Kindl-Areal in Neukölln: Das Gut ist noch nicht voll

Die lichtlosen Kellergeschosse der ehemaligen Kindl-Brauerei in Neukölln gammeln seit Jahren vor sich hin. Die Vollgut-Genossenschaft will das ändern.

Das Bild zeigt einen Keller im Kindl-Komplex

Für den düsteren Kellerkomplex der Kindl-Brauerei gab es schon viele Pläne – passiert ist bislang nichts Foto: Rainer Rutz

BERLIN taz | Kein Strom, kein Wasser, kein Licht. Es braucht viel Fantasie in den stockfinsteren muffigen Höhlen im vierten Untergeschoss der ehemaligen Kindl-Brauerei im Neuköllner Rollbergviertel, um sich in den Räumen eine Holzwerkstatt vorzustellen. Oder eine Filmschule. Oder ein Kampfsportstudio. Uhcholl Simon Lee und Asli Varol vom Vorstand der Vollgut-Genossenschaft glauben fest daran. „Da ist dieser tote Raum und da ist richtig viel Potenzial“, sagt Varol.

Es geht treppab und weiter treppab, durch endlose Gänge in – „Achtung, Kopf einziehen“ – hohe hallenartige Räume, zum Teil mit, zum Teil ohne Stahlträgerästhetik. Fenster gibt es nicht. Wird es auch weiterhin nicht überall geben, sagt die 32-jährige Architektin Varol. Das alles könnte ein idealer Ort für einen Club sein, für Techno oder sonstiges Gewummer. Aber für Veranstaltungen sind die Räume nicht zugelassen, „aus genehmigungsrechtlichen Gründen“.

Die ab den 1870er Jahren nach und nach in die Rollberge gebauten Kellerlabyrinthe sind, so Varol, „die eigentliche Herausforderung des riesigen Kindl-Areals“. Während die oberirdischen Teile des 2005 geschlossenen Bierstandorts zwischen Neckar- und Rollbergstraße in den vergangenen Jahren – immobilienwirtschaftlich gesprochen – „entwickelt“ wurden, gammeln die Eiskeller, Produktions- und Lagerhallen in den vier Untergeschossen weitgehend vor sich hin. Darüber befindet sich eine Kartbahn. Auch die soll Ende des Jahres ausziehen.

Von den rund 40.000 Quadratmetern Fläche des „Vollgut“ genannten Komplexes wird aktuell nur ein Drittel genutzt, unter anderem vom Schwuz, einer der ältesten noch existierenden queeren Discos Berlins, die seit 2013 einen Teil des lichtlosen Monsterbaus bespielt. Die Vollgut-Genossenschaft will auch in die anderen Keller wieder Leben bringen – sogar recht zügig. Ende Juli soll ein Bauantrag eingereicht werden. Im kommenden Jahr sollen die Sanierungs- und Ausbauarbeiten beginnen. Die Inbetriebnahme ist für 2027 vorgesehen.

Last Exit Vollgut

An potenziellen Nut­ze­r:in­nen besteht Varol und Lee zufolge kein Mangel. Neben der besagten selbst organisierten Filmschule, einem Kampfsportstudio der Naturfreunde und der Holzwerkstatt im Kollektivbetrieb wollen drei queere Archive einziehen. Dazu ein Cateringservice, eine koreanische Markthalle, die Werkstatt einer Hilfsorganisation und eine Boulderhalle. Auch eine Kita ist geplant, nicht im Keller, sondern in der oberirdischen Kartbahn-Etage.

Das Projekt ist auch und vor allem eine Reaktion auf die hohen und weiter steigenden Gewerbemieten. Für etliche Genossenschaftsmitglieder gilt: Last Exit Vollgut. Die durchschnittliche Kaltmiete soll hier dauerhaft 11,05 Euro pro Quadratmeter betragen. Das ist deutlich unter dem, was in Berlin ansonsten aufgerufen wird.

Gewerbemietverträge werden in der Regel zudem nur befristet abgeschlossen, um dann oft zu teureren Konditionen verlängert – oder ohne Begründung gekündigt zu werden. Auch davor ist man auf dem Vollgut-Areal geschützt. Die Verträge sollen mindestens 99 Jahre laufen. Ein leichter Spaziergang dürfte es für die Genossenschaft trotzdem nicht werden.

Eines sei klar, sagt Varol: „Wir werden in den Untergeschossen keine Qualität erreichen, wo man superseltene Papiere lagern kann.“ Aber die Räume würden wieder nutzbar gemacht, es werde Toiletten geben, Belüftung, barrierefreie Zugänge und „einen gewissen Schallschutz“. Komplett finster soll es auch nicht bleiben. Geplant ist der Einbau eines Lichthofs. Die Genossenschaft will für die Rohbauarbeiten sorgen, den Innenausbau müssten die jeweiligen Mitglieder aus eigenen Mitteln stemmen, so Varol.

Immobilien für gemeinwohlorientierte Zwecke

Der Kellerkomplex gehört, wie ein Großteil der Grundstücke auf dem Neuköllner Kindl-Areal, seit 2015 der Stiftung Edith Maryon mit Hauptsitz in Basel. Deren Stiftungsmodell basiert darauf, Immobilien der Marktspekulation zu entziehen, um sie langfristig für soziale, kreative oder ökologische Nutzungen zur Verfügung zu stellen und zu sichern.

Der Boden bleibt im Eigentum der Stiftung, die Gebäude werden per Erbbaurecht an die Nut­ze­r:in­nen „abgegeben“. Über die Einnahmen aus dem zu zahlenden Erbbauzins sollen wiederum andere Immobilien für gemeinwohlorientierte Zwecke angekauft werden. So war es vor fast zehn Jahren bei dem lukrativ gelegenen Brauereigelände in Neukölln. So war es zuletzt beim queeren Hausprojekt Tuntenhaus in Prenzlauer Berg, das die Stiftung gekauft und vorerst vor der Verdrängung gerettet hat.

Auf dem Kindl-Areal haben die Schweizer oberirdisch bereits diversen gemeinwohlorientierten Projekten mehrere Teilgrundstücke erbbaurechtlich zur Entwicklung überlassen. Nur bei den Untergeschossen ruht still die See. „Da haben sich schon viele Fachplaner die Zähne ausgebissen“, sagt Asli Varol.

Tatsächlich sind die Vollgut-Genossenschaftler:innen nicht die Ersten mit ambitionierten Plänen für die einstigen Brauereikeller. 2021 gab es ein vom Bezirks­amt Neukölln unterstütztes Werkstattverfahren für die Entwicklung der Fläche oberhalb der Keller. Der Siegerentwurf sah „einen Lern-, Arbeits- und Begegnungsort“ vor, wobei der Einzug einer Waldorfschule bereits in Sack und Tüten schien. Die Pläne verschwanden in der Versenkung wie alle anderen davor.

Genossenschaft auf Geldsuche

Die erst im vergangenen Jahr gegründete Vollgut-Genossenschaft will es engagierter anpacken. Vorstand Uhcholl Simon Lee sagt: „Scheitern ist keine Option. Denn wenn wir es nicht machen, werden es andere machen.“ Und das dann auch komplett anders, davon ist der 43-jährige Mathematiker aus Neukölln überzeugt. Zumal der Komplex jedes Jahr mehr verfällt und nicht unter Denkmalschutz steht. Renditeorientierte Investor:innen, sagt Lee, würden „alles oder fast alles abreißen“, einen Bürobau hinklotzen und versuchen, die Flächen teuer zu vermieten. Genau das gelte es zu verhindern.

„Das klingt auch alles ganz toll“, sagt Lee zu den eigenen Plänen. „Aber am Ende brauchen wir Geld.“ Für die Ge­nos­sen­schaft­le­r:in­nen geht es um richtig viel Geld. Für Erwerb und Sanierung des Gebäudes sind 50 Millionen Euro kalkuliert, 35 Millionen sollen bei Banken als „ganz normaler Baukredit“ aufgenommen werden, fünf weitere Millionen steuern die Nut­ze­r:in­nen bei, indem sie 250 Euro pro Quadratmeter als Genossenschaftsanteil zahlen. Fehlen immer noch zehn Millionen Euro. „Die versuchen wir jetzt irgendwo herzuzaubern.“

Absehbar ist dabei, dass die Stiftung Edith Maryon den Vollgut-Komplex nicht ewig halten wird, wenn er nicht auch im Sinne der Schweizer „entwickelt“ wird. Anders formuliert: Die Zeit drängt. Ende des Jahres soll das Geld zusammengekommen sein, um mit der Stiftung einen Erbbauvertrag abschließen zu können. Auf öffentliche Fördergelder „können und wollen wir nicht setzen“, sagt Lee. Die angespannte Berliner Haushaltslage lässt grüßen.

Die Genossenschaft sucht stattdessen gemeinwohlorientierte In­ves­tor:innen: Stiftungen oder wohlhabende Men­schen­freun­d:in­nen, denen ein guter Zweck wichtiger ist als ein guter Zinssatz. Lee sagt, natürlich werde die Kapitalsuche schwierig. Deshalb sei man auch für Klein- und Kleinstbeträge offen. „Das kann auch der Nachbar sein, der sagt: Das finde ich toll, hier habt ihr 50 Euro.“

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