: Das Werk des Herrn, vervierfacht und mit Gaudi
Wenn „Life“ „Life“ ist, dann wird nach Weihnachten wie vor Weihnachten sein: Höchste Zeit für die Neuauflage von „Opus Dei“, dem internationalen Erfolgsalbum des slowenischen Provokünstlerkollektivs Laibach
Von Uwe Schütte
Dass auf künstlerische Revolte und politische Provokation meist noch zu Lebzeiten die Verklärung zum nationalen Kulturgut und dazu eine Entsorgung ins Museum folgen, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Es ist eine vermaledeite Dialektik, die widerspenstige Subkultur traditionsgemäß in Staatskünstlertum verwandelt. Ein Musterbeispiel für diese Verpuppung liefert die Band Laibach aus Slowenien. Ihre frühen Aktionen trugen dem 1980 in Ljubljana gegründeten Künstlerkollektiv noch Auftrittsverbote und andere Repressalien des sozialistischen Regimes im einstigen Jugoslawien ein – inzwischen sind Laibach längst das kulturelle Aushängeschild der Republik Slowenien.
Die unabdingbare Einvernahme des künstlerischen Untergrunds wird von Laibach allerdings weniger zähneknirschend akzeptiert als vielmehr demonstrativ ausgestellt. Wie aus ihrer widerständigen Kunst chartskompatibler Kommerz wurde, erlebte die Band um den Sänger Milan Fras und den konzeptuellen Kopf Ivan Novak, als die dunkeldeutsche Rumpelrocktruppe Rammstein nicht nur den Laibach-Sound aus Industrial-Marschhymnen samt teutonischem Gesang kopierte, sondern ebenso ihr Kreuzlogo abkupferte, wobei Rammstein – wie hinlänglich bekannt – auf andere, nämlich sexistische Weise monströs ist. Das Laibach’sche Kreuzlogo jedenfalls beruht auf dem „Schwarzen Kreuz“ des ukrainischen Malers Kasimir Malewitsch, einer Ikone der Moderne, während Rammsteins kümmerliche Version an ein Eisernes Kreuz, bekanntlich beliebtes Erkennungsmerkmal von Neonazis, erinnert.
Der ihnen zugewiesenen Rolle als slowenische Staatskünstler entsprechend, tummeln sich Laibach inzwischen vor allem in hochkulturellen Gefilden: Der Schwerpunkt ihrer neueren Arbeiten liegt im Bereich Theatermusik und symphonischer Bühnenwerke auf dem Gebiet der Neuen Klassik, so etwa die Auftragsmusik zum Heiner-Müller-Theaterprojekt „Wir sind das Volk“ (2022) und aktuell die orchestrale Adaption des Assassinen-Romans „Alamut“, den der slowenische Nationaldichter Valdimir Bartol 1938 veröffentlichte.
Parallel zu dieser klassischen Ausrichtung blicken Laibach – ganz im Sinne der Recyclingpraxis der korporativen Musikindustrie – mittlerweile nostalgisch zurück auf ihre legendären Anfänge im Industrial-Untergrund. Den Auftakt dazu bildete das Boxset „Laibach Revisited“ (2020). Dessen Kernstück ist das klangtechnisch überarbeitete Debütalbum „Laibach“ von 1983, das durch aktuelle Neuinterpretationen der alten Stücke und um einige weitere Songs aus den heroischen Anfangstagen ergänzt wurde. Bezeichnend für den Witz Laibachs ist das dazugehörige Livealbum „Underground“, das den Begriff so ironisch wie wörtlich nimmt: Es dokumentiert nämlich ein Konzert mit Stücken aus den frühen 1980er Jahren, das 200 Meter unter der Oberfläche in den Kohleminen im slowenischen Velenje stattfand.
Retromanie pur ist auch „We Forge The Future. Live At Reina Sofía“ (2021), ein Livedokument des Auftritts im Madrider Museum aus dem November 2017, als Laibach ein Reenactment ihres skandalösen Konzerts vom April 1983 in Zagreb unternahmen: Dass sie damals Filmaufnahmen von Marschall Tito mit Projektionen aus Pornofilmen überblendeten, führte zu Tumulten, einem Polizeieinsatz und schließlich dem vorzeitigen Abbruch der Veranstaltung, gefolgt von einer Repressionskampagne, die bis 1987 dauerte.
Nachdem die Aufarbeitung des ersten Jahrfünfts der Bandgeschichte dergestalt abgehakt war, steht nun Laibachs internationaler Durchbruch mit dem deutsch-englisch gesungenen Album „Opus Dei“ (1987) und dem Beatles-Pastiche „Let It Be“ (1988) auf dem Programm. Auf den bereits diesen Mai erschienenen Remaster von „Opus Dei“ plus Mitschnitt eines Konzerts der „Opus Dei“-Tour folgt passend zum Weihnachtsgeschäft „Opus Dei Revisited“ mit Neufassungen und Remixen durch Rico Conning, der bereits das Originalalbum abgemischt hatte. Nicht nur die Schallarchivare der Plattenfirmen, auch Laibach wissen natürlich, dass das Werk des Herren erst dann gottgefällig getan ist, wenn es gelingt, ein Originalalbum vervierfacht auf je zwei Doppeltonträgern auszuwalzen.
Was bei dieser Wiederbegegnung mit „Opus Dei“ im Abstand von rund dreieinhalb Jahrzehnten beim erneuten Hören vor allem deutlich klingt, ist dies: Während Laibach einst martialisch, bedrohlich und gefährlich nah am Faschistoiden wirkten, besticht nun der eminente Humor ihrer Musik. Unüberhörbare Selbstironie ist etwa, wenn Sänger Fras auf „Geburt einer Nation“ geradezu verzweifelt darum bettelt, „Gebt mir ein Leitbild / Ein Leitbild für die Welt“. Die Vorlage für dieses hohle Sloganeering liefert jedoch der Stadionhit „One Vision“ von Queen, bei dem Freddie Mercury knödelt: „Give me one vision / One world and one nation“. Der Coverversion von Opus’„Live is Life“, die bei Laibach als vitalistische Beschwörungshymne firmiert, verpasst Produzent Conning im Remix nun einen mit Ziehharmonika unterlegten Schunkelsound. Engelhaft kommen noch Kinderstimmen hinzu, sodass das Stück wieder zurückfällt auf den bierzeltkompatiblen Megahit. Eine wahre Gaudi!
Im Gefolge der allenthalben nachgebeteten Laibach-Deutung von Slavoj Žižeks als ernstem Spezialisten für subversive Überaffirmation totalitärer Ikonografie, blendete man leider regelmäßig das Trashige und Selbstironische der Band aus, also etwa sämtliche Hirschgeweihe, folkloristische Kopfbedeckungen und den billigen alpenländischen Tand: insbesondere den hämischen Bergmythos, vom Triglav, dem Hausberg Ljubljanas, bis zum Mount Paektu, dem Nationalberg der „Volksrepublik“ Nordkorea.
Spätestens jetzt, mit den opulenten Neuausgaben von „Opus Dei“, aber gilt es, Laibach endlich als Humoristen zu entdecken.
Laibach: „Opus Dei Remastered“; „Opus Dei Revisited“ (beide Mute/PIAS)
„Opus Dei“ live, 20. Februar 2025, F-Haus, Jena (einziges Konzert in Deutschland)
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