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Wenn der Onkel dir Sprachverrohung erklärt

Das Theater Lübeck entwickelt mit „WTF?!“ eine Musical-Revue über die gespaltene Gesellschaft. Eine lustige Show, die aber zu sehr an Sprachoberflächen entlanggleitet

Schwer verdauliches und Komplexes amüsant herunterbrechen: Das kann das Stück gut Foto: Sinje Hasheider/Theater Lübeck

Von Jens Fischer

Bei vielen sorgt die täglich entmutigende Verunsicherung durch immer neue Unheilsnachrichten im Schatten der globalen Krisengemengelage für zunehmend müderes Entsetzen. Andere potenzieren ihre „What the fuck“-Frustration zu Aggression, spucken Hass, Hetze, Lügen in Demonstrationsaufmärsche oder mischen sie ins digitale Geschrei der asozialen Medien.

Der freundliche Schauspielchef des Theaters Lübeck, Malte Lachmann, schließt von dieser zunehmenden Verrohung der Sprache auf eine mögliche Ursache: die gespaltene und daher kaum mehr auf Augenhöhe kommunikationsfähige Gesellschaft. Diese komplexe Thematik möchte er niedrigschwellig als Musical-Revue vermitteln. Die Uraufführung meint durchaus „What the fuck“, ist dem Regiekonzept gemäß aber zurückgenommener betitelt: „WTF?! – Über den Verlust des gesunden Menschenverstandes“.

Silbrig kostümierte und mit Schleifchen verzierte Schau­spie­le­r:in­nen geben ein sanges- und pointenfreudiges Entertainment-Quintett. Es antizipiert die Kritik an solcher Unterhaltung im Hochkulturtempel Stadttheater und zitiert ironisch als Hochkulturvertreter den jungen Mozart, KV 23: „Leck mire den Arsch recht schön.“

Auch die Ringparabel-Szene aus Lessings „Nathan der Weise“ kommt zur Aufführung. Als „Sinnbild für gute Gesprächskultur“, so der Hinweis, würden dort der Muslim Saladin und der Jude Nathan zu einem friedlichen Einverständnis kommen – im Gegensatz zur derzeitigen Eskalation des Palästina-Konflikts. Herrlich kabarettistisch auch der Verweis auf ein Treffen im Jahr 1958 von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, das die deutsch-französische Erbfeindschaft in Freundschaft verwandelte, „weil zwei Politiker mitein­ander geredet haben“. Plädoyers dafür, dass wir das so doch wieder hinbekommen müssten.

Natürlich kommen aktuelle Problemfälle zu Gehör, von Donald Trump über die Bundesregierung hin zu Liedzeilen wie: „Die AfD wird immer stärker / Überall fehlen Handwerker.“ Aufgeheizt wie am Stammtisch geht es bei einer Essensszene zu: Da pöbelt ein Mann gegen Gendern, Vegetarismus und Minderheiten aller Art und eine Frau ereifert sich genau dafür, pöbelt aber gegen Männlichkeit, rechtes Gedankengut und so weiter.

Recht klischeehaft wird also überdeutlich: Beide Seiten sind radikalisiert. Was der Begriff „radikal“ besagt? Das Spaßmacher-Team scheitert, politikwissenschaftliche Definitionen zu verstehen und versucht dem Publikum nahezukommen mit Tipps aus Dana Buchziks Ratgeber „Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können“. Mit achtsamem Dialogverhalten sollen sich die Kon­tra­hen­t:in­nen nun deradikalisieren, was hübsch parodierend gespielt wird.

Mit achtsamem Dialogverhalten sollen sich die Kon­tra­hen­t:in­nen deradikalisieren

So bricht Lachmann mehrere Aspekte des Themas allgemeinverständlich herunter, gleicht Lösungsvorschläge mit der Realität ab, probiert sie beispielhaft aus und lässt ihre bestenfalls eingeschränkte Funktionalität feststellen. Dabei singen alle, tänzeln, witzeln und stellen Quizfragen ans Publikum.

Es regiert alberner Ernst. Mit dem Philosophen Karl Popper wird erst mal requisitorisch Popcorn assoziiert und dann die These verklickert, unbegrenzte Toleranz könne zu ihrer Abschaffung führen – deswegen sollten Tolerante die Intoleranten nicht tolerieren. Sogleich kommen die Folgen des Ausgrenzens mit Kernaussagen der Bertelsmann-Studie über gesellschaftlichen Zusammenhang in Deutschland 2023 zu Gehör. Steffen Maus „Triggerpunkte“ werden vorgestellt und mit „Die sieben Geheimnisse der glücklichen Ehe“ von John Gottmann kaputte Gesprächsbeziehungen zu heilen versucht.

Beispielsweise durch Lob des Gegenübers. Da ringen sich dann Dar­stel­le­r:in­nen der demokratischen Bundestagsparteien anerkennende Worte für eine AfD-Frau ab, um dann auf sie einschimpfen zu können. Was niemandem hilft. Werden Rechte hart angegangen, fühlen sie sich gerechtfertigt, die Guten und die Bedrohten zu sein. Auch das Internet als Katalysator lärmender Kommunikationslosigkeit wird attackiert, versickern dort doch Verständigungsversuche aller Art zwischen KI-generiertem Müll, Werbungsterror und Kommentarfluten.

Gar nicht mehr so leicht, auf Augenhöhe zu kommunzieren Foto: Sinje Hasheider/Theater Lübeck

In die lustige Show mit all den Lesefrüchten der Stückentwickler – Malte Lachmann, Musiker/Komponist Willy Daum und dem Ensemble – ist mehrmals die Botschaft eingeflochten: „Wir brauchen Diskussionen, keinen Konsens.“

Kritisch formuliert bietet der Abend also Erkläronkel-Theater, positiv gesagt erlebt das Publikum ein sympathisch ambitioniertes Seminar, das Schwergewichtiges moralinsäurefrei und amüsant leicht serviert. Für einen fesselnden Theaterabend ist es aber ein bisschen wenig, lediglich an Sprachoberflächen entlangzugleiten, ohne je ins vertiefende Spiel zu kommen.

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