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Archiv-Artikel

Fruchtbare Nachbarschaft

AUSSTELLUNG Ästhetik im Banalen: Auf Schloss Agathenburg interessieren sich acht Künstler für die Realität der Dinge. Und greifen dabei immer wieder auf die seltsamen Qualitäten des Gebäudes zurück

Beständig funkt das Schloss dazwischen, dessen Gespenster zum Mitspielen eingeladen sind

„Die Dinge sind, wie sie sind, d. h. grausam“, lautet ein geradezu hypnotischer Satz des Künstlerpaars Anna & Bernhard Blume. Als Teil der Ausstellung „Frontside Basel“ war er 2001 in der dortigen Innenstadt plakatiert – auf einer fassadengroßen Fotografie, die ein Messer zeigte und daneben ein sorgfältig in Rauten eingeritztes rohes Stück Fleisch. Nach Bernhard Blumes Tod im September vergangenen Jahres mutierte die hintergründige Text-Bild-Kombination in Nachrufen zur traurigen Feststellung: „Die Wirklichkeit ist, wie sie ist, d. h. grausam.“

Von der seltsamen Realität der Dinge zur Realität des Menschen: Mit diesem Switch lässt sich auch der Geist der Ausstellung auf Schloss Agathenburg gut fassen, unter deren acht Beteiligten sich einige ehemalige Blume-Studenten finden. Dazu gehört Heiko Neumeister, der banale Materialkonstellationen und Situationen so fotografiert, dass ihnen eine ästhetische Komposition zuwächst. Seine Farbfotografien verweisen nicht nur auf sich selbst als gesehene, gedachte und aufgenommene Bilder. Sie fragen zugleich auch nach der realen Qualität jener unspektakulären Momente, denen sie gewidmet sind.

In Agathenburg nun sorgt dabei das zwischen die Fotos gehängte, vom Dachboden des Schlosses stammende Kreidebildnis einer früh verstorbenen Tochter der ehemaligen Bewohner für eine fruchtbare Nachbarschaft: Das in den 1950er-Jahren entstandene Porträt wird zu einem weiteren fraglichen „Ding“, so wie seine mystische Geschichtlichkeit auf Neumeisters Fotografien abzufärben beginnt.

Daneben lässt Romeo Grünfelder, ebenfalls vor vielen Jahren in der Blume-Klasse der Hamburger Kunsthochschule, seinen 35-Millimeter-Film „Naissance d’un objet“ abspielen – durch einen abenteuerlichen, seine Fähigkeiten sehr selbstbewusst zur Schau stellenden umgebauten Projektor, der dem nur etwa postkartengroß projizierten Film fast die Schau stiehlt. Dank ihrer spannenden Narration behauptet sich die inszenierte Spielfilmsequenz um die geheimnisvolle „Geburt eines Objektes“ letztlich aber doch als ebenbürtig.

Sagenumwobene Orte und Dinge, samt ihrer potenziellen Wandlungsfähigkeit, etwa von einem Stück Brot zu einem Goldbarren, sind der Ausgangspunkt für Alexander Rischers Schwarzweiß-Fotografien. Auf langen Recherchen sucht und findet er historische Relikte der beschriebenen Phänomene oder entwickelt eigene Motive, die dem Geist der Erzählungen nachspüren.

Für die Ausstellung besorgte er nun zwei Kupferstiche mit dem Konterfei des blutrünstigen Kriegsherren und Schlossbesitzers Hans Christoph Königsmarck. Rischer fotografierte sie in Kombination mit jeweils einem Saiteninstrument, unter anderem eines Heavy-Metal-Bassgitarre des Typs „Burns Black Skorpion“. Die kraftstrotzenden Behauptungen beider Gegenstände – des Porträts und des gehörnten Instruments – ergänzen sich, überlagern sich und beziehen durch eine geschickte Platzierung der Fotografie auf dem Kaminsims auch dessen christliches Relief in ihr denkwürdiges Ensemble mit ein.

Überhaupt, das Schloss: Beständig funkt sein Eigenleben mit dünkelhaftem Raunen dazwischen, seine Gespenster sind bewusst zum Mitspielen in der Ausstellung eingeladen und machen die Verwirrung komplett. Wer vom S-Bahnhof Agathenburg aus den idyllischen Garten des Anwesens durch die Hintertür betreten hat, wird sich beim Betrachten von Volko Kamenskys Film „Oral History“ eines Schauers nicht erwehren können. Er ließ für diese Produktion die Sprecherinnen einer Telefon-Hotline Geschichten erfinden. Die inhaltliche Vorgabe: ein Haus in einem Dorf am Waldrand. Erst im Zuge der Weiterverarbeitung fand Kamensky mit der Architektur verschiedener Freilichtbühnen die passenden Bilder zu den Originaltönen.

Beides fügt sich, begleitet von lautem Vogelgezwitscher, zu einem suggestiven Film zusammen, der sein Geheimnis nur zögerlich preisgibt: Nach einer Weile erst macht sich die Kulissenhaftigkeit der in langen ruhigen Kamerafahrten gefilmten Ortschaften bemerkbar. Während die erfundenen Geschichten der Frauen auf ideologische, von realen Erfahrungen durchwebte Abgründe zusteuern.  BRITTA PETERS

„Über die Dinge“: bis 22. April, Schloss Agathenburg