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: Es kann besser werden

In Sachsen und Thüringen haben die Grünen einiges richtig gemacht und trotzdem katastrophal verloren. Aus dem Ergebnis lassen sich Lehren ziehen

Für die Grünen ist es ein Desaster: In Sachsen sind sie nur knapp im Landtag, in Thüringen fliegen sie raus. Ihre traditionelle Schwäche im Osten traf auf die miese Ampel-Performance im Bund und den neuartigen Drang aller möglichen Akteure, die Ökopartei für alles Mögliche verantwortlich zu machen. Viel mehr war da nicht zu holen. Und doch gibt es Umfragedaten, aus denen die Grünen Lehren ableiten könnten.

Zum Beispiel zu einem ihrer zentralen Wahlkampfthemen: Demokratie retten. Schon in der Kampagne zur Europawahl stand das im Mittelpunkt. Das floppte zwar, trotzdem versuchten die Landesverbände in Sachsen und Thüringen das Gleiche noch mal. Verständlich, denn bei der Mobilisierung von Mitgliedern funktioniert das Motiv ausgezeichnet. Warum bei Wahlen nicht?

Unter anderem, weil das Alleinstellungsmerkmal fehlt. Wer die Demokratie verteidigen wollte, konnte auch SPD, Linke oder sogar CDU wählen. Die Union selbst warb unter Progressiven darum, taktisch zu wählen und sie zumindest in Sachsen vor die AfD zu schieben. Damit hatte sie Erfolg: In beiden Ländern verloren die Grünen laut Infratest dimap am stärksten an die Union, sowohl in Thüringen als auch in Sachsen sagte eine Mehrheit der CDU-Wähler*innen, es sei ihnen nur darum gegangen, die AfD kleinzuhalten. Das Thema „Demokratie retten“ hat für die Grünen zu gut funktioniert. Ihre Wäh­le­r*in­nen sind zur Wahl gegangen, haben aber nicht grün gewählt.

In den Grünen-Kampagnen war auch das Klima zentral, ansonsten kam es im Wahlkampf aber kaum vor. In der Spitzenrunde des MDR für Thüringen fehlten Fragen zum Thema. Bei vielen Podiumsdiskussionen lief es ähnlich. Wäre es anders gewesen, wäre zwar auch das für die Grünen-Kandidat*innen kein Vergnügen gewesen. Von allen Seiten wäre ihnen einmal mehr Robert Habecks Heizungsgesetz vorgehalten worden, ein rotes Tuch gerade im Osten, wo viele unvermögende Ei­gen­heim­be­sit­ze­r*in­nen leben. Aber gar nicht für das eigene Kernthema argumentieren zu dürfen macht es auch nicht besser. Die mediale Setzung korrespondiert mit dem Bedeutungsverlust des Themas in der Bevölkerung. Infratest dimap fragte bei der Wahl 2019 und auch diesmal, wie vielen Menschen in Thüringen der Klimawandel große Sorgen bereitet – der Wert sank um 11 Prozentpunkte. Immerhin: Er liegt immer noch bei 54. Es haben sich aber neue Sorgen davorgeschoben. Mehr Angst haben die Befragten vor Migration, Islam, Kriminalität. Das sind heftige Rahmenbedingungen für eine Mitte-links-Partei, bei der Antirassismus gerade für viele jüngere Mitglieder identitätsstiftend ist. Auf den ersten Blick liefern die Zahlen Argumente für diejenigen Grünen, die auch der eigenen Partei eine härtere Migrationspolitik aufdrücken wollen. Robert Habeck zum Beispiel, der in der Koalition als Reaktion auf Solingen zustimmte, Dublin-Flüchtlingen das Geld zu streichen. Die Entscheidung hat den Grünen am Sonntag nicht sichtbar geschadet. Anders als noch bei der Europawahl deutet nichts darauf hin, dass sich viele linke Grünen-Wähler*innen abgewendet haben. Allerdings: Schon in den vergangenen Monaten haben die Grünen wiederholt Asylrechtsverschärfungen mitgetragen. Die Rufe von rechts nach weiteren Verschärfungen hörten trotzdem nicht auf, und die Wäh­le­r*in­nen in ­Sachsen und Thüringen schrei­ben den Grünen weiterhin keine Kompetenz in der Flüchtlings­politik zu. Zu gewinnen hat die Partei hier nicht viel.

Vor die Klima-Sorge haben sich aber noch zwei weitere Ängste geschoben, die die Grünen stattdessen angehen könnten. 77 Prozent der Thü­rin­ge­r*in­nen treibt demnach um, dass Deutschland in den Ukrainekrieg gezogen werden könnte. Die Grünen waren in Thüringen und Sachsen die einzige Partei, die eindeutig zu ihrer Ukraine-Solidarität stand. Sie wurden dafür besonders häufig angefeindet und verloren bei den Wahlen auch ans russlandfreundliche BSW.

Sie dringen einfach nicht mit ihrer Argumentation durch, dass nur Waffen am Ende zu einem echten Frieden führen könnten. Vielleicht dient es der Glaubwürdigkeit, wenn die Grünen in Bereichen jenseits der Ukraine mal wieder genuin friedenspolitisch auftreten. Die Frage der US-Mittelstreckenraketen für Deutschland zum Beispiel bewegt gerade im Osten viele Menschen. Mit Aufrüstungsdynamiken und Abrüstungsgesprächen kannten sich die Grünen einmal aus – in der aktuellen Debatte könnten sie die Kompetenzen mal wieder auspacken.

Und dann sind da noch diese Zahlen: In Thüringen zählt zu den größten Sorgen auch, den Lebensstandard nicht halten zu können. In Sachsen wurde am häufigsten soziale Sicherheit als wahlentscheidendes Thema genannt. Den Grünen wird dabei nichts zugetraut, und verloren ­haben sie am Sonntag auch signifikant an die SPD.

In den Grünen-Kampagnen war Klima zentral, ansonsten kam es im Wahlkampf aber kaum vor

Linke Grüne verweisen wie schon nach der Europawahl am liebsten auf solche Daten, wenn es um Konsequenzen aus den Niederlagen geht. Das ist einerseits schlüssig. Andererseits: Es war der Erfolg des linken Flügels, in der Partei eine Sozialpolitik im Sinne höherer Transferleistungen an die Ärmsten durchzusetzen. Kindergrundsicherung und Bürgergeld sind (auch) grüne Projekte – und verschaffen der Partei doch keine sozialpolitische Glaubwürdigkeit. Das Verhetzungspotenzial beider Reformen wurde unterschätzt.

Gewinnt man mit Sozialleistungen nicht bei der sozialen Sicherheit? Sollten die Grünen stattdessen stärker auf die soziale Infrastruktur setzen (Jugendzentren, Krankenhäuser, Wohnungen)? Lässt sich beides geschickt verbinden? In den nächsten Monaten müssen die Grünen ihr Programm für den Bundestagswahlkampf schreiben. Die Diskussion darüber, für welche Sozialpolitik sie dann stehen wollen, könnte hart werden, das zeichnet sich jetzt schon ab. Aber das ist nicht die schlechteste Aussicht: Es hieße zumindest, dass sie für eine Sozialpolitik stehen wollen.