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Mit dem Mikrofon auf Tonjagd

Die Hörspielschmiede „Ohrenkneifer“ nimmt in Hamburg, Lüneburg und Fulda Krimis, Western und Science-Fiction-Geschichten auf

Kraftvolle Klänge: Dirk Hardegen, Detlev Tams und Mark Schülert (v.l.) Foto: privat

Von Wilfried Hippen

Die Musik schwillt bedrohlich an, aufgeregtes Stimmengewirr, eine laute Explosion. Hier wird großes populäres Kino heraufbeschworen – allerdings nur akustisch. Die Sprecher, Regisseure, Autoren und Musiker Detlef Tams, Marc Schülert und Dirk Hardegen produzieren Hörspiele. In ihren kleinen Zimmerstudios in Hamburg, Lüneburg und Fulda basteln sie für ihre Produktionsfirma „Ohrenkneifer“ Thriller, Horrordramen, Western, Krimis und Science-Fiction-Geschichten zusammen.

Aber sind Hörspiele bei der Übermacht der überall und ständig verfügbaren visuellen Medien nicht längst ein Anachronismus? Tatsächlich gibt es seit einiger Zeit eine Wiedergeburt des rein akustischen Erzählens. Hören ist bequemer als Lesen, und beim Autofahren oder als Einschlafhilfen werden Hörbücher und Hörspiele immer beliebter. Dies belegen die hohen Klickzahlen in Mediatheken, auf Spotify und Youtube. „Ohrenkneifer“ ist zwar keiner von den großen Gewinnern dieses Trends, aber mit ihren inzwischen über 20 Hörspielproduktionen haben sie sich eine Nische geschaffen und eine kleine, treue Fangemeinde aufgebaut.

Dabei schien das populäre Hörspiel in den frühen 2000er Jahren endgültig gestorben zu sein. Neben den mit großem Budget produzierten Hörspielen der öffentlich rechtlichen Radiosender, die ein ganz anderes Renommee haben, entwickelte sich von den frühen 1960er Jahren an eine alternative Szene für populäre Hörspiele, deren Produktionsweise immer an die jeweilige Technik der akustischen Wiedergabe gekoppelt war. Die Adaption von Karl Mays „Der Schatz im Silbersee“ aus dem Jahr 1962 mit Josef Offenbach wurde zum Beispiel noch auf sechs Schallplatten-Singles gepresst.

Mit der Einführung der LP wurde dann das Label „Europa“ marktbeherrschend. Deren größter Hit war die Hörspielreihe „Die drei???“, die in den 1970er Jahren auf Musikkassetten in den Kinderzimmern allgegenwärtig waren. In den 1980er Jahren versuchte Europa auch Hörspiele für ein erwachsenes Publikum auf dem Markt durchzusetzen, und dies führte zu dem kuriosen Fall, dass mit dem Hörspiel „Die Schlangenköpfe des Dr. Gorgo“ aus der „Larry Brent“ Reihe ein Hörspiel auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ gesetzt wurde.

In den 1990er Jahren setzte sich dann die CD als akustischer Datenträger durch. Und obwohl auch dieses Medium inzwischen veraltet ist, lässt „Ohrenkneifer“ von jedem Hörspiel noch CDs in einer Auflage von etwa 1.000 pressen, die in ihrem „Hofladen – also auf ihrer Homepage – oder auf Plattformen wie Amazon bestellt werden können.

Das große Geld lässt sich damit nicht machen. Die meisten ihrer Hörspiele haben sie zudem auf Youtube hochgeladen, aber die Zahl der Aufrufe hält sich in Grenzen. Die drei Produzenten können also kaum von dieser Arbeit leben, bekommen gerade mal ihre Produktionskosten wieder rein und betreiben ihre mehr oder weniger brotlose Kunst aus Liebe zum Metier.

Das merkt man auch ihren Hörspielen an, die sehr sorgfältig produziert wurden. So klingt etwa die Filmmusik so abwechslungsreich und orchestral, dass man kaum glauben mag, dass sie von den Hörspielmachern selber komponiert und auf ihren digitalen Keyboards eingespielt wurden. Die Soundeffekte kommen zum Teil aus digitalen Dateien, aber zum Teil gehen die drei auch mit dem Hochleistungsmikro auf Tonjagd, um etwa den Klang von Schritten auf rutschendem Kies in einem Steinbruch einzufangen.

Mit bis zu zwanzig SprecherInnen, zu denen auch bekannte Namen wie Andreas Fröhlich zählen, sind die Hörspiele aufwändig besetzt, aber davon abgesehen produzieren Tams, Schülert und Hardegen sie weitgehend selbst. Zum Teil haben sie sogar die Bücher geschrieben. Dirk Hardegen etwa hat mit „Road to Hell“ einen wilden, sehr unterhaltsamen Genremix mit Einflüssen von Film Noir, David Lynch und Quentin Tarantino verfasst, der als Hörspiel aber nicht den erwünschten Erfolg hatte, weil keiner den Namen des Autoren kannte.

Beliebter waren seine Hörspiele, die auf Stoffen von Karl May beruhten. Inzwischen hat Hardegen sechs davon produziert, von denen der erste, „Old Firehand“, der interessanteste ist, weil dieses Frühwerk Karl Mays vom Verlag unbearbeitet in einem der späteren Werkbände veröffentlicht wurde. Hardegen entschied sich, Mays pathetischen Schreibstil nicht zu modernisieren.

Mit inzwischen über 20 Produktionen haben sich die Macher eine Nische geschaffen

Das klingt heute sehr seltsam und unfreiwillig komisch – ist aber vor allem erstaunlich werktreu. Neben ihrem immer noch hohen Bekanntheitsgrad haben die Geschichten Karl Mays auch den Vorteil, dass sie gemeinfrei sind, also keine Urheberrechte mehr existieren. Der Verlag hat aber immer noch die Rechte an den Titeln, und darum muss „Ohrenkneifer“ Lizenzen zahlen, um die Hörspiele „Der Schatz im Silbersee“, „Der Ölprinz“ oder „Unter Geiern“ nennen zu dürfen.

Hardegen hat sich inzwischen auf Klassiker der populären Literatur spezialisiert und hat vor wenigen Tagen seine Version von Robert L. Stevensons „Die Schatzinsel“ veröffentlicht. „20.000 Meilen unter dem Meer“ von Jules Verne ist bei ihm gerade in Arbeit.

Aber man kann bei „Ohrenkneifer“ auch Unbekanntes entdecken. So etwa die Science-Fiction-Produktion „Die Fünf von Terra – Im Auftrag des Unendlichen“, die auf einem Comic des Spaniers Esteban Maroto aus den 1970er Jahren beruht und sehr komisch die These belegt, dass nichts so schnell altmodisch wird, wie die Zukunftsvisionen von gestern.

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