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ausgebremstRadentscheid in Göttingen unerwünscht

Politisches Engagement von unten ist, so scheint es, nicht wirklich erwünscht in Göttingen. Jedenfalls nicht von denen, die in der Stadt das Sagen haben: die Verwaltungsspitze um Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) und die „Deutschland-Koalition“ im Stadtrat aus SPD, CDU und FDP.

Das gilt aktuell vor allem für den Göttinger Radentscheid. Die Gruppe „Göttingen Zero“ hat mit einem Bürgerbegehren erzwungen, dass die Ein­woh­ne­r:in­nen parallel zur Europawahl über Verbesserungen für den Fahrradverkehr abstimmen können. Eigentlich sind es sogar zwei Radentscheide, die zur Abstimmung stehen. Der erste umfasst allgemeine Forderungen, im zweiten werden konkrete Schritte für Radwege oder „Protected Bike Lines“ benannt.

Überflüssig sei der Radentscheid, argumentierte die Verwaltung zunächst. Sie verwies auf vordere Plätze, auf denen Göttingen in den vergangenen Jahren in Rankings für fahrradfreundliche Kommunen gelandet sei. Allzu viele Orte hatten sich an diesen Wettbewerben allerdings nicht beteiligt, und selbst die Gewinner erhielten gerade mal die Gesamtnote „befriedigend“. Tatsächlich besteht in der Stadt erheblicher Verbesserungsbedarf zugunsten der Radler:innen. Mehrere schwere, teils tödliche Unfälle belegen dies auf tragische Weise.

Gegenargumente zu ihrem Nein beschränkt die Stadt, sie hat Plakatwerbung für den Rad­entscheid auf öffentlichen Stellwänden untersagt. Nicht nur der Verein „Mehr Demokratie“ hat den Verdacht, dass die Stadtspitze die Debatte aus dem öffentlichen Raum drängen will. Schließlich operieren die Stadtoberen mit fragwürdigen Kostenberechnungen. Knapp 100 Millionen Euro seien nötig, um die Maßnahmen der Radentscheide umzusetzen, wird mit Verweis auf die ohnehin klamme kommunale Kassen geklagt. Zudem wird suggeriert, dass die Ausgaben für den Radverkehr zulasten anderer Initiativen und Projekte etwa im Bereich Sport und Kultur gingen. Die Taktik verfängt. Mit dem FC Grone äußerte jetzt ein prominenter Sportverein öffentlich Befürchtungen über „existenzielle Einschnitte“, wenn Millionen für die Maßnahmen des Radentscheids rausgehauen werden.

Berechnungen von „Göttingen Zero“ und des Bündnisses für nachhaltige Stadtentwicklung hat die Verwaltung die Kosten allerdings äußerst großzügig nach oben aufgerundet. Die Initiativen gehen nur von Ausgaben in Höhe von etwa 50 Millionen Euro aus, ein großer Teil davon könne überdies durch Projektmittel und Zuschüsse eingeworben werden.

Zum Vorgehen der Stadt passt ein – möglicherweise unabsichtlicher – „Tippfehler“ oder „Zahlendreher“, den Broistedt am Mittwoch einräumte. Im Vorfeld des Bürgerbegehrens musste die Verwaltung Kostenschätzungen für die beiden Teile des Entscheids abgeben. Dabei kamen für den ersten Teil 30,4 Millionen heraus. An die Initiatoren des Begehrens wurden diese Daten per E-Mail übermittelt.

Im Anschreiben der Mail war dann allerdings von 39,4 Millionen die Rede. Die falsche Zahl zog sich in der Folge wie ein roter Faden durch alle Vorlagen und Formulare, bis er diese Woche bemerkt wurde. Sie findet sich auch auf den Musterstimmzetteln, die Brief­wäh­le­r:in­nen zugestellt worden sind – eine Peinlichkeit, die dazu führen könnte, dass die Kommunalaufsicht zumindest den ersten Radentscheid stoppt. Reimar Paul

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