Jan Feddersen über den westdeutschen Blick: Ein Glücksfall!
Freunde und Freundinnen sagen mir offen: Da fahren wir nicht hin. Da – das ist der Osten unserer Republik. Manche haben ersichtliche Gründe: Menschen mit dunklerer Hautfarbe, als sie im Verständnis etlicher sein sollte, andere, weil sie einfach als Deutsche mit türkischer Familie keinen Stress wollen. Alles Verständnis für sie.
Dritte jedoch meiden Thüringen, Sachsen oder Brandenburg, weil sie glauben, dass das Gebiet der früheren DDR in der Bundesrepublik längst eine Art failed state ist, aussichtslos, dort überhaupt noch, in den Städtchen wie im Ländlichen, politisch etwas ausrichten zu können. Rechtsextrem, völkisch orientiert, bis in die letzten Gasthöfe und Gemeinden atmosphärisch vergiftet.
Meine Wahrheit bleibt jedoch: Der sogenannte „Osten“ ist das Beste, das diese Republik politisch zu bieten hat. Jene, die dem aggressiven Tun nicht folgen wollen, haben die Mehrheit. Wir sind mehr! In keinen anderen Gegenden leben so viele tatsächlich mutige Frauen und Männer, jung und jünger, aber auch alt, Demokratinnen*, die allen kulturellen Differenzen zum Trotz friedlich miteinander auskommen wollen. Von Frankfurt/Oder über Döbeln in Sachsen bis nach Eisenach sieht man schönste Landschaften, freundlichste Einwohnerinnen*, gewogenste Lebensverhältnisse.
In meinen vergangenen 28 Jahren in nächster Nähe, mit zahllosen Ausflügen und Begegnungen, privat oder im taz-Kontext etwa bei unserer Aktion taz.meinland vor 7 Jahren, zum sogenannten „Osten“ kann ich nur dies erinnern: Wahnsinnig interessante Menschen, die ihre eigene, oft brüchige Lebensgeschichte leben, die aber für ein friedliches Zusammenleben einstehen möchten. Ob im Erzgebirge, in der Prignitz, im Eichsfeld oder in der Lausitz, Männer und Frauen trauen sich, gegen den angeblichen Mainstream für Demokratie einzustehen, gegen das Völkische.
Das Schlimmste, das ihnen passieren könnte, wäre dies in erster Linie: Dass wir, die wir ein „westliches“ Leben gelebt haben, sie allein lassen. Dass wir sie abschreiben. Dass wir ihre anderen kulturellen Gepflogenheiten nicht aushalten wollen – die Sprechweisen, ihre Musik, ihre Lesegewohnheiten, ihre Art. Und dass wir ihnen auch ein bisschen übelnehmen, dass sie ein „normales“, nicht linksalternatives Leben führen (wollen).
Der „Osten“? Mit schierer Neugier gesagt: In diversester Hinsicht – das beste, was Deutschland passieren konnte.
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