Deutschland gegen Schottland: Jedem Anfang wohnt…
…viel Skepsis inne: Vor dem EM-Auftaktspiel des DFB-Teams gegen Schottland gibt es mahnende Stimmen, aber auch verhaltenen Optimismus.
Die Sprenger sind aus. Das DFB-Team trottet auf den Rasen und macht sich die Schuhe nass. In Wurfweite des Trainingsplatzes liegen die Bungalows, in denen sie die EM über wohnen. Der Platz befindet sich im „HomeGround“, so heißt der Adidas-Komplex in Herzogenaurach, genauer in „Herzo-Base“, einem eigenen Stadtteil mit dem Charme eines besseren Industriegebiets. Die Presse darf an diesem Mittwochvormittag 14 Minuten zuschauen, dann werden sie wieder mit E-Bullys von VW ins nahe gelegene Medienzentrum gefahren.
Antonio Rüdiger joggt gemeinsam mit Jamal Musiala und Leroy Sane, und später beim Jonglieren will der Ball nicht so, wie Rüdiger will. Der Verteidiger von Real Madrid legt die Pille ab, während die anderen sie weiter fleißig hochhalten. Vielleicht geht ihm diese Finger-Sache durch den Kopf. Er hat sich diesmal nicht in muslimischer Kleidung mit dem sogenannten Tauhid-Finger fotografieren lassen, sondern offiziell in DFB-Kluft.
Mancherorts wird nun darüber diskutiert, ob das ein stinknormaler Fingerzeig ist oder doch irgendwie ein islamistischer, aber wie dem auch sei: Im DFB-Team spielt dieser politische Ladedruck keine Rolle. Die Mannschaft trainiert eifrig in Franken, um nicht vier Auftaktspiele hintereinander bei großen Turnieren zu verlieren. Gegen die Schotten geht es am Freitag in der Münchner Arena (21 Uhr, ZDF) um die Wurst. Die Aussichten? Tja, schwierig, Toni Kroos jedenfalls sagt: „Es ist unser aller Ziel, etwas auszulösen, was dann so ähnlich aussieht wie 2006.“ Man erinnert sich: Heim-WM, Jubel, Trubel, Heiterkeit und Durchmarsch bis ins Halbfinale.
„Wir haben Potenzial“
Aber weil bei dieser zuletzt so labilen Mannschaft nichts sicherer ist als die Unsicherheit, warnen die erfahrenen Nationalspieler lieber ein bisschen vor zu viel Euphorie. Thomas Müller sagt, man könne vorher viel schwätzen, aber bis dato sei noch nichts erreicht. Und Toni Kroos, der am Dienstag im Privatjet von Madrid nach Franken geflogen ist, findet: „Es ist nicht so, dass man direkt anfangen muss zu fliegen, das sehe ich nicht so. Dennoch weiß ich, welches Potenzial wir haben.“
Das hatte auch das Katar-Team. Aber wird dieses Potenzial abgerufen? Findet die Mannschaft zusammen? Sind die Führungsspieler endlich in der Lage, so formstark wie in ihren Klubs zu agieren? Kann die DFB-Elf die Effektivität vorm Tor steigern? „Wir müssen noch einen Tick konstanter werden“, sagt Kroos. „Dass wir wieder Fußball spielen können, hat man gesehen.“ Er bezieht sich auf die siegreichen Länderspiele im März gegen Frankreich und die Niederlande.
Alle beteuern, gut trainiert und voller Vorfreude zu sein. Die Chemie in der Mannschaft stimme, und das Trainerteam um Julian Nagelsmann, Sandro Wagner und Benjamin Glück leiste solide Arbeit. Wie substanziell solche Aussagen sind, weiß der Beobachter erst nach dem ersten Härtetest gegen die Schotten, die ja mittlerweile auch in der Fußballmoderne mit klugem Forechecking und flinken Konterattacken angekommen sind.
Folglich sagt Kroos: „Das ist der Typ Mannschaft, mit dem sich die DFB-Elf sehr schwer getan hat. Ein sehr, sehr unangenehmer Gegner.“ Aber damit es sofort auf dem Platz läuft, will Kroos für seine Mitspieler eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, sodass jeder seine maximale Leistung abrufen kann. „Wir haben große Verantwortung für die Stimmung im Land.“
Diesen Druck wolle er allerdings „genießen“, weil es doch ein Privileg sei, im DFB-Trikot aufzulaufen. In seinem Podcast „Einfach mal Luppen“ ließ er allerdings durchblicken, dass er einen Besuch beim Finalspiel der Dallas Mavericks in der Basketball-Liga NBA dem EM-Lager vorgezogen hätte.
Das Städtchen Herzogenaurach ist wie das ganze Land noch reserviert. Im Ort hat eine Apotheke geflaggt, im nahen Haundorf ein Eigenheimbesitzer. Sonst ist nicht viel. Auch das Ambiente ist nicht so exklusiv wie jene Absteige am Atlantik bei der WM 2014: Das Medienzentrum befindet sich in der Kantine „Adidas Halftime“. In Blankenhain, der ersten Station des DFB-Teams, war's heimeliger, inspirierender, aber es ist halt so: Nichts Genaues weiß man nicht. Noch nicht.
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