: „Das Ziel ist ein antifeministischer Konformismus“
Der Soziologe Klaus Dörre ist Professor an der Universität Jena. Hier spricht er über die Pläne der AfD in der Wissenschaftspolitik
Interview Lorenzo Gavarini
taz: Herr Dörre, Sie haben vergangene Woche an einem Panel mit dem Titel „Wissenschaft im Fadenkreuz: Was die AfD in der Wissenschaft will“ teilgenommen. Was sieht die AfD konkret in der Wissenschaftspolitik vor?
Klaus Dörre: Sie sagt dazu vergleichsweise wenig. Im Grunde ist der Gedanke: Wir müssen mehr selektieren und separieren, um Leistung zu fördern. Der Zugang zum Abitur und damit zu Hochschulen soll hinter dem Vorwand, den „Akademisierungswahn“ zu stoppen, erschwert werden.
taz: Dazu gehört der Vorschlag der AfD, das Bologna-System abzuschaffen und wieder Magister- und Diplomabschlüsse einzuführen. Was hieße das in der Konsequenz?
Dörre: Das Positive an Bologna ist die Internationalisierung des Studiums. Dass es für Studierende selbstverständlich oder sogar verpflichtend ist, ein Auslandssemester zu machen, ist eine ungeheure Bereicherung. Verglichen mit meiner Studienzeit ist das geradezu eine Kulturrevolution. Wenn die Revision des Bachelor-Master-Systems außerdem eine isoliert deutsche Angelegenheit bliebe, wäre das fatal. Denn damit würde das deutsche Universitätssystem den Anschluss an die europäischen Standards verlieren.
taz: Nicht nur deutschen Staatsbürgern soll der Zugang zu Hochschulen erschwert werden. Besonders die Aufnahme internationaler Studierender will die AfD erschweren.
Dörre: Das würde auf eine erhebliche Verschlechterung für den Forschungsbetrieb hinauslaufen. Denn wenn die Anzahl der Studierenden in einigen Studiengängen stark sinkt und Mindestwerte unterschritten werden, werden die Budgets gekürzt. Einige Universitäten im Osten haben diese Probleme sowieso schon. Dazu kommt natürlich der Verlust an Vielfalt, der damit einhergeht.
taz: Ein besonders beliebter Buhmann der AfD ist die „Genderforschung“. Die sollte am liebsten ganz eingestampft, Lehrstühle nicht mehr besetzt und Fördergelder gestrichen werden. Wie sehen Sie das?
Dörre: Es ist ein großer Gewinn für die Universitäten, dass Geschlechterungerechtigkeiten und Geschlechterungleichheiten systematisch reflektiert werden. Das abzuschaffen hätte vielerlei Konsequenzen. Es ist nach wie vor so, dass Frauen in der Professorenschaft deutlich unterrepräsentiert sind. Und wenn man da jetzt noch einen draufsetzt und ein De-facto-Verbot von „Genderforschung“ ausspricht, wäre das ein elementarer Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit und würde bedeuten, dass eine wichtige Ungleichheitsachse in ihrer wissenschaftlichen Thematisierung nicht mehr beachtet wird. Das Ziel ist eindeutig ein antifeministischer Konformismus.
taz: Die AfD schreibt sich auf die Fahne, für eine „ideologiefreie Wissenschaft“ einzutreten. Was ist an dem Vorwurf, der hier mitschwingt, dran?
Dörre: Die AfD spricht davon, dass ein erheblicher Teil von Lehre und Forschung ideologisch ausgerichtet ist und fordert stattdessen politische Neutralität. Damit meint sie aber eigentlich, dass Wissenschaftler gegenüber den Positionen der radikalen Rechten schweigen sollen. Das ist ja letztendlich die Konsequenz. In Wahrheit wird Wissenschaft ergebnisoffen und insofern neutral betrieben. Dass Wissenschaftler in diesem Rahmen Position beziehen, ist selbstverständlich. Schließlich haben sie, sofern sie an Hochschulen beschäftigt sind, einen Eid auf das Grundgesetz geschworen. Es gilt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Weil die AfD das mit ihrem völkischen Gedankengut infrage stellt, ist ihre Forderung nach politischer Neutralität und Ideologiefreiheit der Wissenschaft eindeutig ideologisch.
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