piwik no script img

Gefälschte und echte Erinnerungen

Das Braunschweiger Photomuseum feiert sein 40-jähriges Bestehen. Nun wirft es einen Blick auf Einflüsse der lokalen Kunsthochschule auf die Fotografie und die eigene Ausstellungstätigkeit

Von Bettina Maria Brosowsky

Das Feiern geht weiter: Das Braunschweiger Museum für Photographie feiert dieses Jahr sein 40-jähriges Bestehen mit einer Reihe von Ausstellungen. Auf die geschichtsträchtig bedrückenden Fotorecherchen des Niederländers Marcel van Eden folgte der Rückblick auf den Förderpreis der Wüstenrot-Stiftung, dessen Wanderausstellung jeweils vier Prämierter das Braunschweiger Haus seit Anbeginn zeigt.

Nun inspiziert das Photomuseum in zwei Präsentationen die institutionelle Geschichte. „Back to where we have started from“ lautet in schöner Retromanier der Titel einer Zusammenstellung, die Impulse der lokalen Hochschule für bildende Künste für die Fotografie und verwandte Medien im Allgemeinen und das 1984 gegründete Museum im Besonderen erkunden möchte.

Die Hochschule ist immerhin mit je einer Klasse für Fotografie, unter Gosbert Adler, sowie für Film gesegnet. Zwei weitere gelten der „Film- und Videokunst unter besonderer Berücksichtigung eines dokumentarischen Ansatzes“ unter Corinna Schnitt und „Fotografie, Medien & Poetik“ bei Natalie Czech. Die drei aktuell Lehrenden haben für die Ausstellung in der Städtischen Galerie Halle 267 Leihgaben zur Verfügung gestellt. Weitere 28 Künst­le­r:in­nen sind mit dabei: ehemalige Lehrende, auch anderer Disziplinen, und Ab­sol­ven­t:in­nen verschiedenster Jahrgänge – als Ein­zel­kämp­fe­r:in­nen oder Zweiergespanne.

Durchaus prominent geht es dabei zu. Unter den Exponaten findet sich etwa die fünfteilige Arbeit „Die reine Vernunft ist als reine Vernunft ungenießbar“ von Anna und Bernhard Blume aus dem Jahr 1981. Das Paar gilt als Pionier der inszenierten Fotografie, wurde bekannt durch gemeinsam entwickelte, fotografisch eingefangene Aktionen: tiefgründig philosophisch einerseits, absurd humorvoll andererseits. Einzeln oder gemeinsam standen sie für ihre Bildgeschichten vor der Kamera, stets in ausgesucht bieder kleinbürgerlichem Habitus, während um sie herum Kartoffelstücke, Teller, Vasen flogen oder Alltagsverrichtungen aberwitzige Tücken entfalteten.

Was Recherchen nun zutage förderten: Bernhard Blume (1937–2011) war kurzzeitig der allererste Professor für Fotografie an der HBK Braunschweig, bevor er 2002 einem Ruf nach Hamburg folgte, das Paar war mehrmals an Ausstellungen im Museum beteiligt.

Als Ausnahme-Absolvent der HBK sticht Sascha Weidner (1974–2015) heraus. In seinem partizipativen Ausstellungsexperiment „Was übrig bleibt“, erstmals 2009 vom Braunschweiger Museum für Photographie organisiert, stellte er 1.001 Abzüge seines Bildarchivs zur freien Entnahme zur Verfügung. Und fragte beiläufig auch nach dem Wesen der Fotografie: Dient sie vielleicht ja nur dazu, herauszufinden, wie etwas aussieht, wenn es fotografiert wurde? Weidners Bildanlässe waren alltäglich: nächtliche Situationen einer großen Stadt, isolierte Menschen, Natur und immer wieder tiefblaues Wasser. Seine Bildkompositionen verstand er aber stets dramatisch aufzuladen.

Meilensteinen der eigenen Ausstellungstätigkeit widmet sich der zweite Überblick „Erinnerungsbilder“ im Stammsitz des Museums. Nicht minder prominent geht es hier mit 30 Prot­ago­nis­t:in­nen weiter. So eröffnete im Juli 1984, wenige Monate nach der Gründung des Museums durch eine Handvoll Foto-Enthusiasten, die erste Personale, gewidmet dem Hannoveraner Chronisten norddeutscher (Agrar-)Landschaften, Heinrich Riebesehl (1938–2010).

Zwar ging das Museum erst zwölf Jahre später an den Start als die bereits 1972 gegründete „Spectrum Photogalerie Hannover“ – auch hier war Riebesehl von initiativer Wirkung – und Jahrzehnte später als in den USA, wo die Fotografie bereits unumstritten als museumstauglich galt. Allerdings bewahrt die Braunschweiger Institution bis heute ihre Eigenständigkeit: Sie ist nicht, wie das Gegenstück in Hannover, in einem großen Museum aufgegangen.

Zu dem in Braunschweig Gezeigten zählten Klassiker der Fotografiegeschichte: August Sander, Albert Renger-Patzsch, Walker Evans oder Gordon Parks. Jenseits des sachlich Dokumentarischen öffnete sich das Haus für Bildjournalisten wie Robert Lebeck, die große Porträtistin Gisèle Freund oder, 1991, den noch unbekannten Sebastião Salgado.

Zur Geschichte der Institution gehören aber auch nicht nur finanziell herausfordernde, eigene Produktionen wie 2010 „Shoot! Fotografie existentiell“ zur Bildproduktion der Fotoschussautomaten auf Jahrmärkten. Sie ist durch Erik Kessels Porträtreihe der Niederländerin Ria van Dijk in Erinnerung gerufen, seit Mädchentagen ein Fan dieser Automaten. Oder „Der letzte Klick“ mit Esther Shalev-Gerz, ebenfalls 2010. Ihrer Einladung, mit der privaten, demnächst stillzulegenden Kamera den allerletzten Klick zu teilen, folgten 26 Personen zu einer Porträtserie ganz speziellen Eigenlebens.

Back to where we have started from: bis18. 8., Städtische Galerie Halle 267, Braunschweig; Erinnerungsbilder: bis 15. 9., Museum für Photographie, Braunschweig

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen