crime scene: Schnellimbiss-Detektivin kämpft gegen Sexismus und Klassendünkel
Ein neuer Roman von Liza Cody ist immer eine große Freude, denn die Autorin bürgt nicht nur für Qualität, sondern ist auch überdurchschnittlich oft für Überraschungen gut. Seit sie in den achtziger Jahren mit ihrer Anna-Lee-Krimireihe erfolgreich war, hat die mittlerweile Achtzigjährige (unglaublich) immer wieder neue originelle Ermittlerinnenfiguren in den Kampf gegen Verbrechen, Sexismus und Klassendünkel geschickt, darunter die Catcherin Eva Wylie und zuletzt die obdachlose „Lady Bag“. Auch Codys neueste Heldin steht bereits im Titel ihres aktuellen Romans. „Die Schnellimbissdetektivin“ Hannah Abram, im Original „The Short-Order Detective“, ist noch keine dreißig, aber bereits unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen worden wegen eines tätlichen Angriffs auf einen (vermutlich sexistischen) Vorgesetzten (die Ich-Erzählerin begnügt sich mit Andeutungen).
Nun verdient Hannah ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht in einem schäbigen Südlondoner Schnellimbiss, bewohnt ein winziges Zimmer zur Untermiete bei zwei militanten Veganerinnen und nimmt nebenher kleine Ermittlungsaufträge an, die zu popelig sind, als dass die Polizei sich kümmern würde. Davon kommt im Roman einiges zusammen: Ein alternder Rockmusiker beauftragt Hannah herauszufinden, wer ihm ständig Müll vor die Tür kippt. Ein Zwangsneurotiker möchte erfahren, was aus seiner verschwundenen Halbschwester geworden ist. Einer Gruppe KleingärtnerInnen ist Gemüse aus den Beeten geklaut worden. Und fast erliegt die Detektivin dem Charme eines ziemlich gut aussehenden Mannes, für den sie seine ziemlich junge Ex-Frau wiederfinden soll. Es gibt also nicht den einen Handlungsstrang, sondern gleich ein ganzes Bündel davon.
Dazu kommt, dass Hannah zwischen ihren Ermittlungsaktivitäten Vollzeit im Schnellimbiss arbeitet, dessen Hinterzimmer ihr gleichzeitig als Büro dient und dessen Inhaber ein grantiger Zeitgenosse ist, mit dem sie permanent im Streit liegt und von dem sie mindestens einmal pro Woche gefeuert wird. Auch ihre detektivischen Tätigkeiten bringen ihr natürlich immer wieder Ärger ein.
Obwohl die Handlung also insgesamt ausgesprochen kleinteilig angelegt ist und Hannahs verschiedene unbedeutende Fälle einander meist nicht einmal berühren, gibt es doch irgendwo in dem bunten Imbiss-Gewusel einen unsichtbaren Spannungsbogen, der zuverlässig fesselt. Genau wie ihre Protagonistin, die zwischendurch allerdings immer wieder erschöpft ihr Telefon ausschalten muss, balanciert Liza Cody die vielen Handlungsstränge ausgesprochen virtuos aus. Dazu kommt ihre offenbar unerschöpfliche Kreativität beim Beleben zahlloser Nebenfiguren, die oft nur mit wenigen Strichen skizziert werden, aber dennoch nie klischeehaft geraten und insgesamt ein äußerst unterhaltsames Panoptikum großstädtischer Gestalten aus allen Nischen der Gesellschaft bilden.
Jede Menge Londoner Sozialkolorit grundiert den Roman. Und schon jetzt liest man ihn, obgleich Fiktion, mit unterschwelliger Erleichterung auch als historisches Dokument; sind doch die mittlerweile vergangenen Herausforderungen der Coronazeit deutlich in ihn eingeschrieben. Diverse Omikron-Varianten geistern durch die Handlung; ob Menschen Masken tragen oder nicht, wird thematisiert, und am Imbiss hat Hannahs Chef einen Aushang angebracht: „Die gesamte Belegschaft ist negativ getestet.“ Und Hannah ergänzt im Erzähltext trocken: „Natürlich hat niemand die Rückseite gelesen, wo es weiterging mit ‚auf Hirn‘.“
Liza Cody: „Die Schnellimbissdetektivin“. Aus dem Englischen von Iris Konopik. Argument Verlag mit Ariadne, Hamburg 2024, 352 Seiten, 18 Euro
Katharina Granzin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen