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Wie Kunst überleben lernt

Ein Projekt hat Werke der Hamburger „Survival“-Ausstellung in Schulen gebracht. Die Schü­le­r*in­nen haben darauf geantwortet – mit Kunst, die nun in den Deichtorhallen hängt

Von Hajo Schiff

Wie überleben wir, fragt die Ausstellung „Survival in the 21st Century“ in den Deichtorhallen und rückt vorwiegend die Auswüchse des aktuellen Lebens aus der Verdrängung ins Bild. „Die Kunstwerke der Schau dienen als Ausgangspunkt für Reflexionen, während in den Workshops der integrierten „School of Survival“ Lösungsansätze diskutiert und erarbeitet werden“, sagt Direktor Dirk Luckow. Dem pädagogischen Ansatz folgend, liegt es nahe, auch mit der nächsten Generation zu arbeiten und die Kunst in die Schulen zu bringen.

Genau das macht das Projekt „Originalverschiebung“: Es bringt die Originalkunst zu den Schülerinnen und Schülern. Statt des Trubels eines Klassenausflugs ins Museum gibt es eine mehrtägige intensive Beschäftigung mit ausgewählten Arbeiten im eigenen Lernuniversum, die zu einer eigenen assoziativen Produktion führen kann.

Dieses Netzwerkprojekt der Deichtorhallen und fünf beteiligter Schulen haben die „Kulturagent*innen Hamburg“ organisiert: Als Ver­mitt­le­r*in­nen zwischen Kunst und Schule begleiten sie seit 2011 Hamburger Schulen dabei, neue Formate für ihre künstlerische Praxis zu erfinden und ein eigenständiges kulturelles Profil zu entwickeln. In über 500 Projekten produzieren und evaluieren sie Prozesse kultureller Bildung, sorgen für Festivals, Plattformen und Freiräume für künstlerische Arbeiten.

Das Projekt „Originalverschiebung“ wurde möglich durch den Wunsch der Geschäftsführung und der Kuratoren der Deichtorhallen, auch Kinder und Jugendliche der Stadtränder zu involvieren sowie der Bereitschaft des Künstlers Leon Kahane, sein Werk auf Wanderschaft zu schicken und persönlich zu begleiten. „Die Kunst ist im Guten wie im Schlechten ein Spiegel gesellschaftlicher Konflikte und an den Schulen ist das doch ganz ähnlich“, meint Kahane. Er nennt das Projekt „großartig“.

Ausstellung „Survival in the 21st Century“, Hamburg, Deichtorhallen. Bis 5. 11.

Das Großfoto „Frontex #2 (Flowers)“, aus seiner 2008 erstellten Serie zu den kühlen Warschauer Büros der europäischen Grenzsicherungstruppe wurde fachgerecht aus der Ausstellung entnommen und für je eine Woche in jeder der fünf teilnehmenden Stadtteilschulen ausgestellt. Dort arbeiteten Gruppen von Schülern und Schülerinnen gemeinsam mit den als Projektmittlern im Auftrag der Kul­tur­agen­t*in­nen fungierenden Hamburger Künstlerinnen und Künstlern Suse Bauer, Vera Drebusch, Miguel Ferraz, Sabine Flunker und Simone Kesting zum Werk Kahanes. Der hatte zudem persönlich oder per Videoschalte Kontakt zu den Teilnehmenden.

In Reaktion auf das Original mit einem Blumenstrauß auf einem Durchleuchtungsgerät entstanden eine die physische Gewalt stärker betonende neue Fotoserie, collagierte Scannerbilder von sorgsam gepackten Überlebenstaschen, Scherenschnitte von Abgrenzungssymbolen, Gemeinschaftszeichnungen von Grenzerfahrungen oder Gipsreliefs von Hinterlassenschaften Geflüchteter am Strand. Die unterschiedlichen Werke aus den Schulen wurden dann gemeinsam mit dem Original Kahanes professionell verpackt und in die Ausstellung in den Deichtorhallen gleichberechtigt eingefügt.

„Die Kunst ist im Guten wie im Schlechten ein Spiegel gesellschaftlicher Konflikte. An den Schulen ist das doch ganz ähnlich“

Leon Kahane, Künstler

Drei Besonderheiten zeichnen die mit einigem personellem und finanziellem Aufwand durchgeführte „Originalverschiebung“ aus: Zu dem Erlebnis des direkten Kontakts mit den Künstlerinnen und Künstlern kommt, dass das Projekt selbst eine konzeptuelle Arbeit zu den Rezeptionskontexten von Kunst ist. Es geht um Fragen wie diese: Ist Kunst erbaulich oder anregend, soll sie Gedanken bewirken oder Taten, anderes Sozialverhalten oder neue Produktionen? Wirkung zeigt die „Originalverschiebung“ über die Antworten der aus der Reflexion geronnenen Werke der Schüler und Schülerinnen hinaus.

Leon Kahane betont, durch sie einiges selbst über die Wahrnehmung seiner Arbeit gelernt zu haben. Angesichts dessen, dass schon Viertklässler die Grenze mit „Hitze, Chaos, Langeweile, Kopfschmerzen“ beschreiben, wurde er im Gespräch zu neuen Fragen gebracht, etwa ob die sachliche Kälte eigentlich angemessen war, mit der er das Thema dargestellt hatte. Und auch das ergab sich: Eine der Schülerinnen fühlt sich in ihrem Lebenswunsch, Künstlerin werden zu wollen, nachdrücklich bestätigt.

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