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Plaste und Elaste

Wie die Auswahl des Deutschen Fußball-Bunds im thüringischen Blankenhain Sympathiepunkte für ihre EM-Kampagne sammelt und dabei von einem ortsansässigen Unternehmer unterstützt wird

Aus Blankenhain Markus Völker

Matthias Grafe steht in der Burg, die offiziell als Schloss bezeichnet wird. Journalistinnen vom Radio um­schwirren den Glatzkopf. Sein Pressemann, der sich Communications Manager des Spa & Golf Resort nennt, warnt eindringlich davor, „private Fragen“ zu stellen. Aber Hotelier Grafe lacht nur und macht einen zotigen Witz, der hier nicht erzählt wird, weil ihn der Dingsbumsmanager, der auf Vorlage aller Zitate pocht, eh gestrichen hätte. Vom Burgturm grüßt Toni Kroos, und in echt sind heute die Leverkusener Robert Andrich und Jonathan Tah da.

Sie rühmen das Locker-Menschelnde von Rudi Völler, DFB-Sportdirex, und stellen in Aussicht, „gierig auf den Titel“ zu sein. Das dürfte Matthias Grafe, nicht weniger jovial als Völler, freuen, denn er erwartet die Deutschen und die Engländer nicht ganz uneigennützig im EM-Finale. Beide Teams beherbergt er in seinem Hotel etwas außerhalb von Blankenhain mit der schönen alten Burg, die schon die Grafen von Gleichen behauste.

Die Deutschen sind seit Montag mit ihren Familien, Freundinnen und ­Ambitionen da, reisen dann weiter nach Herzogenaurach. Die Engländer werden die Europameisterschaft über im Resort wohnen und üben. Das DFB‑Team hat die Tage ein bisschen trainiert auf einem Platz unterhalb der Hotelanlage. Die Journalisten ­durften jeweils 15 Minuten zuschauen und nahmen in dieser Zeit wichtige Erkenntnisse mit: Man dehnt sich, schiebt sich Bälle zu, schlägt Flanken – und die Frösche ­quaken laut in den Tümpeln, die in den vergangenen 11 Jahren mitsamt der Golfplätze angelegt wurden.

Das Trainingslager in Blankenhain im Weimarer Land ist der Auftakt der EM-Kampagne mit Teambuilding, gelöster Atmo und viel Werbung in eigener Sache: Die Nationalspieler besuchten die Blankenhainer Tafel, ließen sich von 15.000 Fans bei einem öffentlichen Training in Jena bejubeln, schrieben eifrig Autogramme und bespaßten Kinder auf dem neu getunten Fußballplatz von Grün-Weiß Blankenhain.

Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war am Mittwoch da, sagte etwas, das schon Minuten später wieder vergessen war, ein Sondereinsatzkommando der Polizei demonstrierte den Nationalspielern, was geht, wenn die Exekutive ruppig wird, und die Zeitung Thüringer Allgemeine (TA) walzte ihren Lokalpatriotismus täglich breit aus: „Thüringen schafft für einen guten Teamgeist anscheinend die besten Voraussetzungen.“

Matthias Grafe sagt, er sehe derzeit nur glückliche Menschen in und um Blankenhain. Der DFB habe sich durchaus offen gezeigt: „Sie sind, worauf ich auch gedrungen habe, zu den Menschen gegangen.“ Mensch und Fußballer kamen sich bisweilen nah, die meiste Zeit standen aber doch gelbe Se­cu­rity-­Leute und Zäune zwischen ihnen. Trotzdem überall Zeichen des Bemühens in Blankenhain: In der Stadt hängen ein paar deutsche Fahnen, Schule und Krankenhaus haben auch das englische Georgskreuz geflaggt. Das „Abwasserteam“ der Kläranlage Blankenhain grüßte das DFB-Team, und in der Burg ist eine Ausstellung zu Thüringer Besonderheiten zu sehen; Höhepunkt: der Gartenzwerg aus Gräfenroda, in die Welt gesetzt von August Heissner und Philipp Griebel im Jahre 1884, nun ja.

In der Severi-Kirche zeigt die Künstlerin Gabriele Jesch „Thüringer Würste“, Presssack, Blutwurst und Knacker. Der Pfarrer der Gemeinde outet sich in der TA als Fußballunkundiger und steht damit wohl allein da in diesen Tagen in Blankenhain, das im und mit dem Fußball aufgeht. Zeremonienmeister der Gemeinsinnsfestspiele ist natürlich dieser Matthias Grafe, nach dem Mauerfall aus dem Sauerland in den Osten gekommen, zusammen mit seinen drei Brüdern Clemens, Christian und Michael. Sie stammen aus einer Unternehmerfamilie, aber „die Alten“ hätten, wie Grafe erzählt, die Jungen ausbooten wollen, und so sind sie alle, seinerzeit um die 25 Jahre alt und fertig mit der Ausbildung, nach Thüringen gegangen, um den Altvorderen zu zeigen, was sie so draufhaben.

„Denen zeigen wir’s, haben wir damals gedacht. Unser Ziel war es nie, das große Geld zu machen, sondern nur größer und besser zu werden als der Betrieb von meinem Vater, das war unser Antrieb.“ Die Grafes machen in Plastik, das Hauptunternehmen nennt sich Grafe Advanced Polymers GmbH, und die Plattform North Data weist üppige jährliche Millionengewinne aus. „Wir freuen uns am Schaffen und Machen, also wenn etwas wächst“, sagt Grafe. „In den 90er Jahren war hier so eine positive Macherstimmung, es gab noch nicht diese verfestigten Verwaltungsstrukturen und diese Regulierungen wie heute, damals haben wir einfach gemacht.“

Als die Stadt das ehemalige Gelände des Guts Krakau in einen Vergnügungspark umwandeln wollte, kaufte Grafe das Gelände kurzerhand, baute Hotel und Golfanlage. Irgendwann kam er auf die Idee, Fußballvereine einzuquartieren, Teams, die ihr Sommertrainingslager zwischen beschaulichen Thüringer Hügeln verbringen wollen. Zuerst kam Werder Bremen, dann reisten die Queens Park Rangers und Glasgow Rangers an. In der Co­ro­na­zeit ließ Matthias Grafe besagten Fußballplatz bauen, mittlerweile gibt es – auch auf Wunsch des DFB – einen Paddle-­Fußballplatz, und der Ersatzplatz für die Engländer, also der des Kreisoberligisten Grün-Weiß Blankenhain, hat jetzt dank Zuschüssen des Landes auch die richtigen Fifa-Maße. Er wurde 10 Meter länger, 4 Meter breiter, und die Drainage funktioniert nun auch tadellos. Der Fußball macht vieles, fast alles möglich, und so träumt Matthias Grafe, der Schalke-Fan, von einem zweiten Oberhof, einer sommerlichen Variante.

Zeremonien­meister der Gemeinsinns­festspiele ist Matthias Grafe

Das ist die eine Vision. Die andere: „Ich möchte wieder einen positiven Vibe in die Gesellschaft bringen.“ Die Europameisterschaft sei eine einmalige Chance fürs gespaltene Land. Der Kick als Kitt. Das wäre gerade für Thüringen so wichtig, sagt Grafe, für den Freistaat, der oft negativ dargestellt werde, dabei „rennen die Leute im Osten seit 30 Jahren schneller als die auf der anderen Seite“, sagt er, „das muss man mal honorieren“. Durch die „westliche Deutungshoheit und auch Arroganz fühlen sich die Menschen hier schon ein bisschen deprimiert“.

Blankenhain hätte durchaus eines dieser abgehängten, frustrierten kleinen Städte im Osten werden können. Vor über 20 Jahren hatte die Stadt einen Schuldenberg von sage und schreibe 75 Millionen Euro angehäuft. Blankenhain wurde unter Zwangsverwaltung gestellt. Noch heute, erklärt CDU-Bürgermeister Jens Kramer, der gerade bei der Kommunalwahl mit über 70 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde, fließt 1 Million Euro jährlich in die Tilgung der Schulden.

Aber die Zeichen der Konsolidierung, vielleicht sogar des Aufschwungs, sind sichtbar: Die Arbeitslosenquote liegt nur noch bei 5 Prozent, die Abwanderung der Besten in den Westen ist gestoppt, die Burg wurde mit viel Bürgerwillen und Fördermitteln restauriert, wenngleich ein denkmalgeschütztes Gebäude vor der Burg so stark vom Hausschwamm beschädigt war, dass es abgerissen werden musste. Im Weimarer Land lag das AfD-Ergebnis bei der Kommunalwahl nur bei 10 Prozent, was aber laut Kramer daran liegt, dass sich in der Gegend kein Kandidat offen zu den Rechten bekennen mag. So sind es neben der CDU vor allem Bürgeri­nitiativen und Freie-Wähler-Gemeinschaften, die viele Stimmen bekommen haben.

„Die Familie Grafe beziehungsweise die Firma Grafe“, sagt der Bürgermeister, „ist gut integriert in Blankenhain und überzeugt auch durch ihr soziales Engagement“, was wohl eine Untertreibung ist, denn die Grafes sind nicht nur der größte Arbeitgeber und Steuerzahler in der Region, mit Christian Grafe sitzt seit einigen Jahren auch einer aus der Unternehmerfamilie im Stadtrat. Dass die Grafes Blankenhain in die Medien gebracht haben, findet Jens Kramer großartig: „Wir genießen natürlich das Medienaufkommen.“ Und den Geldfluss aus dem Thüringer Wirtschaftsministerium.

Nach dem Fußballplatz von Grün-Weiß wird demnächst der Vorplatz der Burg begrünt. Und auch vorm Rathaus und der Kirche soll sich bald etwas tun. Jens Kramer zeigt dem Gast aus Berlin eine Modellzeichnung des Projekts: „Es wird eine dauerhafte qualitative Aufwertung von Blankenhain geben, die Kerze wird nicht gleich wieder ausgeblasen, wenn die EM vorbei ist“, sagt der Bürgermeister.

In der Burg möchten die Blankenhainer künftig besondere Stücke der Manufaktur Weimar Porzellan ausstellen. Der zu DDR-Zeiten größte Arbeitgeber ging 2019 insolvent. Die Wege in Blankenhain sind nach wie vor gewunden, sie führen rauf und runter. Dennoch hat Matthias Grafe, der ewige Macher, das Gefühl, jeden Tag gehe es in der Stadt und der Region aufwärts. Zum Beispiel mit Grün-Weiß Blankenhain: „In 10, 15 Jahren werden wir eine Topmannschaft haben, weil die Kids jetzt so fußballbegeistert sind“, verspricht er euphorisch.

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