner, „als eine Aufgabenstellung auf uns zukam, mit der wir nicht gerechnet hatten: die sich zuspitzende Flüchtlingslage. Die Politik fragte das UKSH nach Lösungen und wir konnten helfen.“ Auf 750 Kurse kommt das Irun mittlerweile pro Jahr.
Das Institut beteiligt sich an der Aus- und Weiterbildung des Krankenpflegepersonals am UKSH, sorgt für das Qualitätsmanagement seiner Notfallversorgung. Externe buchen hier Kurse – aus Rettungsdiensten, Arztpraxen, Apotheken. Es organisiert das europaweit vernetzte Deutsche Reanimationsregister, die größte notfallmedizinische Datenbank Deutschlands. Einer der wissenschaftlichen Schwerpunkte ist die Reanimationsforschung. Zudem berät man das Robert-Koch-Institut (RKI) und arbeitet an einer Digitalplattform für strategische PatientInnenverlegungen in „Überlastungssituationen“ – ausgehend von Covid-19-IntensivpatientInnen 2021, seit 2022 auch bezogen auf PatientInnen aus der Ukraine. Eine Innovation, die auf viele Situationen reagieren kann.
Dennoch finden die Mitarbeitenden noch Zeit für die eigene Arbeit an PatientInnen: „Wir leben, was wir lehren“, sagt Gräsner. „Alle unserer KollegInnen, mich selbst eingeschlossen, sind nach wie vor auch praktisch prähospital tätig, auf der Straße, im Rettungsdienst. Diese Sichtbarkeit schafft zusätzliche Glaubwürdigkeit. Wir haben Notfallmedizin im Blut.“
Aber das Irun steht auch für Simulationen, nicht zuletzt im Namen der Erstversorgung von Neugeborenen. „Ein Beispiel dafür ist unser Baby-Intensivtransportwagen, ein Simulationsfahrzeug, überall mit Kameras bestückt“, sagt Gräsner. „Natürlich kann man solche Notfälle auch in einem Raum üben, in dem man viel Platz hat. Wir machen es realistischer. Wir trainieren die Versorgung von Neugeborenen in der Enge eines Fahrzeugs, optional auch während der Fahrt.“
Zuweilen braucht es auch im Kleinen Wege jenseits des Konventionellen. „Krankenhausstationen halten Notfallwagen vor, ausgestattet mit medizinischen Utensilien“, berichtet Gräsner. „Aber sie sind unterschiedlich bestückt, individuell. Natürlich möchten wir nicht, dass das alles umgekrempelt wird. Also haben wir zusätzlich einen Rucksack entworfen, dessen Ausstattung standardisiert ist, der genau das enthält, mit dem das Personal in unseren Kursen trainiert hat. Das hat sich als sinnvolles Add-on erwiesen.“
Krankheit und Unfall, Blaulicht und Autos, die Durchlassgassen bilden: Ein düsteres Thema. Niemand denkt gern darüber nach. Menschen wie Gräsner tun es. Harff-Peter Schönherr
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