Sachsens Union mag wohl nicht mehr Koalition

Nach dem Streit um das Cannabisgesetz schert die CDU erneut aus der Regierungslinie aus: Sie lässt die Verfassungsänderung platzen. Grüne und SPD reagieren gestresst

Ministerpräsident Michael Kretschmar geht mit der CDU eigene, etwas schlecht belichtete Wege Foto: Robert Michael/dpa

Von David Muschenich

In Sachsen ist eins der großen Regierungsprojekte gescheitert: die Verfassungsänderung. Am Dienstag erklärte die CDU erst im Koalitionsausschuss und dann öffentlich, dass mehrere Abgeordnete ihrer Fraktion die Reform nicht inhaltlich unterstützten und nicht für sie stimmen werden. Dabei stand dieses Vorhaben im Koalitionsvertrag.

Fünf Monate vor der Landtagswahl fällt es der konservativen Partei offenbar zunehmend schwerer, der Koalitionslinie mit Grünen und SPD zu folgen. Das vor allem von den Grünen vorangetriebene Agrarstrukturgesetz blockiert die Union. Beim aufgeschobenen Vergabegesetz klagt wiederum die SPD über mangelnde Unterstützung. Beide Parteien kritisieren mittlerweile: Die CDU sei nicht mehr verlässlich.

Mit der Reform wollten CDU, Grüne und SPD die Hürden für direktdemokratische Teilhabe senken, ein Bekenntnis zum geeinten Europa festschreiben sowie Klimaschutz als Staatsziel in der sächsischen Verfassung festlegen. Monatelang verhandelte die Koalition über Details, im Dezember 2023 reichten die Fraktionen den Gesetzentwurf ein. Auch die Fraktion der Linken hatte Unterstützung signalisiert. Mit deren Stimmen hätte es für die notwendige Zweidrittelmehrheit im Landtag gereicht.

Doch am Dienstag hat der Stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, Sören Voigt, mitgeteilt: „durch den Austritt eines Mitglieds sowie die Ablehnung der Verfassungsänderung durch vier Abgeordnete ist eine notwendige Zweidrittelmehrheit im Plenum nicht mehr zu erreichen“. Dabei war ein Teil der Änderung auch ein Wahlversprechen Ministerpräsident Michael Kretschmers: Er wollte direkte Demokratie fördern.

Fehlt es unter den 44 Abgeordneten der CDU-Fraktion an Disziplin? Dazu wollte sich die Union auf taz-Anfrage nicht äußern. Ein anderes Beispiel dafür, dass die CDU mit der Koalitionslinie hadert, begründete Kretschmer mit seinem „Gewissen“. Am Freitag stimmte er im Bundesrat dafür, wegen des Gesetzes zur Cannabislegalisierung den Vermittlungsausschuss anzurufen – obwohl sich die Koalition darüber nicht einig war und bei Unstimmigkeiten eine Enthaltung üblich ist. Die Vize-Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) und Wolfram Günther (Grüne) widersprachen dem Votum noch in der Sitzung, wodurch Sachsens Stimmen ungültig wurden.

Der Koalitionskrach wurde so auf ganz großer Bühne ausgetragen. Günther bezichtigte Kretschmer danach, er habe den Koalitionsvertrag verletzt. Folgen hatte das aber bisher keine. Auch der Co-Vorsitzende der SPD in Sachsen, Henning Homann, kritisiert das Abstimmungsverhalten Kretschmers als bloßen „Showeffekt“, die ungültige Stimme der sächsischen Regierung hatte am Ende denselben Wert wie eine Enthaltung.

„Sie brechen ihre eigenen Wahlversprechen“

Henning Homann, SPD Sachsen

Doch auch darüber hinaus, mit Blick auf den Koalitionsvertrag, sagt Homann: „Auf die sächsische Union ist kein Verlass. Sie brechen ihre eigenen Wahlversprechen auch gegenüber den Bürgern.“ Ähnlich kritisiert auch die sächsische Grüne Co-Vorsitzende Marie Müser: „Die CDU hat immer das Bild geprägt, dass sie vertragstreu sei. Jetzt erleben wir aber, dass sie sich nicht mehr an Absprachen hält.“

Der Generalsekretär der sächsischen Union, Alexander Dierks, entgegnet der Kritik, dass die „Koalition aus der Mitte“ die gemeinsame Verantwortung bis zum Wahltermin am 1. September wahrnehmen werde. Welche Regierung danach folgt, ist bisher noch unklar. In Umfragen liegt derzeit die AfD mit mehr als 30 Prozent vorne. Die CDU kommt mit etwa 30 Prozent auf Platz zwei, während SPD, Grüne und Linke nur knapp über der Fünfprozenthürde liegen. Abhängig davon, wie das Bündnis Sahra Wagenknecht abschneidet, werden die Verhandlungen schwer.