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: „Wir vertrauen einander mehr, als wir annehmen“

Utopie-Konferenz hofft in Lüneburg auf Vertrauen

Interview Luisa Gohlke

taz: Halten Sie Vertrauen echt für eine utopische Praxis?

Sven Prien-Ribcke: Ja und nein. Wir vertrauen einander mehr, als wir annehmen. Wir gehen unbewaffnet auf die Straße, wählen und vertrauen den Gerichten.

taz: Aber warum stellen Sie das Thema „Vertrauen“ dann ins Zentrum der Utopie-Konferenz?

Prien-Ribcke: Weil es uns aufrüttelt. Wir haben es mit Ausnahmezuständen zu tun. Das verunsichert Menschen und Politik. Viele zweifeln daran, dass wir eine gute Zukunft haben können. Wir haben keine eingefahrenen Rezepte, mit denen wir klug auf die gegenwärtigen Krisen antworten können.

taz: Inwiefern ist Vertrauen in die Zukunft gerichtet?

Prien-Ribcke: Beim Vertrauen geht es zentral um Zukunft. Es ist eine Wette um eine gute Zukunft. Wenn wir einander vertrauen, gehen wir davon aus, dass wir uns auf ein Morgen und Übermorgen verlassen können.

taz: Aber beruht Vertrauen nicht auf Erfahrung?

Prien-Ribcke: Vertrauen ist eine Praxis, die wir politisch nicht diktieren können. Man muss es sich erarbeiten. Erst in der Praxis zeigt sich, wann Vertrauen gerechtfertigt ist.

taz: Was charakterisiert denn eine Vertrauensbeziehung?

Foto: privat

Sven Prien-Ribcke

Jahrgang 1975, Politikwissenschaftler, leitet Veranstaltungsformate im Leuphana-College der Uni Lüneburg.

Prien-Ribcke: In Vertrauensbeziehungen akzeptieren wir unsere Verletzbarkeit. Mindestens zwei Menschen müssen sich darauf einlassen. Wir vertrauen dann einander, wenn das Vertrauen bestätigt wird. Das heißt, wenn wir einander entgegenkommen und beidseitige Interessen berücksichtigt werden.

taz: Und wo ist diese Wechselseitigkeit Utopie und wo Alltag?

Prien-Ribcke: Ab der ersten Minute unseres Lebens treten wir in Vertrauensbeziehungen ein, weil wir als Menschen verletzbare Wesen sind. Dennoch ist das Vertrauen darauf angewiesen, immer wieder bestärkt zu werden. Es ist leicht zu erschüttern oder zu zerstören. Dieses Wechselspiel kann zur Utopie werden, wenn wir es politisch verstehen: Da wollen wir Menschen vertrauen, die wir gar nicht kennen. Das wird in unsicheren Zeiten noch mehr zur Herausforderung.

taz: Welche Art von Vertrauen meint die Utopie-Konferenz?

Prien-Ribcke: Das ist die Suche, auf die wir uns begeben wollen. Vom Klimawandel bis zur sozialen Ungleichheit – es könnte sich lohnen, mit der Vertrauensperspektive auf die großen Herausforderungen zu schauen. Das ist die Hoffnung, die wir mit der Utopie-Konferenz verbinden.

taz: Was leistet die Konferenz konkret?

Prien-Ribcke: Die Probleme sind da. Es ist nur die Frage, wie wir sie angehen. Im besten Fall gibt es dazu Ideen, wie wir die nächste Gesellschaft bewusster gestalten können. Vertrauen könnte ein Gegenentwurf zu den derzeitigen autoritären Versuchungen sein.

Utopie-Konferenz „Vertrauen – eine utopische Praxis?“, 29. bis 31. 8., je ab 10 Uhr, Leuphana-Uni Lüneburg, mit einer Langen Nacht der Utopie, 30. 8. ab 18 Uhr, Zentralgebäude

taz: Wobei diejenigen, die sich von autoritären Gedanken leiten lassen, ja genau darauf vertrauen.

Prien-Ribcke: Da sind wir bei der ganzen Ambivalenz des Vertrauens. Man kann innerhalb einer Gemeinschaft Vertrauensbeziehungen aufbauen, auch wenn die Gemeinschaft äußerst schwierige Ziele verfolgt. Deshalb ist Vertrauen immer darauf angewiesen, sich vor der Gerechtigkeit zu rechtfertigen. Ohne moralischen Kompass ist Vertrauen nicht viel wert.

taz: Also kommen zur Konferenz diejenigen, die eh die gleichen Werte teilen?

Prien-Ribcke: Wir bemühen uns um Anmeldungen aus der Zivilgesellschaft und arbeiten zum Beispiel mit Partnern zusammen, die das befördern. Aber klar, das wird immer beschränkt bleiben, weil man sich für eine solche Konferenz interessieren und sich trauen muss.