ortsgespräch
: Der Trend geht zu bunt: Linksradikale brechen mit der Tradition des Schwarzen Blocks

Der Schwarze Block ist tot. Lang lebe der Schwarze Block! Die Demonstrationstaktik, dass alle Teil­neh­mer*in­nen schwarz vermummt kommen, ist nicht komplett abgeschrieben. Aber ihre unhinterfragte Kontinuität ist gebrochen. Das hat sich am 1. Mai in mehreren Städten gezeigt.

In Hamburg hatte die anar­chis­ti­sche Gruppe Schwarz-­Roter 1. Mai einige Tage vor dem Tag der Ar­bei­ter*in­nen dazu aufgerufen, entgegen ihrer Tradition nicht in Schwarz zu erscheinen. Was kurz wie ein Scherz klang, war gut durchdacht und begründet. Die Black-Block-­Taktik wirke abschreckend und sei alles andere als barrierearm, schrieben die Anar­chist*in­nen auf ihren Social-Media-Kanälen. Marginalisierte Personen wie Papierlose, aber auch Familien mit kleinen Kindern oder ältere Menschen fühlten sich nicht wohl, wenn man aufgrund von hochgezogenen Transparenten nicht gut sehen könne, es unerwartet knalle und rauche und die Situation sich jederzeit dynamisch und bedrohlich gestalten könne.

All das gehört zu einem Schwarzen Block ebenso dazu wie dunkle Schals und Kapuzenpullover. Aber: „Anarchismus ist mehr als der Schwarze Block“, schreibt der Schwarz-Rote 1. Mai. Und so kam es auch: Der einzige Schwarze Block war am Mittwochmittag der, der vor der Demo herlief: die Polizei.

Die Linksradikalen in Hamburg sind nicht die Einzigen, die sich entsprechende Gedanken machen. Auch Dresdener Anar­chist*in­nen hatten dazu aufgerufen, sich nicht zu vermummen.

Die Antifagruppe namens Winsen Luhe Against Nazis hatte schon im vergangenen Jahr einen Text veröffentlicht, der dafür wirbt, Schwarz nur dann zu tragen, wenn es nötig sei.

Auch die Offene Anar­chis­ti­sche Vernetzung Leipzig griff das auf.

Die Linken nennen noch einen Grund für die Entscheidung: Der Black Block werde inflationär genutzt. Man vermittle damit eine Militanz, die man oft nicht durchsetzen könne, und setze Menschen unnötiger Repression aus. Der Dresscode ergebe auf einer angemeldeten Demo keinen Sinn. „Trage Schwarz wenn nötig“, sei die Devise.

Aber wann ist der Schwarze Block nötig? Wenn etwa die G20-Staats­chef*in­nen samt Autokraten wie Recep Tayyip Erdoğan und Kriegstreibern wie Wladimir Putin in die Stadt kommen und dann die Versammlungsfreiheit mittels einer riesigen Demoverbotszone außer Kraft gesetzt wird, wie es 2017 in Hamburg geschah – das war so ein Szenario.

Die Antwort der linken Szene in Richtung der politisch Verantwortlichen war da durchaus folgerichtig: „Wenn ihr denkt, ihr könnt hier machen, was ihr wollt, machen wir auch, was wir wollen.“ Sprich: Wir stören Abläufe, stiften Chaos und machen Sachen kaputt. Das vermittelt man nicht mit einer bunten Latschdemo.

Der Hamburger Staatsanwaltschaft würde es gefallen, alle in Kollektivhaft zu nehmen, die sich am Schwarzen Bock beteiligt haben. Genau das passiert gerade beim G20-Rondenbarg-Verfahren vor dem Hamburger Landgericht. Eine entscheidende Frage dort ist: War die Demo ein Schwarzer Block? Wenn ja, sieht es schlecht aus für die Angeklagten. Denn dann sei das Ziel Chaos und Zerstörung gewesen, also Landfriedensbruch, argumentiert die Staatsanwaltschaft.

Die nächste Demo mit Schwarzem Block kann hier leider nicht verraten werden – sonst, liebe Polizei, wäre das Überraschungsmoment ja futsch.

Doch der als Sachverständige geladene Protestforscher Sebastian Haunss wies da­rauf hin, dass man es sich so leicht nicht machen dürfe. Zum Schwarzen Block gehöre es, Militanz anzudrohen, was oft nicht eingelöst werde. „­Militanz ohne Militanz“ sei die Formel.

Für die Militanten, die Friedlichen und die manchmal Militanten bleibt festzuhalten, dass es schlau ist, sich nicht immer so zu verhalten, wie es erwartet wird. Wer kräftemäßig unterlegen ist, sollte unberechenbar sein.

Katharina Schipkowski