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„Gegen Verschärfungen“ oder offen für Merz?

Während die Migrationsdebatte den Wahlkampf erfasst, geht es beim Programmparteitag der Grünen am Sonntag in Berlin auch um die Frage: Bleiben Haltelinien beim Asylrecht?

Am Sonntag ausgeschlafen? Robert Habeck und Annalena Baerbock auf dem letzten Parteitag im Herbst Foto: Michael Kappeler/dpa

Von Tobias Schulze

Für einen Moment sorgte die Asylpolitik in diesem Wahlkampf schon für Aufregung bei den Grünen. An einem Montagmorgen Anfang Januar war ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck zum Interview im Deutschlandfunk. Zu Abschiebungen nach Syrien gefragt, antwortete er kühl: „Diejenigen, die hier arbeiten, können wir gut gebrauchen.“ Die anderen müssten wieder gehen, wenn ihre Heimat sicher ist.

Nicht gerade das, was man im linken Flügel der Partei gerne hört. Aber wenig später fing Habeck die Aussage wieder ein: Es sei früh am Morgen gewesen und für die Antwort hatte er nicht viel Zeit, so verkürzt habe er es nicht gemeint. Damit war die Sache erledigt: Für interne Dispute ist es gerade kein guter Moment. Und dominiert hat das Thema Flucht und Migration diesen Wahlkampf bislang ohnehin nicht.

Das könnte sich jetzt ändern. Nach dem tödlichen Messerangriff eines abgelehnten und ausreisepflichtigen Asylbewerbers aus Afghanistan läuft die nächste Abschiebedebatte. CDU-Kandidat Friedrich Merz fordert weitere massive Asylrechtsverschärfungen. Für die Grünen gibt es jenseits der Union im Moment zwar keine realistische Machtoption – gleichzeitig wären Merz’ Forderungen für weite Teile der Partei nur schwer mitzutragen.

Am Sonntag wird ein Parteitag über das grüne Wahlprogramm beraten. Viele Änderungsanträge am Entwurf der Parteispitze zielen darauf ab, eine liberale Asylpolitik festzuschreiben. Gehen sie durch, würde eine schwarz-grüne Koalition noch mal ein gutes Stück unrealistischer.

Man stelle sich „gegen Verschärfungen“ bei Asylrechtsänderungen, heißt es zum Beispiel in einem Antrag der Grünen Jugend. „Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete verbieten sich“, heißt es in einem Antrag der parteiinternen Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht. Speziell gegen Rückführungsvereinbarungen mit den Regimen in Afghanistan und Iran spricht sie sich aus.

Aufmerksamen Le­se­r*in­nen müsste das alles bekannt vorkommen: Schon zum letzten Grünen-Parteitag im November, auf dem inhaltliche Grundlagen für das Wahlprogramm gelegt wurden, waren entsprechende Forderungen in der Diskussion. In das Beschlusspapier zum Thema schafften es am Ende abgeschwächte Formulierungen. In den Entwurf für das Wahlprogramm wurden diese hinterher aber nicht übernommen – daher wiederholt sich die Diskussion jetzt.

Das gilt auch für andere asylpolitische Forderungen. So richten sich Anträge der Grünen Jugend und der kürzlich verstorbenen Bundestagsabgeordneten Stephanie Aeffner gegen Bezahlkarten für Asylbewerber*innen, die Bargeldobergrenzen vorsehen. Die Abgeordnete Karoline Otte fordert, Arbeitspflichten für Geflüchtete zu unterbinden und ihnen stattdessen einfacheren Zugang zum regulären Arbeitsmarkt zu verschaffen. „Schon jetzt gehen die Forderungen dazu über, den Arbeitszwang auf weitere Personengruppen auszuweiten. Dieser Debatte müssen wir einen Riegel vorschieben“, heißt es in ihrer Begründung unter anderem.

Insgesamt sind aus der Partei über 1.800 Änderungsanträge eingegangen

Insgesamt gibt es aus der Partei über 1.800 Änderungsanträge am Programmentwurf. Vor früheren Wahlen waren es zwar auch schon mal über 3.000, damals dauerten die zuständigen Programmparteitage aber auch ein ganzes Wochenende. Wegen des vergleichsweise kurzen Wahlkampfs sind dieses Mal nur acht Stunden vorgesehen. Entsprechend hatte die Parteispitze ihren Programmentwurf kurz gehalten und um Zurückhaltung bei den Änderungsanträgen gebeten.

Immerhin: Aufgehen könnte der Zeitplan trotzdem noch. Erfahrungsgemäß werden zu etlichen Anträgen kurzfristig noch Kompromisse in Verhandlungen gefunden, sodass der Parteitag selbst nur über verhältnismäßig wenige strittige Punkte abstimmen muss.

Weit auseinander gehen die Positionen bislang in vielen Themenfeldern. Der Programmentwurf sieht zum Beispiel Verteidigungsausgaben in Höhe von „dauerhaft deutlich mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts vor“. Robert Habeck hatte in einem Interview 3,5 Prozent gefordert. Verschiedene Änderungsanträge gehen von maximal 2 Prozent bis zu „mindestens 4 Prozent“. Weitere Themen mit Konfliktpotenzial: Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, ehrgeizigere Zielvorgaben beim Klimaschutz und – ein absoluter Klassiker auf Grünen-Parteitagen – die Abschaffung von Homöopathie als Leistung der Krankenkassen.

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