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Konfrontation dreier Gruppen

Erzählt im Muster einer Fabel: Die Werwölfe dienen in Noëlle Krögers Graphic Novel „Meute“ als Chiffre für ein Anderssein

Von Christoph Haas

Wie ein General schreitet der Professor daher, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und wie Soldaten stehen seine Mitarbeiter in Reih und Glied vor ihm. „Monsieur … Monsieur … Monsieur“, lautet der Gruß des strengen Herrn, zum Schluss dann, nach kurzem Zögern, „Mademoiselle“.

Denn tatsächlich ist unter den talentierten Nachwuchskräften, die am „Institut für zeitgenössische Wissenschaften“ ihr Praxissemester absolvieren sollen, auch eine Frau. Das ist höchst ungewöhnlich, zumindest in einer französischen Kleinstadt Ende des 19. Jahrhunderts. So wird Margot zunächst einmal, wie selbstverständlich, zum Verrichten niederer Tätigkeiten abgeschoben. Sie muss Staub wischen, putzen und Tee ­servieren. Forschen und auf Ruhm hoffen dürfen die Männer.

Denn es steht eine Sensation bevor. Zum ersten Mal ist es gelungen, einen Werwolf – genauer gesagt eine Werwölfin – zu fangen. Nun gilt es das Rätsel dieser Spezies zu lösen. Eifrig entwickeln die Wissenschaftler Theorien, aber der Mensch, zu dem die halb Furcht, halb Mitleid erregende Kreatur nach einer Weile Kontakt aufnimmt, ist Margot.

Die Handlung in „Meute“ entfaltet sich aus der Konfrontation dreier Gruppen. Da sind zunächst Margot, ihre Lebensgefährtin Isabelle und Versailles, die Werwölfin. Ihnen gegenüber stehen die nur auf Erkenntnissuche fixierten Wissenschaftler und die Bürger der Kleinstadt, die sich vor den Werwölfen fürchten und sie zur Jagd freigeben.

Und da ist schließlich ein ganzes Rudel der verabscheuten Wesen, darunter auch kindliche, die in den Wäldern leben, seit sie ihre Identität erkannt und ihr früheres Leben halb freiwillig, halb unfreiwillig hinter sich gelassen haben.

Das bewährte narrative Muster, auf das Noëlle Kröger hier zurückgreift, ist die Tierfabel. Erzählt wird nicht nur, bezogen auf Margot, die Geschichte einer Emanzipation, sondern, in Gestalt der Werwölfe, auch von einer Minderheit, der die Mehrheit mit abschätzigem Unverständnis begegnet.

Spätestens wenn Margot am Ende erklärt, dass sich dank ihrer Forschung die Werwölfe jetzt frei, ungefährdet bewegen können und endlich „sichtbar für alle“ sind, ist der Verweis auf aktuelle LGBTQ+-Anliegen offensichtlich. Die Werwölfe dienen in „Meute“ als Chiffre für ein Anderssein, das von der Norm lange und gewalttätig ausgegrenzt wurde.

Ich bin ein taz-Blindtext. Von Geburt an. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein

Dafür, dass der Comic trotz dieses latent lehrhaften Charakters nicht schwerfällig daherkommt, sorgen die lebhaften Zeichnungen Krögers. In Szenen, die in Interieurs und in der Stadt spielen, dominieren etwas fade Rosa-, Gelb- und Blautöne, in Szenen in der Natur dagegen ein kräftiges, helles und dunkles Grün sowie Schwarz.

Ähnlich wie Barbara Yelin („Irmina“, „Emmie Arbel“) bevorzugt Kröger einen „unreinen“ Stil. Hintergründe, die bloße Farbflächen sind, wuchern oft über die Panelränder hinaus; Figuren können bewusst krakelig oder skizzenhaft dargestellt sein.

Doppelseiten, die jeweils 24 kleinformatige, quadratische Panels enthalten, verdeutlichen das angespannte, hektische Leben, in das Margot ihre Untersuchungen bringen. Wunderbar zeichnet Kröger zudem die Werwölfe: mal als quirlig-verspielte und liebevolle, mal als wild und bedrohlich wirkende, stets aber als kraftvolle und elegante Mischwesen.

Noëlle Kröger (Text und Zeichnungen): „Meute“. Reprodukt Verlag, Berlin 2024, 232 Seiten, 26 Euro

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