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Archiv-Artikel

Denunziation als erste Bürgerpflicht

In Bonn verschärfen Polizei und Staatsanwaltschaft ihr Vorgehen gegen „Menschen ohne Papiere“. Kindergärten sollen „illegale“ Anmeldungen melden. Gegen Mitarbeiter des Jugendamtes wird ermittelt. „MediNetzBonn“ kündigt Protest an

VON ALBRECHT KIESER

In Bonn hat sich die Situation für Menschen ohne Papiere zugespitzt. Nach Aufforderung von Polizei und Staatsanwaltschaft hat das dortige Jugendamt die Kindertagesstätten angewiesen, Kinder von Eltern ohne Papiere beim Ausländeramt anzuzeigen. Die Staatsanwaltschaft hat außerdem Ermittlungen gegen Bedienstete des Jugendamtes eingeleitet – wegen „Beihilfe zu illegalem Aufenthalt“. Gegen dieses Vorgehen hat die Initiative „MediNetzBonn“, die Medizinische Vermittlungsstelle für Flüchtlinge, MigrantInnen und Menschen ohne Papiere, diese Woche Protest angekündigt.

Das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft überrascht, hatte sich doch in Bonn seit einiger Zeit ein liberaler Umgang mit Menschen ohne Papiere entwickelt. So hatte der Stadtrat im vergangenen Jahr mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen und FDP einen Beschluss gefasst, in dem er sich bei der Landesregierung in Düsseldorf für die Rechte von irregulären Migranten einsetzte und eine politische Initiative zur Legalisierung von „Illegalen“ forderte.

Die „Bürgerinitiative für die Rechte und die Würde von Menschen ohne Papiere“, die diesen Beschluss angestoßen hat, ist seit Ende 2004 mit einer eigenen Liste im Integrationsrat vertreten. Die örtliche Presse berichtete häufig und durchaus mit Verständnis über die Situation von so genannten „Illegalen“, von denen schätzungsweise 4.000 in der Stadt leben. Seit einem Jahr läuft auch die private Initiative „Migranet“. Sie vermittelt „Papierlose“, die sich wegen ihres „illegalen“ Aufenthaltsstatus‘ nicht krankenversichern können, an Ärzte und Krankenhäuser. Wohlwollend wird sie vom Referat für Multikulturelles im städtischen Amt für Soziales und Wohnen unterstützt. Schon seit mehreren Jahren ist es gängige Praxis, dass Kinder von „Illegalen“ städtische Kindergärten besuchen und auch zur Schule gehen. Zahlreiche städtische Gremien wissen davon – respektieren aber diese Realität, die den Kinderrechten mehr verpflichtet ist als dem deutschen Ausländerrecht. Überdies haben in den letzten Monaten Gruppen und Einzelpersonen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen, von den beiden Kirchen über Nichtregierungso rganisationen bis hin zu den Bonner Parteien, eine Initiative gestartet, damit die Stadt Bonn dem Beispiel von Freiburg und München folgt und die Zugangsrechte von Menschen ohne Papiere zu Bildung und Gesundheit ganz offiziell und öffentlich sicher stellt.

Dennoch gilt in Bonn seit Ende April die „dringende Empfehlung“ der Stadt an die Träger von Kindergärten, sich bei der Anmeldung von Kindern Pässe oder Meldebescheinigungen vorlegen zu lassen. So könnten die Namen „illegaler“ Kinder und ihrer Eltern der Ausländerbehörde gemeldet werden. Dass die Staatsanwaltschaft auch noch Ermittlungen gegen Jugendamtsmitarbeiter eingeleitet hat, darüber zeigt sich das Jugendamt auf Nachfrage nicht glücklich. Aber auch die Polizeiführung und die Staatsanwaltschaft zeigen sich wenig erfreut. Man sei aber, so die offizielle Sprachregelung, an das Legalitätsprinzip gebunden. Es habe Anzeigen von Polizeibeamten gegeben, denen nachzugehen man verpflichtet sei. Denn öffentliche Stellen – und dazu gehörten nach einer Weisung des noch amtierenden NRW-Innenministers Fritz Behrens (SPD) an die Kommunen auch die Jugendämter und die städtischen Kindergärten und Schulen – seien gesetzlich verpflichtet, ihre Kenntnisse über „illegal aufhältige Ausländer“ an das Ausländeramt weiterzugeben. Dies hätten die Jugendamtsbediensteten womöglich versäumt.

Dabei ist durchaus umstritten, ob und in welchem Umfang diese „Denunziationspflicht“ in § 87 des Aufenthaltsgesetzes für Jugend- und Schulbehörden gilt. So verneint etwa der Parlamentarische Beratungs- und Gutachterdienst des Landtags in Düsseldorf eine Mitteilungspflicht. In der bislang einzig allgemein zugänglichen juristischen Expertise „Rechtlos? Menschen ohne Papiere“ (Karlsruhe 2001) lehnt auch Ralf Fodor eine solche Mitteilungspflicht für Schulen oder Kindergärten ab. Und das neue Schulgesetz von NRW erkennt die Schulpflicht aller Kinder, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, seit dem 1. Mai 2005 an. Auch der Berliner Senat verneint die so genannte „Denunziationspflicht“ für das Land Berlin. Gestärkt wird diese Position nicht zuletzt durch die UN-Kinderrechtskonvention und das Haager Minderjährigenschutzabkommen, die das Recht von Kindern auf Bildung und Gesundheit ungeachtet der Herkunft festschreiben.