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Archiv-Artikel

Kanzler, tritt zurück!

Nicht gegendarstellungsfähig (V): Eisenbergs juristische Betrachtungen. Heute: die geplanten Neuwahlen

Formenmissbrauch nennen Juristen ein Verhalten, mit dem bei formal-wortgetreuer Nutzung eines Gesetzes dessen Inhalt zuwidergehandelt wird. Die bundesdeutsche Verfassung will keine Ablösung eines Bundeskanzlers ohne sichere parlamentarische Mehrheit für die Alternative. Jeder weiß, dass die Koalitionsfraktionen behaupten, sicher hinter dem Kanzler zu stehen. Danach ist alles, was der nun einfädelt, „Gefummel“ und verletzt die Verfassung.

Eigentlich ist es doch so: Der Mann hat keinen Bock, ein weiteres Jahr mit dieser Regierung, diesen Ministern, dieser kleinen Mehrheit im Parlament, dem Makel verlorener Landtagswahlen und gegen den Bundesrat zu regieren. Deshalb will er aus dem Amt und will Neuwahlen. Das ist verständlich und demokratiepolitisch unterstützenswert. Nun soll ein Anlass für eine Abstimmungsniederlage im Parlament herbeimanipuliert werden – ohne Not. Denn das Grundgesetz verbietet dem Kanzler nicht, aus welchen Gründen auch immer, zurückzutreten. Einen Rücktritt muss er nicht begründen, kann er aber. Tritt er zurück, sieht das Grundgesetz vor, wie die Nachfolge geregelt wird. Also kann der Mann sein persönliches und sein politisches Ziel, aus dem Amte zu fliehen und bei fehlender Mehrheit im gegenwärtigen Parlament für eine Alternative Neuwahlen zu erreichen, durch den eigenen Rücktritt erreichen, ohne den Makel, verfassungsuntreu zu handeln.

Übrigens können auch Bundesminister zurücktreten. Auch sie können nicht gezwungen werden, bis zur bitteren Neige an den Machenschaften des Kanzlers und seines Parteivorsitzenden mitzuwirken. Ein Rücktritt ist ein politischer Willensakt, verfassungskonform und mit Versorgungsnachteilen für den Rücktretenden verbunden. Da unsere Bundesminister einen Eid auf die Verfassung geschworen haben und für Neuwahlen sind, wird man auch ihnen zurufen müssen: Tretet zurück, und zwar sofort! Das hilft, auch den Kanzler auf den Pfad des Rechts zurückzuführen. Und außerdem stellt das die Verhältnisse klar.

JONY EISENBERG ist Strafverteidiger und Presseanwalt in Berlin