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Zieht sich der Künstler-Macher zurück?

Ein Wahlrecht für Erdbeeren forderte einst die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev, ihr Nachfolger am Turiner Kunstmuseum Castello di Rivoli will in seiner Antrittsausstellung der Natur eine Stimme geben

Von Bernhard Schulz

Wenn der Mensch gestaltet, dann nicht unbedingt zu seinem oder gar der Natur Besten. Das bezeugen auch die zahllosen Umweltkatastrophen, die den Fortgang menschlicher Eingriffe begleiten. Im Bereich der Kunst aber möchte man sich doch gerne als Schöpfer, als Homo Faber, fühlen. Obwohl auch das eine Schimäre ist. Denn Kunstwerke verändern sich unter dem Einfluss von Natur und Umweltbedingungen. Und sie können mithilfe der Natur geschaffen werden. „Gegenseitige Hilfe“ ist die Ausstellung zu diesem Thema der „Kunst in Zusammenarbeit mit der Natur“ überschrieben, die der neue Direktor des ­Castello di Rivoli, Francesco Manacorda, zusammentragen ließ.

Die Bauruine eines Residenzschlosses des Savoyer Königshauses in der Nähe von Turin wurde vor vierzig Jahren als Sitz eines Museums zeitgenössischer Kunst hergerichtet. Der aus zwei gewaltigen, nahezu unverbundenen Bauteilen bestehende Komplex birgt eine 170 Meter lange eindrucksvolle, aber schwierig zu bespielende Galerie. In diese hinein haben Manacorda und sein Team künstlerische Arbeiten gestellt, insbesondere Skulpturen und Environments, die teils von Menschenhand, teils von Lebewesen geschaffen oder zumindest verändert wurden.

Der Unterschied, versteht sich, liegt darin, dass der Homo Faber ein Kunstwerk schaffen will, seine natürlichen Partner hingegen allein ihren ererbten Instinkten nachgehen. Es ist der Mensch, der das Ergebnis in den Rang eines Kunstwerks hebt.

Solche Arbeitsteilung führt die mittlerweile 93-jährige Agnes Denes vor, die 1982 mit dem legendären, von ihr auf dem Aushub einer Baugrube ausgesäten Weizenfeld an der Südspitze Manhattans den Gegensatz von Natur und Menschenwerk zuspitzte. Die in Turin gezeigten Fotografien eines anderen großen Projekts von ­Denes, des „Baumberges“ in Finnland, unterstreichen nochmals die Autorschaft des Künstlers. Die Natur führt nur aus.

Doch der Künstler-Macher hat sich mehr und mehr zurückgezogen. Etwa für die Spinnweben, die Tomás Saraceno in Glaskästen aufspannt, oder die Schleimspuren von Schnecken, die Michel Blazy 2009 über einen blauen Teppichboden hat kriechen lassen.

Den Ausstellungstitel der „Gegenseitigen Hilfe“ haben die Rivoli-Macher bei dem russischen Anarchisten und Geografen, Pjotr Kropotkin und dessen wissenschaftlichem Hauptwerk, „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“, von 1902 ausgeborgt. Kropotkin stellte sich damit gegen Charles Darwin und dessen zum Sozialdarwinismus vergröberte Annahme des ewigen Konkurrenzkampfes als Motor der Evolution. Unter der Bedingung knapper Ressourcen, so Kropotkin, erweise sich gegenseitige Unterstützung als wirksamer.

Dass solche Gegenseitigkeit in der Kunst doch eher eine einseitige, vom Menschen vorgegebene Unterstützung darstellt, wird im Rivoli deutlich. So das Einwuchern einer bronzenen Hand-Skulptur in einen Baumstamm, dessen Wachstum Giu­seppe Penone über die Jahre hinweg dokumentiert und in seinen bekannten Bronze-Abformungen als dauerhaftes Monument zelebriert. Oder die von Bibern benagten Baumstämme, die die Japanerin Natsuko Uchino von lasergesteuerten Fräsmaschinen in größerem Format reproduzieren lässt.

Die Bakterien machen einfach das, was ihnen per Erbgut mitgegeben worden ist

Zur Feier der Schönheit der Natur werden die großformatigen Aquarelle von Schmetterlingen, die Maria Thereza Alves in ihrer brasilianischen Heimat gesehen hat und denen sie, wie die Kuratoren es in gängiger Diktion formulieren, „eine Stimme geben“ will. All jenen Lebewesen, die bei den Entscheidungen des Menschen nicht gefragt werden. So hatte vor Jahren schon Manacordas prominente Vorgängerin Carolyn Christov-Bakargiev, Chefin der documenta 2012, mit ihrer Forderung nach Wahlrecht für Bienen und Erdbeeren argumentiert.

Und Bakterien? Sie machen, was ihnen per Erbgut mitgegeben ist, im Falle des Environments von Bianca Bondi und Guillaume Bouisset das Zersetzen von Metallen in Wasser. Das Künstlerduo hat die Einzeller in der Camargue aufgelesen und lässt sie in den Vertiefungen von Steinen unter LED-Wachstumslampen ihre Arbeit tun. Wunderschön das Arrangement aus hellem Kalkstein, aufgehäuftem Salz und rötlich sich färbendem Wasser. Am Ende ist die Natur der bessere Schöpfer. Kunst wiederum ist der Versuch, es ihr gleichzutun: So jedenfalls hatte schon der Fotograf Karl Blossfeldt anhand von Pflanzenfotos die „Urformen der Kunst“, Titel seines bahnbrechenden Buches von 1928, aufgespürt. Seine Fotos wären für die Ausstellung des Rivoli der passende Auftakt.

„Mutual Aid. Kunst in ­Zusammenarbeit mit der Natur“. Castello di Rivoli, Turin, bis 23. März 2025

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