Koalitionsvertrag mit BSW in Thüringen: Gegen Handys, aber für Diplomatie
In Thüringen beenden CDU, BSW und SPD erfolgreich ihre Koalitionsgespräche. Eine eigene Mehrheit haben sie nicht, einen gemeinsamen Vertrag schon.
![Zwei Männer und eine Frau lachen in die Kamera Zwei Männer und eine Frau lachen in die Kamera](https://taz.de/picture/7371200/14/37076041-1.jpeg)
„Wir wurden nicht füreinander geschaffen, aber wir stehen in der Verantwortung, aufeinander zuzugehen.“ Für diesen pathetischen Satz erntete der noch amtierende Innenminister Georg Maier (SPD) auf dem Podium Zustimmung. Welche Konstellation unter Ausschluss der AfD, den Maier noch einmal betonte, sollte sonst überhaupt eine Regierung bilden? Erst auf Anfrage ging Maier auf das Mehrheitsproblem im Landtag ein. Denn auch die neue Koalition verfügt nur über die Hälfte der 88 Landtagssitze, muss also um Stimmen werben.
Dafür hatten die drei Parteien schon im Ergebnis der Sondierungen einen „prälegislativen Konsultationsmechanismus“ erfunden. Sachsen kopiert diese Idee einer Vorab-Information aller Landtagsfraktionen über Gesetzesvorhaben der Regierung inzwischen. Das Echo aus der Opposition soll die jeweiligen Entwürfe schon beeinflussen. Abstimmungsniederlagen könnten so vermieden werden, lautet die Hoffnung. In der Regierung will man stets mit einer Stimme sprechen.
Das Verfahren und die Begriffswahl erinnern an den seit 2020 unter umgekehrten Vorzeichen mit Linken, SPD und Grünen bereits praktizierten „Stabilitätsmechanismus“, bei dem die oppositionelle CDU das Zünglein an der Waage spielen konnte. Diese Rolle könnte nun der Linken zufallen, auf die man zuerst zugehen müsste. „Eine andere Partei fällt mir nicht ein“, sagte Innenminister Maier.
Krieg und Frieden und Westbindung
Vielen Inhalten und vor allem der Präambel des Koalitionsvertrages dürfte eine sozialdemokratisierte Thüringer Linke zustimmen können. Mit besonderer Spannung war die sogenannte Friedensformel erwartet worden. Für Sahra Wagenknecht und ihre Partei stehen Aussagen insbesondere zum Krieg gegen die Ukraine im Zentrum ihres Selbstverständnisses. Ähnlich wie in Sachsen wären an deren Formulierung die Koalitionsgespräche nach Intervention Wagenknechts beinahe gescheitert.
Die drei Absätze der Präambel betonen Gemeinsamkeiten wie den Willen zum Frieden in Europa, die Unantastbarkeit von Grenzen und den Respekt vor den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, in den Krieg hineingezogen zu werden. Diplomatische Initiativen, „den von Russland gegen die Ukraine entfesselten Angriffskrieg zu beenden“, unterstützen alle drei Partner.
Nur CDU und SPD hingegen „sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik“. „Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs“, wird von deren Seite eine Differenz angedeutet. Benannt werden Auffassungsunterschiede hinsichtlich der Waffenlieferungen an die Ukraine, die aber im Streben nach diplomatischen Lösungen aufgehoben werden könnten. Die kritische Sicht vieler Menschen in Thüringen auf die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen wird gemeinsam anerkannt. Eine öffentliche Debatte darüber soll sogar gefördert werden.
Damit zeigte sich die Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht im fernen Berlin zufrieden. BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf spielte Differenzen mit ihr herunter und äußerte Verständnis für die „Adleraugen“ Wagenknechts in einer noch so jungen Partei. Es sei nun einmal ums „Eingemachte“ gegangen. Herausgekommen aber sei „ein wunderbares 126-Seiten-Papier“, lobte Wolf auch die Partner und Kontrahenten der künftigen Koalition. „Wir mussten eine Zumutung sein“, räumte Ko-Vorsitzender Steffen Schütz ein.
Handy-Verbot und Abschiebungen
Nicht triumphierend, aber häufig lächelnd benannte der nunmehr als Favorit für die Ministerpräsidentenwahl geltende CDU-Fraktionschef Mario Voigt Schwerpunkte des Vertrages. In der Gesundheitsversorgung soll Thüringen das „20-Minuten-Land“ bleiben oder werden, also mit kurzen Wegen zum Arzt oder ins Krankenhaus. Wie das mit der am Freitag im Bundesrat angenommenen Krankenhausreform Karl Lauterbachs zu vereinbaren ist, sagte Voigt nicht.
Bildung ist ein Premium-Thema der CDU. Ab Klasse Sechs soll es wieder jährliche Versetzungsentscheidungen geben, vor der Einschulung einen Sprachtest und an Grundschulen werden Handys verboten. Und natürlich sollen Lehrer geworben werden. Migrationszahlen sollen unter anderem durch eine zentrale Ausländerbehörde gesenkt werden. Mehr Aufnahmeplätzen steht ein konsequenterer Abschiebewille gegenüber.
Weniger Bürokratie soll die Wirtschaft stimulieren. Dem BSW ist neben der Friedensfrage der Alltag der Bürger generell am wichtigsten. Friedensbildung, ja Friedenserziehung in der Schule und Friedensforschung hat das BSW in den Vertrag hineinverhandelt. Die SPD liegt bei sozialen Problemen nicht weit entfernt, will „Stimme derer sein, die keine Lobby haben“, so Georg Maier.
Die Fachressorts sind bislang nur quantitativ, aber nicht nach Zuschnitt und Personalien verteilt: vier Ministerien für die Union, drei für das BSW, zwei für die SPD. Dem Vertrag soll der erweiterte Landesvorstand der CDU bald zustimmen, die SPD beginnt ihre zweiwöchige Mitgliederbefragung am bevorstehenden Montag. Das BSW will seinen mit Spannung erwarteten Landesparteitag am 7.Dezember abhalten. Ein Termin für die Ministerpräsidentenwahl wurde noch nicht genannt.
Kandidat Mario Voigt beschwor auffallend oft das Zusammenwirken und einen Aufbruchsgeist des Handelns statt defätistischer Meckerei. „Hier gelingt etwas“, appellierte er. Auf dass erfüllt werde, was die Präambel des Regierungsvertrages für Thüringen prophezeit: „Ein Land der Hoffnung und des Zusammenhalts.“
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