Mandala-Aktion im Bremer Überseemuseum: Über Mittag im Nirwana
Im Bremer Überseemuseum ist ein Mönch beim Streuen eines Sandmandalas zu besichtigen. Es ist unerwartet kompliziert, dabei entspannt zuzugucken.
E in bisschen erschrecken kann man schon, als da plötzlich im düsteren Tunnel der Buddhismus-Ausstellung im Bremer Überseemuseum ein lebendiges Ausstellungsstück hockt. Auf einem kleinen Podest ruht ein Mann in der Gewandung tibetischer Mönche und streut pulverfeinen Sand in knallbunten Farben auf sein stetig dichter werdendes Bild. Dieses dem Shakyamuni-Buddha gewidmete Mandala ist das Highlight in der Sonderausstellung des Völkerkundemuseums und stellt attraktionsmäßig selbst die hübsche Goldfigur vom Herrn des Todes und das rituelle Hackmesser in den Schatten.
Der Mönch heißt Geshe Lobzang Tsewang und kommt ursprünglich aus Tibet, auch wenn er seit ein paar Jahren in einem Kloster im Odenwald residiert. Eine knappe Woche ist er nun in Bremen, um an diesem Mandala zu arbeiten – bis zu acht Stunden am Tag. Im Halbkreis drumherum sitzen ungefähr zehn Menschen auf Klappstühlen und Hockern.
Versteckt im Schatten einer Vitrine macht einer ein heimliches Foto mit dem Handy. Vielleicht ahnt er, dass die abschließende Zerstörung des Bilds wesentlicher Teil der Erfahrung ist, und schämt sich, es auf dem Handy zu verewigen? Vielleicht hat er auch Zweifel, ob man Geshe Lobzang Tsewang einfach so abfotografieren darf, nur weil für die anderen Exponate gilt: „Alles, nur kein Stativ und kein Blitz.“
Angespannte Ruhe
Das Publikum wirkt auf angespannte Weise tatenlos. Einer deutet immer wieder entschieden auf den leeren Platz neben sich: ob nun aus Fürsorge, oder weil es so fies knarrt, wenn die Umstehenden das Gewicht von einem aufs andere Bein verlagern.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Von all dem unberührt wirkt der Mönch, der da sein Mandala … ja, was eigentlich? Er malt ja nicht. Sagen wir: Er streut sein Bild. Sein Werkzeug, das an eine Muskatnussreibe erinnert, ist tatsächlich ein Chakpur: ein eng zulaufender Metalltrichter, den der Mönch mit dem farbigen Sand füllt, um ihn punkt- oder korngenau auf dem Mandala zu applizieren. Weil er dafür mit einem Stab am Trichter reibt, hallt unentwegt ein raspelndes Geräusch durch die Ausstellung.
Für Mönche wie Geshe Lobzang Tsewang ist das Ausstreuen des Bildes eine spirituelle und meditative Angelegenheit, klar. Aber auch bei den Zuschauer:innen soll das Betrachten des Mandalas „Geistesgifte“ neutralisieren, wie zum Beispiel Gier oder Verblendung.
Wieder traut sich wer an ein Foto: eine junge Frau diesmal, die betont beiläufig das Smartphone in die Senkrechte hebt und so tut, als würde sie sich eigentlich mit ihrer Begleiterin unterhalten. Sie macht das gut, und ihr Fotografierversuch wäre beinahe unbemerkt geblieben, hätte sich nicht die Fokussierleuchte der Kamera auf der Glatze des Mönchs gespiegelt. Keine Ahnung, ob er’s bemerkt hat. Er lächelt zwar, aber das tut er eigentlich die ganze Zeit.
Witze gegen das Unbehagen
Schwierig, diese Szenerie zu sortieren. Was manchen als das Ausstellen exotisierter Menschen vorkommen mag, ist für andere gelebte religiöse Praxis. Tatsächlich sitzen gleich mehrere entrückt lächelnde Personen drumherum, die den Eindruck machen, irgendwie dazuzugehören. Auf einer Tafel nebenan steht, dass Geshe Lobzang Tsewang vom Dalai Lama höchstpersönlich den Auftrag erhalten habe, auch im Westen zu lehren.
Gegen das Unbehagen notiere ich eine scherzhafte Bemerkung über die Tempeltapete hinter dem Podest, die ich schon wenig später nicht mehr lustig finde. Ich komme mir etwas respektlos vor und frage mich kurz, ob nicht vielleicht das Mandala dieses Geistesgift nach oben drückt und ich gerade sozusagen ausschwemme. Obwohl das Ding ja noch nicht mal fertig ist.
Man weiß ja nie. Aber wahrscheinlich liegt’s doch an mir, weil die anderen Leute hier solche Probleme offenbar nicht haben: am wenigstens eine mutmaßliche Bremerin, die in Alltagsklamotten den Schauplatz betritt, die Vitrinen links liegen lässt und den seit einer halben Stunde schweigenden Mönch auf rituelle Weise anspricht. Der lächelt und antwortet ähnlich förmlich, bevor die beiden auf Englisch ins Plaudern kommen. Und selbst die reglosen Lächler drumherum wirken ein bisschen überrascht darüber, dass man mit diesem besonderen Exponat sogar reden darf.
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