Ausgehen und rumstehenvon Ruth Lang Fuentes: Energie aus der Natur und Plakate in Blau
Praerie“ steht über dem Tor aus Holzbalken und bunten Lichtern, das wir nach der Bändchen-Kontrolle passieren. Nebeldunst hängt tief über dem nassen Boden und zwischen den Bäumen. Lässt das Wäldchen und die Holzhütten in der Abenddämmerung wie verwunschen erscheinen. Ein Labyrinth, das ich – obwohl ich schon zum dritten Mal hier bin – immer noch nicht durchschaut habe. Dazwischen: eine hölzerne Krähe, in deren Schnabel man kriechen kann, ein Lagerfeuer am Ende des Pfades, an den Seiten glückliche Gestalten in Hängematten mit großen Pupillen, ein dunkler Wagen mit der Aufschrift „philosophischer Darkroom“.
„Ich würde eher sagen Urwald, statt Prärie“, sagst du, während du eine Schnake wegklatscht, die vermutlich gerade dein Blut getrunken hat. „Aber was die Abgeschiedenheit angeht, passt der Name schon“, sage ich und lasse mich vom dunklen Bass treiben, der gerade über den „Auwald“-Floor rauscht.
„In den vier Tagen, Anfang August, kannst du der Geschwindigkeit der Großstädte entfliehen und die Energie aus der Natur ziehen“, hatte es auf der Webseite des Praerie-Festivals geheißen. Also hatten wir Zelt und Schlafsäcke – und blöderweise kein Autan – aufs Moped gepackt und waren in die Niederlausitz gefahren. Südöstlichstes Brandenburg. Strukturschwache Gegend. Bis zu einem Ort namens Drebkau. Dann nochmal zehn Kilometer tiefer in den Wald. Auf den Dorfstraßen sieht man kaum jemanden. Dafür immer wieder Plakate, meistens in Blau: „Es ist Zeit. AfD.“ Irgendwann Schilder an Zäunen am Waldrand: „Vorsicht! Lebensgefahr! Afrikanische Schweinepest!“
Mittendrin das Festivalareal, auf dem seit über zehn Jahren die etwas bekanntere „Wilde Möhre“ stattfindet. Seit diesem Jahre teilt sie sich das Gelände mit dem Praerie-Festival. Das soll Kosten sparen und die Ticketpreise nicht übermäßig steigen lassen. Damit weiterhin jeder die Möglichkeit hat, im Sommer der Großstadt zu entfliehen und die Energie der Natur in sich aufzunehmen. Wobei mit Großstadt hier hauptsächlich wohl Berlin gemeint ist, denke ich, während ich mir – ein nicht wirklich günstiges, aber dafür inspirierendes Getränk an der Bar hole. Nur Kartenzahlung erlaubt, heißt es hier, wo man Energie aus der Natur tanken soll. Es dauert etwas, die drei hinterm Tresen müssen erst selbst anstoßen und ich frage mich, auf welcher Seite die verstrahlteren Menschen stehen. Ob die Energie bei allen aus der Natur kommt, ist schwer zu sagen. Die Luft hier im Wald ist jedenfalls angenehm kühl und klar.
Wir lassen uns treiben und landen in einer Holzhütte namens „Süße Kombüse“. Der Boden: Sand. Die Decke: ein elastischer Stoff, so angebracht, als würden riesige Nippel über uns hängen. „Hübsch – das Tittenhäuschen“, sagst du. Dann stampfen wir in den Sandboden, bis die Sonne wieder aufgeht zum housigen Sound eines DJs namens Horst Haller. Viel später sogar zu einem wilden Spice-Girls-Remix.
Am nächsten Tag zwingt uns die Hitze aus dem Zelt. Auch heute wollen wir Energie aus der Natur ziehen. Wir versuchen es mit Kräuter-unter-den-Tabak-mischen, Im-Gras-Liegen, Sonnenbaden. Schlussendlich hilft der Spaziergang zum See – ehemals Tagebau Gräbendorf – und ein Sprung ins kalte Nass. Jetzt sind wir wach. Abends wird es wieder Zeit für Musik. Frida Darko wollen wir nicht verpassen. „Daniel Jäger – da müssen wir auch hin“, sagst du. Den verpassen wir dann doch, weil wir uns für ein Schnitzel in der Camping-Gaststätte entscheiden. Auf der Toilette laufen Schlager, junge Leute fahren mit ihren Simsons vorbei und die Frau rechts von mir auf der Bierbank erklärt ihren Gegenübern, was sie von den neuen Zäunen um den Wald hält, die diese vermeintliche afrikanische Schweinepest eindämmen sollen: „Uns haben sie auch mal weggesperrt. Jetzt machen sie’s mit den Tieren.“ Die anderen nicken. Wir zahlen. Bar. Und machen uns auf den Weg zurück ins mystische Wäldchen und seinen elektronisch-klingenden Energien.
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