: USA first schon unter den Nazis
Die Nationalsozialisten, allen voran Hitler selbst, schauten sich rassistische Praktiken und Gesetze in den USA ab. Dort forschten Eugeniker Anfang des 19. Jahrhunderts an renommierten US-Universitäten – und legitimierten den Einsatz von Zyklon B an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, noch bevor es im Holocaust zum Massenmord verwendet wurde
Von Kathrin Zeiske
Er habe Hitlers Reden als Nachtlektüre neben dem Bett liegen, erzählte Donald Trumps Ex-Frau Ivana Trump bereits 1990 dem Modemagazin Vanity Fair. Bei einer Wahlkampfveranstaltung im Dezember 2023 verkündete Trump, nie „Mein Kampf“ gelesen zu haben und daher auch nicht Hitler zu zitieren, als er vor seinen Anhänger:innen wiederholte, dass klandestine Grenzgänger:innen „das Blut unserer Nation vergiften“. Seit Montag ist er erneut Präsident der Vereinigten Staaten.
„Ein klares Hitler-Zitat“, ärgert sich der US-Historiker David Dorado Romo. „Doch vielleicht hat Trump recht, vielleicht haben US-amerikanische Eugeniker so etwas schon vor Hitler gesagt.“ Romo lebt in der texanischen Grenzstadt El Paso, seine Familie stammt aus dem benachbarten Mexiko. Er studierte an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Heute konzentrieren sich seine Nachforschungen auf globale historische Zusammenhänge, die zur mexikanisch-amerikanischen Grenze führen und sich in der Mikrogeschichte seiner Stadt widerspiegeln. Dabei stößt er immer wieder auf ideologische Gemeinsamkeiten wie auch ganz direkte Verbindungen zwischen US-amerikanischen „Rassenkundlern“ und Nazideutschland.
Die Bewegung der Eugeniker setzte sich in den USA für die Schaffung einer „Master Race“ – im nationalsozialistischen Deutschland wurde der Begriff „Herrenrasse“ verwendet – durch Geburtenkontrolle, Zwangssterilisationen, Intelligenztests und Einwanderungsgesetze ein. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte diese prominente Anhänger wie den Cornflakes-Schöpfer Dr. Harvey Kellogg und US-Präsident Woodrow Wilson und spielte noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg eine bedeutende Rolle in den Vereinigten Staaten.
Mithilfe pseudowissenschaftlicher Studien über angeblich bestimmten ethnischen Gruppen zuschreibbare genetische Eigenschaften wurde versucht, bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten und einkommenschwache Menschen, Menschen mit Behinderungen, mit diverser sexueller Identität und Angehörige schwarzer, indigener, mexikanisch- und asiatischstämmiger Communitys auszugrenzen und ihre Zahl in den Vereinigten Staaten zu begrenzen. Die Ideologie prägt bis heute existente gesellschaftliche Vorurteile.
„Die Nazis beobachteten genau, was sich jenseits des Atlantiks tat“, bekundet Romo. Hitler begeisterte sich für das US-Einwanderungsgesetz von 1924, das das Gedankengut der Eugeniker in sich trug und nach dem Migrant:innen bestimmter ethnischer Herkunft die Einreise verweigert wurde. „Er schrieb dem Harvard-Chef-Eugeniker Madison Grant ‚Fanpost‘ und bezeichnete dessen Buch ‚The Passing of the Great Race‘ als ‚seine Bibel‘.“
Begriffe, die heute weltweit als Naziterminologien bekannt sind, wie das Konzept vom „Untermenschen“, tauchten erstmals in den USA auf. Der US-Eugeniker Lothrop Stoddard stellte es in seinem Buch „The Revolt of Zivilisation. The Menage of the Under-Man“ auf. „Ich persönlich dachte immer, diesen Begriff hätten die Nazis erfunden“, sagt David Romo. Diese schauten aber auf die Eliteprofessoren in den Staaten, auf Einwanderungsgesetze an den US-amerikanischen Grenzen und die Praktiken der sogenannten Rassenhygiene im Inneren. Letztere wurden oft eins zu eins übernommen, so der Historiker; nur die Begrifflichkeiten wurden ausgetauscht.
„Sterilisation der Untauglichen“ vor allem in Kalifornien
Zwischen 1907 und 1932 verabschiedeten 32 US-Bundesstaaten unter dem Einfluss pseudowissenschaftlicher Studien Gesetze, die es der Regierung erlaubten, Menschen mit angeblichen geistigen Behinderungen und psychischen Krankheiten zu sterilisieren. Mehr als 60.000 Männer, Frauen und Kinder wurden auf gesetzlicher Grundlage sterilisiert. Die überwiegende Mehrheit war arm, lebte mit Behinderungen, viele waren Heim- oder Gefängnisinsassen. Vor allem aber galten die Gesetze Menschen, die nicht weiß waren.
„Damit sollten ‚nordische Züge‘ in der US-Bevölkerung ‚gestärkt‘ werden“, so Romo. Der Begriff „nordisch“ sei in den USA sehr ähnlich dem Begriff „arisch“ in Deutschland verwendet worden, im Bezug auf eine angebliche „Herrenrasse“ aus Nordeuropa.
Ausschlaggebend bei der „Sterilisation der Untauglichen“ war der Eugeniker Lewis Terman, der in Stanford forschte und lehrte. Er hatte den „Stanford-Binet-Test“ geschaffen und schrieb in seinem 1916 erschienenen Buch „The Measurement of Intelligence“, dass Letztere nicht nur erblich sei, sondern auch direkt mit Moral, Kriminalität und Armut in Zusammenhang stünde. Termans rassistischen Studien zufolge waren niedrige Intelligenzquotienten in der schwarzen, Latino-, Native American- und asiatischstämmigen Bevölkerung überproportional verbreitet.
Bis 1933 hatte Kalifornien mehr Menschen einer Zwangssterilisation unterzogen als alle anderen US-Bundesstaaten zusammen. US-Eugeniker der Westküste schrieben „Rassenkundlern“ an deutschen Universitäten und Kliniken von ihren Erfolgen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem wurde federführend im Entwurf von nationalsozialistischer „Rassenpolitik“. Noch im selben Jahr wurde in Nazideutschland das von Kalifornien inspirierte Gesetz verabschiedet, demzufolge im Dritten Reich mindestens 350.000 Kinder und Erwachsene zwangssterilisiert wurden.
Nach seiner Rückkehr von einer Reise nach Nazideutschland, wo allein im Jahr 1934 mehr als 5.000 Menschen pro Monat zwangssterilisiert wurden, konstatierte der kalifornische Eugeniker C. M. Goethe gegenüber einem Kollegen: „Es wird Sie interessieren, dass Ihre Arbeit eine wichtige Rolle bei der Meinungsbildung der Intellektuellen gespielt hat, die hinter Hitlers epochalem Programm stehen. Überall spürte ich, dass ihre Meinungen enorm durch das amerikanische Denken angeregt wurden.“
Der Eugeniker Harry H. Laughlin, der in Princeton seinen Doktor gemacht hatte, beeinflusste maßgeblich die „Nürnberger Gesetze“, mit denen die Nazis alle Deutschen, die ihrer Meinung nach nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörten, ihrer Rechte enthoben. 1936 sollte Laughlin an der Universität Heidelberg die Ehrendoktorwürde für seine Arbeit erhalten. Aus finanziellen Gründen konnte er nicht zur Zeremonie nach Europa reisen und nahm die Auszeichnung stattdessen von der Rockefeller-Stiftung entgegen.
David Dorado Romo, Historiker
Die Rockefeller-Stiftung half auch bei der Entwicklung und Finanzierung verschiedener Eugenikprogramme in Nazideutschland, darunter auch jenes, an dem Josef Mengele arbeitete, bevor er seine Arbeit im KZ Auschwitz aufnahm. „In Deutschland gab es keine Stiftungsgelder für eine ‚Rassenforschung‘, wie sie an den US-Universitäten betrieben wurde“, so Romo. „Die Nazis verfolgten begeistert, was in den in ihren Augen auf diesem Feld ‚fortschrittlichen‘ USA vor sich ging.“
„Sogar Zyklon B wurde zunächst als Pestizid bei der Kontrolle mexikanischer Wanderarbeiter an der Südgrenze der USA eingesetzt, bevor es zunächst für Entlausungen und dann für den Massenmord in Vernichtungslagern der SS eingesetzt wurde“, so der Historiker. Mit der Rechtfertigung, dass Mexikaner:innen Läuse und mit diesen Typhus in die USA einschleppten, wurden schon ab 1917 Pestizide auf der Grenzbrücke Santa Fe zwischen Ciudad Juárez und El Paso eingesetzt. Alle Grenzgänger:innen mussten sich komplett entkleiden, untersuchen lassen und Kerosinbäder nehmen. Die abgelegten Kleidungsstücke wurden dann auch noch mit Pestiziden bearbeitet.
„Ab 1929 wurde dafür Zyklon B verwendet“, berichtet Romo. Wäre es direkt auf den menschlichen Körper aufgetragen worden, hätte es schwere Gesundheitsschäden oder sogar den Tod zur Folge gehabt. Während die Beamten Gasmasken trugen, berichteten Betroffene von Brechreiz und starken Hautreaktionen. Der jugendliche David Romo hörte zum ersten Mal von seiner Großtante über die Demütigungen, die sie an der Grenzbrücke Santa Fe erdulden musste. Adela Dorado arbeitete in den 1930er Jahren als Dienstmädchen in El Paso und wurde regelmäßig gezwungen, sich nackt vor den Grenzbeamten auszuziehen, die Witze und Fotos machten, so Romo.
Vom Nationalsozialismus überzeugte Chemiker
Der Einsatz des Biozids an der US-mexikanischen Grenze wurde in Nazideutschland übernommen. Im „Anzeiger für Schädlingskunde“ von 1937 berichtet Dr. Gerhard Peters davon. „Er spricht vom ‚Schutz des Vaterlandes‘ vor ‚ausländischem Ungeziefer‘. Später sichert Peters, NSDAP-Mitglied und SA-Angehöriger, für die Degesch, die „Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“, ein Tochterunternehmen der I. G. Farben, das Patent für die Massenproduktion von Zyklon B. „Vom Nationalsozialismus überzeugte Chemiker wie er instruierten dann im Holocaust das Personal der Konzentrationslager, wie sie es auf eine sichere Weise für sich und eine absolut tödliche für die Insassen anwenden konnten.“ Laut dem Historiker Michael Thad Allen soll es Peters gewesen sein, der die SS erstmals auf die Eignung des Nervengifts Zyklon B zur Massenvernichtung hinwies.
In einem Nachfolgeprozess der I. G.-Farben-Prozesse wurde Peters 1949 zu fünf Jahren Gefängnis und drei Jahren Ehrverlust verurteilt. 1955 legte er dagegen erfolgreich vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main Berufung ein. Viele der Angeklagten in den Nürnberger Prozessen hatten zehn Jahre zuvor versucht, ihre Verbrechen vor den Alliierten zu rechtfertigen, indem sie auf die gemeinsamen Grundlagen der US-amerikanische Eugenikbewegung und der „Rassenpolitik“ der Nationalsozialisten verwiesen.
In den USA macht Donald Trump derweil eugenisches Gedankengut wieder salonfähig. Er will massive Abschiebungen aus den Staaten umsetzen; auch von Familien mit Kindern, die US-amerikanische Staatsbürger:innen sind. „Das hatten wir schon mal“, seufzt Romo.
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