Wissenschaftler über Weltraumnahrung: „Alles, was krümelt, ist verboten“
Volker Hessel ist Professor für Nachhaltiges Chemieingenieurswesen. Er verrät, warum Tubenessen im Weltraum bald der Vergangenheit angehören könnte.
wochentaz: Herr Hessel, stimmt es, dass man auf der Internationalen Raumstation ISS keine Chips essen darf?
Volker Hessel: Ja, das stimmt – und auch kein Brot. Alles was in tausend Teilen krümelt, ist verboten. Die Teile würden überall herumschweben, und man würde sie sehr schlecht aus der ISS rauskriegen.
ist Professor für Nachhaltiges Chemieingenieurswesen an der Universität Adelaide. Er ist Co-Autor einer Studie zum Anbau von Lebensmitteln im All.
Seit Kurzem kann man auf der ISS Misopaste essen, die vor Ort fermentiert wurde, und das offenbar zum ersten Mal. Was bedeutet das für die Ernährung im All?
Was da oben auf der ISS am meisten vermisst wird, ist das Essen. Bislang ernähren sich die Astronauten meist von thermostabilisierten Pasten oder gefriergetrockneten Nahrungsmitteln. Das schmeckt nicht besonders. Fermentation ist da ein Schritt in die richtige Richtung.
Die im All produzierte Misopaste soll nussiger und kräftiger schmecken als auf der Erde. Woran liegt das?
Es gibt immer wieder Berichte, dass das Essen dort oben anders schmeckt und riecht. Das ist nicht zu 100 Prozent wissenschaftlich bestätigt. Aber im Weltall funktioniert vieles anders, die Verdauung zum Beispiel. Die Bewegungen des Verdauungstraktes sind durch die fehlende Schwerkraft gestört, wodurch die Nahrungsaufnahme reduziert wird. Gleichzeitig dauert der Verdauungsprozess länger, der Magen kann wehtun. Außerdem haben Astronauten einen erhöhten Nährstoffbedarf. Im All brauchen sie bis zu 3.700 Kalorien pro Tag, das sind 50 Prozent mehr Kalorien als auf der Erde. Medikamente wirken schlechter, und Krankheiten sind zum Teil stärker.
Welche Ideen gibt es noch, um die Ernährung im Weltraum zu verbessern?
Die Astronauten sollen mehr frische Nahrung mit Geschmack essen können. Das Ziel ist daher, ein Gewächshaus auf dem Mond zu bauen, mit dem sie sich selbst versorgen können.
Ein Gewächshaus auf dem Mond? Das klingt wirklich nach Science-Fiction.
Der technische Aufwand ist groß – aber der Wille auch. Die NASA will im September 2025 wieder Astronauten zum Mond schicken. 2028 soll dort eine Station auf dem Südpol gebaut werden, eine Art erstes Monddorf. Und eine Reise zum Mars ist für die Jahre nach 2030 geplant.
Wie kommen die Pflanzen mit der Schwerelosigkeit im All zurecht?
Pflanzen können sich sehr gut anpassen, sie sind schon viel länger hier als wir. Und mit Gewächshäusern im All gibt es seit über 50 Jahren Erfahrung. Solange Temperatur, Wasserversorgung und CO2-Gehalt stimmen, wachsen die Pflanzen gut. Aber klar, gewisse Dinge funktionieren nicht. Das Besprühen von Pflanzen mit Dünger zum Beispiel – in der Schwerelosigkeit fallen Tropfen nicht nach unten.
Fliegt die Erde, in der die Pflanzen wachsen, dann nicht auch herum?
Nein, die Erde im Mini-Gewächshaus auf der ISS ist verpackt und damit abgeschlossen. Aber es liegt auch viel Hoffnung auf rein wasserbasierten Systemen ohne Erde. Gleichzeitig muss der Wasserbedarf reduziert werden, weil Wasser im Weltall noch viel kostbarer ist. Die Pflanzen müssen auch mit Stress umgehen können. Wenn das Licht im Gewächshaus auf der ISS zum Beispiel mal für zwei Tage ausfällt, dürfen sie nicht gleich absterben.
Die Pflanzen werden also mit künstlichem Licht versorgt?
Ja, mit LED-Licht, wie auf der Erde in den Gewächshäusern in den Niederlanden auch. Man kann das Licht so optimieren, dass es letztendlich besser ist als das Sonnenlicht. Sonnenlicht ist eine Mischung aus grünem, blauem und rotem Licht. Pflanzen haben aber ein bevorzugtes Licht, das lässt sich dann anpassen.
Welche Pflanzen kommen im Weltall nicht so gut zurecht?
Baumartige Pflanzen eher nicht, weil sie die Schwerkraft brauchen. Sie wachsen hoch und sind nicht besonders buschig. Kompaktere Pflanzen, die sich in alle Richtungen ausbreiten, eignen sich besser.
Zum Beispiel?
Das fängt an mit Salat, Tomaten, Weizen, Flachs oder Pak Choi. Salat ist eine der am schnellsten wachsenden Pflanzen, deshalb eignet er sich gut.
Mit einem Forschungsteam haben Sie zehn Gerichte für die optimale Ernährung im Weltraum getestet. Sechs mit Fleisch und vier vegane Gerichte. Welches Essen hat gewonnen?
Der Space Salat. Er enthält die optimalen Nahrungsmittel für Astronauten und besteht aus sieben Zutaten: Süßkartoffeln, Mohn, Sonnenblumenkernen, Grünkohl, Gerste, Sojabohnen und Erdnüssen.
Was waren die Anforderungen an diesen Salat?
Wir haben eine Software entwickelt, die mit Bedingungen arbeitet. Das Gericht musste ausreichend Nährstoffe für einen ganzen Tag beinhalten. Gleichzeitig sollte es nicht zu viel wiegen, also eine hohe Nährstoffdichte haben. Die Astronauten sollten durch das Gericht auch kein Gewicht zulegen. Wir haben berechnet, wie groß ein Gewächshaus sein muss, in dem das ganze Essen angebaut wird und wie viel Abfall das Gericht produziert. Diese Faktoren müssen minimal gehalten werden. Der Space Salat hat dann am besten abgeschnitten.
Das klingt nach sehr viel Forschung dafür, dass nur rund 21 Astronaut:innen pro Jahr ins All fliegen. Lohnt sich das überhaupt?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Erforschung des Weltalls hat der Erde schon unglaublich viel gebracht. Wir hätten kein GPS ohne die Weltraumforschung. Niemand würde sagen, dass das unwesentlich ist. Und die Weltraumforschung befreit meine Gedanken von irdischen Fesseln.
Woran denken sie da zum Beispiel?
Ich habe ja schon gesagt, dass Salat sehr schnell wächst. Aber der Weltrekord wird von Duckweed gehalten, das auf Teichen und langsam fließenden Gewässern schwimmt. Mir ist das deutsche Wort entfallen …
Die kleine Wasserlinse meinen Sie, besser bekannt als Entengrütze.
Die wächst schneller als alles andere und ist unglaublich proteinreich. Aber sie sieht nicht schön aus, da müssen wir umdenken. Wenn wir wirklich zum Mars fliegen wollen, spielen Pflanzen übrigens auch da eine besondere Rolle. Es geht nicht nur darum, dass sich die Astronauten durch die frischen Pflanzen besser ernähren, sondern, dass sie von den Pflanzen umgeben sind.
Wie meinen Sie das?
Bisher sind die Astronauten auf der ISS nur etwa 400 Kilometer weit entfernt. Meistens sind sie nur für ein paar Monate im All. Eine Reise zum Mars dauert fast drei Jahre mit Hin- und Rückweg. Es gibt Erfahrungen durch Antarktisexpeditionen, wo die Menschen mehr als ein halbes Jahr isoliert waren und dann nicht mehr richtig funktionierten. Sie arbeiten zum Beispiel nicht mehr gut im Team. Das müssen wir unbedingt vermeiden auf einer Weltraumreise. Pflanzen können sich da positiv auf die Psyche auswirken.
Würden Sie gerne mal ins All fliegen?
Einige Tage wären sicher wunderbar. Aber ich brauche einen gewissen Grundluxus. Ich mache auch keinen Urlaub im Zelt oder auf dem Campingplatz, also für länger lieber nicht.
Korrekturhinweis: In einer vorherigen Version haben wir nach der Schwerelosigkeit auf dem Mond gefragt. Dort herrscht allerdings nur eine verminderte Schwerkraft.
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