: „Keinen Bock mehr“
Nach Handgreiflichkeiten beim 2. Kreisklasse-Spiel VfL Eintracht gegen RSV Hannover streicht der RSV seine Fußballsparte. Vorstand Christian Becker über die Gründe
Interview Marie Dürr
taz: Herr Becker, wieso haben Sie die Fußballsparte beim RSV Hannover dichtgemacht?
Christian Becker: Fußballsparte klingt sehr groß. Wir haben 1.200 Mitglieder, davon sind 20 aus dem Fußball. Es gibt nur eine Herrenmannschaft, wir haben keine eigene Fußballanlage. Dann kam es beim Spiel gegen VfL Eintracht zu Handgreiflichkeiten zwischen Zuschauern und Spielern. Der Schiedsrichter hat sich vom Trainer bedroht gefühlt. Er hat die Polizei rufen lassen und das Spiel abgebrochen. Der Trainer war zwar kaum direkt beteiligt, wie das Sportgericht mittlerweile bestätigt hat, aber es war eben nicht der erste Vorfall.
taz: Wie viele Spieler waren beteiligt?
Becker: Identifiziert wurde nur der Torwart. Es waren aber mehr.
taz: Was hätten Sie vom Trainer erwartet?
Becker: Er hätte sich raushalten und eine eher vermittelnde Position einnehmen sollen.
taz: Gab es vorher ähnliche Vorfälle?
Becker: Ja, vor zwei Jahren und im April 2024. Der Trainer wurde mehrere Monate gesperrt. Von dem Vorfall beim Eintracht-Spiel haben wir erst über die Presse erfahren und von dem im April erst jetzt. Es ist nichts bis zu uns als Hauptverein durchgedrungen. Ob die Mannschaft das absichtlich verborgen hat oder es einfach intern klären wollte? Keine Ahnung.
taz: Nun streichen Sie die Fußballsparte.
Becker: Wir glauben nicht, dass es noch eine Basis gibt. Es herrscht eine unschöne Stimmung – im Profifußball auf den Rängen und je tiefer man in den Ligen geht, desto mehr auch auf den Plätzen. Unsere Mannschaft wiederum fühlte sich nach den Vorfällen zunehmend stigmatisiert. Das soll ihr Verhalten aber nicht entschuldigen.
taz: Wieso stigmatisiert?
Becker: Sie fühlten sich benachteiligt, weil sie nach den Vorfällen verstärkt von den anderen Mannschaften beobachtet wurden. Der Trainer hat angefangen, die Spiele aufzuzeichnen. Er wollte vor dem Sportgericht etwas in der Hand haben.
taz: Wieso haben Sie nicht nur die Ihnen bekannten Täter aus dem Verein geworfen?
Becker: Es gibt keine zweite Mannschaft, wir haben keine Trainer, die übernehmen könnten.
taz: Würde sich ein Trainer finden, wären Sie also bereit, die Sparte zurückzuholen?
Becker: Nee, wir haben momentan keinen Bock mehr, mit Fußball wieder anzufangen.
taz: Also doch keine bloße Personalfrage?
Becker: Das Team besteht nach Aussagen des Trainers noch aus sieben Spielern, wenn man die betroffenen Spieler aussortiert. Es gab mindestens drei Fehlverhalten der Mannschaft. Es wurde alles verschwiegen. Wir haben kein Vertrauen mehr in die Zusammenarbeit. Spieler, bei denen der Spaß am Sport an erster Stelle steht, können bei anderen Vereinen weiterspielen.
taz: Was hat Fußball in Ihrem Verein überhaupt für eine Bedeutung?
Christian Becker
46, ist seit fünf Jahren Vorstandsmitglied des RSV Hannover.
Becker: Bei uns ist er eine Randsportart, ein bisschen ironisch, weil es sich gesellschaftlich um die beliebteste Sportart handelt.
taz: Sie haben von der unschönen Stimmung sowohl im Amateur- als auch im Profifußball gesprochen. Sollten andere Vereine genauso vorgehen wie Sie?
Becker: Prävention und Aufarbeitung wären besser, aber wir sind alle Ehrenamtliche und haben keine Strukturen, um das zu leisten. Außerdem geht es hier um Erwachsene, nicht um 17-jährige Jugendliche, die noch ihren Weg finden müssen. In anderen Sportarten bei uns, wo eine stärkere Basis da ist, funktioniert das besser.
taz: Gab es solche Vorfälle auch schon in anderen Sportsparten?
Becker: Nein. Die anderen Sportveranstaltungen verlaufen viel ruhiger. Das sind entspanntere Communitys. Wenn bei 30 Einzelsportlern einer übermütig oder aggressiv wird, bekommt man das leichter in den Griff, als wenn eine ganze Mannschaft ins Kippen gerät.
taz: Woher kommt diese Aggressivität im Männerfußball?
Becker: Mein Gefühl ist, dass im Fußball ein sehr raues Klima herrscht. Und je rauer das Klima wird, desto mehr werden Leute in den Sport gezogen, die damit kein Problem haben. Das ist ein sich selbst verstärkender Kreislauf.
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