: Die Netzwerke der „Partei Gottes“
Matthew Levitts Standardwerk über die globalen Aktivitäten der Hisbollah wurde neu aufgelegt
Von Till Schmidt
Leicht zu fassen ist die Hisbollah nicht. Im Libanon ist die „Partei Gottes“ eine der dominanten politischen Parteien, sie unterhält die größte Miliz und ist eine religiöse und soziale Bewegung vor allem für Schiiten. Im Nahen Osten agiert sie als regionaler Akteur, der sich als Teil der von Iran angeführten „Achse des Widerstands“ auf die Zerstörung Israels eingeschworen hat. Darüber hinaus ist die Hisbollah im weltweiten Drogenhandel aktiv. Terroranschläge verübt sie vor allem auf israelische und jüdische Ziele.
Einige dieser Attentate konnten in den letzten Jahren vereitelt werden. So etwa in Thailand (2014), auf Zypern (2021) oder in Brasilien (2023). Im Jahr 2012 gelang es einem Mitglied einer Hisbollah-Zelle in Bulgarien, sich in einem Reisebus voller israelischer Tourist:innen in die Luft zu sprengen. Der Täter ermordete 6 Personen und verletzte 32 weitere. Ihren wohl bekanntesten Anschlag verübte die Hisbollah 1994 auf das Zentrum der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires. Angeordnet wurde das Attentat von hohen Funktionären des iranischen Regimes.
Matthew Levitt hat diese Aktivitäten in seinem Standardwerk „Hezbollah. The Global Footprint of Lebanon’s Party of God“ zusammengetragen. Das Buch stützt sich neben offiziellen Quellen und wissenschaftlicher Literatur auf freigegebene Geheimdienstberichte und auf Interviews mit Mitarbeitern verschiedener Sicherheitsdienste. Levitt war früher Analyst beim FBI und arbeitet heute als Terrorismusforscher am Washington Institute for Near East Policy. Der Politikwissenschaftler gilt als einer der weltweit führenden Experten zur Hisbollah. Er betreibt eine Website mit interaktiver Karte und einer Chronologie, die auch auf Farsi, Arabisch und Hebräisch zugänglich ist.
Sein Buch erschien im Original im Jahr 2013. Für die Neuauflage wurde es um Texte ergänzt, die jüngere Trends in den Blick nehmen. Levitt hebt hier die gewachsene Rolle der Hisbollah als regionaler Akteurin hervor, die im Tandem und auf Anweisung der iranischen Revolutionsgarden agiert: sie trainiert Proxy-Gruppen, verlegt eigene Truppen an ausländische Kampfschauplätze fernab des Libanon und ist in Finanz-, Cyber und Beschaffungsaktivitäten eingebunden.
Nach dem weitgehenden Rückzug ihrer Truppen aus dem syrischen Bürgerkrieg sind der Hisbollah militärische Angriffe auf Israel wichtiger geworden. Unmittelbar nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 zeigte sich das besonders deutlich, als die Hisbollah anfing, täglich Raketen auf den Norden Israels zu schießen. Annähernd 70.000 Israelis mussten in andere Landesteile evakuiert werden. Seitdem befinden sich Israel, die Hisbollah und der Iran an der Schwelle zum umfassenden Krieg.
Da die Neuauflage des Buchs im Frühling 2024 fertiggestellt wurde, fanden jüngste Entwicklungen wie etwa die Tötung des Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah, die Angriffe Israels auf ihre Strukturen im Land und die inzwischen vereinbarte Waffenruhe keinen Eingang mehr in Levitts Analyse. Weite Teile seines Buchs behandeln nicht die direkte Auseinandersetzung in der Region. Zwar widmen sich einzelne Kapitel vereitelten Attentatsversuchen der Hisbollah in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa und der Informationsbeschaffung über hochrangige israelische Ex-Militärs sowie den Anschlägen auf westliche Ziele im Libanon Anfang der 1980er. Ein Schwerpunkt von „Hezbollah“ liegt jedoch auf globalen Verflechtungen und Netzwerken.
In Länder- und Regionalkapiteln gibt Levitt detaillierte Einblicke in die Aktivitäten der „Partei Gottes“ in Nordamerika, Europa, Südostasien, Lateinamerika und einigen afrikanischen Ländern. Auf ihre Tätigkeit in Deutschland, wo die „Partei Gottes“ seit April 2020 verboten ist, lange Zeit aber sehr aktiv war, geht Levitt leider nur punktuell ein. Lesenswert ist das Buch daher vor allem als Hintergrund-Analyse, die dazu beitragen kann, aktuelle und kommende Dynamiken besser zu verstehen.
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