: Lust am Dekonstruieren
Auf dem Debütalbum der portugiesischen Musikerin Ana Lua Caiano sind Gesang und Musik im produktiven und nicht nur harmonischen Zwiegespräch
„Setz dich hin und sieh die Sonne an, die Sonne, die so weit weg ist / lass uns sitzen bleiben, bis die Nacht zu Hause ankommt“. Ja geil, wer macht mit? Was Ana Lua Caiano aus Lissabon im Titeltrack ihres Debütalbums „Vou Ficar Neste Quadrado“ – auf Portugiesisch – singt, ließe sich als Einladung zum Innehalten verstehen. Mal nicht direkt wieder irgendwo hinzuhetzen, sondern vielleicht da zu bleiben, wo du gerade bist. Das Leben an dir vorbeiziehen zu lassen, statt selbst am Leben vorbeizuziehen.
Doch kontemplativ ist der Song, der sich über Menschen lustig macht, die nicht ihrem eigenen „Square“ („Quadrat“) entkommen, keineswegs. Er beginnt mit einem geloopten Klangfetzen von Caianos Stimme, der wie eine Bassdrum die rhythmische Grundlage für den reggaetonartigen Beat liefert. Elektronische wie akustische zusammengesetzte Klänge bilden wiederum die ästhetische Grundlage des gesamten Albums.
Die zehn Songs erzählen allesamt Geschichten. Sie stammen der portugiesischen Musikerin zufolge nicht aus persönlichen Erlebnissen, sondern sind inspiriert von Gesprächen, die ihr im Alltag so begegnen. Caiano erzählt diese Geschichten sehr eigenwillig, Gesang und Musik sprechen stets miteinander sprechen – und das nicht nur harmonisch. Eher steht beides in einem produktivem Kontrast zueinander.
Tanzaffine Tracks
Sobald sich etwa ein Gesangsteil mit ihrer klaren Stimme etabliert hat, bricht ein dissonanter, maximal künstlicher Sound herein. Der Lust am Dekonstruieren allzu „natürlicher“ Klangbewegungen folgt man gern. Immer wieder wird das Schöne und das Hässliche, das Sanfte und das Raue in ein neues Verhältnis gesetzt.
Manche Stücke sind rein instrumental, etwa das experimentelle „Bom, Vai Ficar Assim Por Hoje“ oder „De Cabeça Colada Ao Chão“ mit Anleihen an Industrial-Sounds, also Klängen, die maschinell sind und oft Lärm ähneln. Hier offenbaren sich Caianos Skills als Produzentin organischer, tanzaffiner Tracks, die auch an Clubmusik aus Lissabons Underground erinnern. Für ihre Kompositionen verwendet die ausgebildete Jazzmusikerin auch traditionelle Instrumente, etwa die bombo-Trommel oder die brinquinho de madeira, ein traditionelles Percussion-Instrument, das aus einem langen Stab besteht, an dem kleine bunte Puppen hängen. Diese mit Sägemehl gefüllten Puppen tragen kleine Kastagnetten aus Holz auf dem Rücken, während an ihren Füßen der Puppen Kronkorken befestigt sind. Mit einer Bewegung, die dem Öffnen und Schließen eines Regenschirms gleicht, werden diese Puppen zum Tanzen gebracht. Da tanzen doch die Hörer*innen gleich mit!
Philipp Rhensius
Ana Lua Caiano: „Vou Ficar Neste Quadrado“(Glitterbeat/Indigo)
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