Dressurreiten bei Olympia: Gold für Dalera, Silber für Wendy

Die Dres­sur­rei­te­r:in­nen boten schöne Bilder. Leider sieht man es ihren Pferden nicht an, ob sie gequält werden, sobald die Kameras aus sind.

Gold im Einzel: Dressurreiterin Jessica von Bredow-Werndl auf Dalera.

Gold im Einzel: Dressurreiterin Jessica von Bredow-Werndl auf Dalera Foto: dpa

BERLIN taz | Einmal mehr war ARD-Kommentator Carsten Sostmeier ins Schwärmen geraten: „Die Piaffe schön im Takt und ausbalanciert, der Übergang fließend in die Passage hinein“, lobte er, die Reiterin gebe ihre Hilfen kaum wahrnehmbar, in der Passage zeige sich das Pferd „durch den Körper mehr und mehr schwingend, in der Oberlinie lockernd“. Eine großartige Leistung habe Charlotte Dujardin mit Imhotep gezeigt. Das war bei den Europameisterschaften im westfälischen Riesenbeck im vergangenen Jahr.

Mit dem Wallach galt die Britin auch als eine Favoritin für die Spiele in Paris, bis vor einigen Wochen ein Video auftauchte. Es zeigt sie, während sie beim Training ein verängstigtes Pferd mit einer Peitsche schlug. Sie wurde ein halbes Jahr gesperrt – aus bei Olympia.

Wie alle Prot­ago­nis­t:in­nen hat der viel bewunderte Carsten Sostmeier vor den Spielen sich vom „Fall Dujardin“ „zutiefst erschrocken“ gezeigt, das Gesehene „widere“ ihn an. Damit war er sich einig mit Jessica von Bredow-Werndl und Isabell Werth, die am Samstag zusammen mit Frederic Wandres mit ihren Pferden Dalera, Wendy und Bluetooth Gold in der Dressur-Mannschaftswertung holten; von Bredow-Werndl gewann zudem am Sonntag in der Einzelwertung Gold, Werth Silber vor der Britin Charlotte Fry auf Glamourdale.

Sie alle zeigten sich entsetzt, wütend oder traurig angesichts des geschundenen Pferdes. Man möchte das sogar glauben. Wer würde sein Dasein schon freiwillig der Reiterei widmen, wenn er die Pferde nicht liebte? Umso verstörender ist allerdings, was der Dressursport im Schlosspark von Versailles darbot. Man sah Pferde, die sich beim Laufen fast in die Brust bissen – ohne Schmerzen in Hals und Rücken geht das nicht. Man sah Pferde, die sich mit offenem Maul und heraushängender Zunge gegen zu harte Reiterhände wehrten. Doch weder bestraften das die Richter:innen, noch erwähnten es die Kommentatoren. Sostmeier schwadronierte wie eh und je von schwingenden Pferden und feinen Reiter:innen.

Wenn ZDF-Kommentator Hermann Valkyser den häufig propellerartig drehenden, häufig schief gehaltenen Schweif der Stute Gold-Stute Dalera bei der Qualifikation am Freitag nicht für ein problematisches Zeichen für Stress und Verspannung hielt, oder ihr zum Teil offenes Maul, mit dem sie sich gegen Paraden (also der Einwirkung der Reiterin mit Zügeln, Schenkeln und Gesäß) wehrte – dann hätte er wenigstens erklären müssen, warum nicht.

Mehr Affirmation geht nicht

Doch auch die ewig schleimige WDR-Reitsportexpertin Sabine Hartelt fragte nach dem Ritt nicht danach, im Gegenteil: Sie fragte: „Wenn die Königin zum Tanz gebeten wird, kann sie wirklich strahlen, das war ja ohne Wünsche, die offen geblieben sind“. Es scheint, als hätten weder Rich­te­r:in­nen noch Kom­men­ta­to­r:in­nen von dem Druck, unter dem der Dressursport durch die wiederkehrenden Skandale geraten ist, irgendetwas mitbekommen. Mehr Affirmation an den Status Quo geht nicht.

Affirmation aber ist das, was der Reitsport derzeit am wenigsten braucht, wenn er sich nicht nur als olympische Disziplin, sondern überhaupt als akzeptierter Sport retten will. Er braucht Distanz, Transparenz und Reflexion. Doch wo sollen die herkommen? Im Fall von Hartelt berichtete das Fachmagazin St. Georg schon vor 15 Jahren über ihre private Verquickung zu einer Mitbesitzerin eines Olympia-Pferdes, das sich schließlich als gedopt herausgestellt hatte.

Sostmeier verdient sein Geld nicht nur als Sportkommentator; auf seiner Website können ihn Veranstalter von Reitturnieren als Sprecher buchen, oder als Produzenten von Imagefilmen für Stall- oder Pferdebesitzer. Die Reiter:innen, die er in Paris kommentiert: alles potenzielle Kund:innen.

Isabell Werth gewann ihre sechste Silbermedaille bei Olympischen Spielen auf der Stute Wendy zu Recht, ihr Ritt war glänzend und die Stute ein Beispiel für ein Pferd, das nicht zu eng ging, sondern deren Stirnlinie sich stets vor einer gedachten senkrechten Linie zum Boden befand, so wie es die klassische Ausbildung vorsieht.

Doch Wendys Besitzerin hatte sie erst vor einem halben Jahr aus dem Stall des dänischen Dressurreiters Andreas Helgstrand herausgenommen und Werth zur Verfügung gestellt, nachdem eine Journalistin dort undercover Szenen von Tierquälerei gefilmt hatte. Wendy präsentierte sich in Paris als hervorragend ausgebildetes Pferd – ein Werbeträger für Helgstrand, dem man einen großen Anteil an den Medaillen zuzusprechen gezwungen ist. Das schmeckt bitter.

Druck von außen – eine erfolgreiche Petition

Es ist fraglich, ob die kleine Dressur-Gemeinschaft es von sich aus schafft, diesem Sport eine Zukunft zu geben. Völlig unabhängig vom Fall Dujardin beschäftige sich laut der Deutschen Reiterlichen Vereinigung eine deutsche Arbeitsgruppe schon seit einiger Zeit damit, einen Ansatz zu entwickeln, um den richtigen Ausbildungsweg mit losgelassenen Pferden auf Turnieren deutlicher zu belohnen und andererseits verspannt gehende Pferde kritischer zu bewerten, teilt der Verband mit. Vergleichbare Prozesse seien auch auf internationaler Ebene im Gange.

In Paris war davon noch nichts zu sehen. Derweil wird der Druck von außen größer: Eine Petition gegen die Misshandlung von Perden im Dressursport haben innerhalb weniger Tage fast 70.000 Menschen unterschrieben.

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