wortwechsel
: Der autoritäre Staat – ein „Kunstwerk“ des Ostens?

AfD und BSW wollen einen starken, autoritären Staat – schreibt Autor Kowalczuk. Ist die Gleichsetzung beider Parteien „unverschämt“? Es geht um das autoritäre Erbe der DDR

Viel Arbeit vor den Landtagswahlen: Plakate der Kampagne für das Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) werden aufgehängt Foto: Jan Woitas/dpa

„Landtagswahlen im Osten: Diktatur der Mehrheit. AfD und BSW streben einen starken, autoritären Staat an, der durchgreift. Das spricht viele Menschen im Osten an, denn das kennen sie aus der DDR“, wochentaz vom 27. 7. 24

„Eine Unverschämtheit!“

In diesem Essay wird das BSW an mehreren Stellen wie selbstverständlich mit der AfD nahezu gleichgesetzt: „AfD und BSW streben einen starken, autoritären Staat an, der durchgreift.“ Und: „Wenn die „AfD (eventuell gemeinsam mit BSW) die Mehrheit im Bundestag erreicht …“ Ich halte es für eine Unverschämtheit, das BSW in einem Atemzug mit der AfD zu nennen. Wo bedroht das BSW in ähnlicher Weise wie die AfD die Verfassungsordnung Deutschlands? Das BSW hat sich auch schon vielfach von der AfD distanziert. Wo gibt es eine Zusammenarbeit von BSW und AfD? Einen so ungeheuren Vorwurf dürfte auch eine taz Redaktion einzelnen Autoren nicht durchgehen lassen.

Günter Winkler, Bamberg

Was Sie ausführen, Herr Kowalczuk, ist sicher eine Facette des Ganzen. Ihre Ausführung erklärt aber kaum, dass die meisten der anderen „westlichen“ Länder ihre eigene AfD haben: UK, Frankreich, Spanien, Italien, USA, Polen, Ungarn. Viele davon haben keine „Ossis“. Die Wurzel des Problems liegt im Neoliberalismus! Thomás Zerolo auf taz.de

Was mir fehlt, ist ein Verweis auf die Jahrzehnte währende neoliberale Abstinenz des Staates, die, als er begann, wieder spürbarer zu werden (siehe Corona), zu extremen Abwehrbewegungen innerhalb eines zunehmend libertären Teils der Bevölkerung (in Ost und West) geführt hat. Diese Bewegung hat sich verselbstständigt. Nathaniel auf taz.de

Das BSW strebt in keiner Weise einen autoritären Staat an – sondern nur einen starken. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Gerade die Meinungsfreiheit spielt ja im BSW – im Gegensatz zur AfD – eine große Rolle. Alexander Schulz

Alter Schwede, was ist das denn? Als über 40-Jähriger, der in der DDR geboren wurde und seit jeher im Osten von Berlin wohnt, finde ich den Artikel unerträglich. Niemand, absolut niemand in meiner Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis möchte eine DDR zurück. Auch keine DDR 2.0 oder DDR light. Seit Jahren laufen die Schlagzeilen über die Ossis, die die Nazis wählen – die fremdenfeindlichen, die diktatursüchtigen Ossis … Diese Artikel kamen schon, als die AfD vielerorts im Osten noch bei knapp 10 Prozent lag. Bei der diesjährigen Europawahl hat die AfD 12,6 Prozent geholt – in Bayern! Klaus Gissing

„Diktatur der Mehrheit?“

„Eine ‚Diktatur der Mehrheit‘ konstatierte bereits John Stuart Mill als große Gefahr der Demokratie.“ Der Rekurs des Autors auf John Stuart Mill als Autoritätsreferenz ist bemerkenswert, war doch der Spiritus Rector des englischen Liberalismus aus Furcht vor dem Pöbel ein entschiedener Gegner des allgemeinen und Verfechter des Mehrklassenwahlrechts, das nur der gebildeten Elite zustehen sollte. Alles andere führe zur Ochlokratie, also zur Herrschaft des Plebs, im 19. Jahrhundert oft auch als Laokratie bezeichnet, wörtlich „Volksherrschaft“. Reinhard Gutsche

Wie die „Demokratie“ in die DDR kam, hat man ja erleben können – da wurde doch nichts ausgehandelt. Da wurde übernommen, ausverkauft, vorgeschrieben. Fertig. Alle Zeitungen, die für den jungen ostdeutschen Demokratieprozess dringend notwendig gewesen wären, waren innerhalb kürzester Zeit in westdeutscher Hand. Führungspositionen, Immobilien ebenfalls. Die Treuhand war kein kleiner Betriebsunfall! Nichts mit Diskussion und gemeinsamer Gestaltung. Die riesige Arbeitslosigkeit war Schock und Disziplinierungsinstrument. Und es ist nachweisbar, dass die Regierung Kohl samt Entourage alles getan hat, dass möglichst alles Ostdeutsche verschwindet oder wirkungslos wird. Thomas Krüger (bpb) und Thomas Oberender (Berliner Festspiele) nannten das „kulturelle Kolonisation“. Eine verheerende und leider passende Vokabel. Hallenser auf taz.de

Kein neues Phänomen

Korrekte Analyse, aber diese Entwicklungen sind kein neues Phänomen und die Mechanismen, die sich dahinter verbergen, sind spätestens seit Adornos Studien zum autoritären Charakter bekannt. Es fehlt selbstständiges Nachdenken. Adorno hat als Ausweg auf Bildung und Erziehung zur Mündigkeit gesetzt. Um es mit dem in diesen Tagen häufig zitierten Karl Popper auszudrücken; „uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz.“

Sam Spade auf taz.de

@Sam Spade Zum Verschwinden der Toleranz führt es aber auch, wenn eine angebliche Mitte sich im ständigen Kampf gegen äußere Feinde wähnt und dabei Dissens zum Extremismus erklärt. Der Schritt von Popper zu McCarthy ist kleiner, als man denkt – und die Feindideologie, die der Artikel so großzügig anderen attestiert, ein zunehmend dominantes Moment eines selbst ins Autoritäre umschlagenden Liberalismus .O. F. auf taz.de

Sehr guter Essay, wirklich. Danke dafür. Dennoch erklärt er nicht die Rechtsradikalität im Osten. Ein starker Staat ist die eine Sache. Die Nachfolge der Nationalsozialisten anzutreten, im vollen Bewusstsein ihrer Gräueltaten, Massaker und Vernichtungen, das ist eine ganz andere Sache und fordert eine Reaktion des deutschen Staates heraus, der das nicht zulassen darf. Shitstormcowboy auf taz.de

@shitstormcowboy Meiner Meinung nach hätte man schon in den 90ern viel härter durchgreifen müssen. Nach Lichtenhagen hätte man alle Beteiligten, auch die Beifall klatschenden Nachbarn, wegen schweren Landfriedensbruchs und Hitlergruß ins Gefängnis stecken müssen. Stattdessen hat man das Asylrecht verschärft und die Täter bestätigt. Natürlich gab es damals einen riesigen Aufschrei, Lichterketten – aber in erster Linie hätte der Staat genau so hart auftreten müssen, wie es autoritäre Persönlichkeiten sich immer wünschen. Suryo auf taz.de