Olaf Scholz tourt durch Sachsen: „Man will wissen, wo sie landet“

Der Kanzler erklärt in Dresden sein Nein zu Taurus-Raketen und erntet dafür Applaus. Und überrascht damit, dass er künftig auch TikToks machen will.

Demonstrierende mit Fahnen und Trommeln.

Anhänger der Kleinstpartei „Freie Sachsen“ protestieren vor dem Kraftwerk Mitte in Dresden Foto: Daniel Schäfer/dpa

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier auf dem Spiel steht: Wer steht für die Demokratie ein? Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um ihre Existenz?

DRESDEN taz | Es war klar, dass sie irgendwo auf ihn warten würden: Die Unzufriedenen. Einen Tag lang ist der Bundeskanzler durch Dresden und Umgebung getourt, aber weder in der Erzgebirgsstadt Glashütte noch im Dresdener Stadteil Pieschen vor dem Straßenbahnhof waren Demonstrationen angemeldet. Aber vor dem Kraftwerk Mitte, einer Kulturfabrik in Dresden, wo Olaf Scholz (SPD) am Abend mit Bürgerinnen und Bürgern sprechen will, stehen sie und trommeln: Etwa 80 Demonstrierende mit Bannern in Frakturschrift „Widerstand“, die Ordner mit Westen und der Aufschrift „Die Freien Sachsen“ gut erkennbar als Rechtsextreme.

Mit den Menschen, die vor der Sicherheitsschleuse am Eingang brav in der Schlange stehen und aufs Bürgergespräch warten, haben die Trommler wenig gemein. „Ich schäme mich manchmal für mein Bundesland“, sagt Kerstin Schulze. Die große, dunkel gekleidete Frau deutet mit einem Kopfnicken in Richtung der Trommeln. Man könne froh sein, wenn überhaupt noch Leute nach Sachsen einwandern wollten. Im September wird in Sachsen gewählt, die rechtsextreme AfD führt seit längerer Zeit die Umfragen mit über 30 Prozent an.

Schulze kommt aus der sächsischen Kleinstadt Wittichenau, eigentlich will sie von Scholz wissen, wie man das Deutschlandticket auch für die Menschen im ländlichen Raum attraktiv macht. Sie selbst müsse erst mal 20 Minuten mit dem Auto fahren, bis sie den nächstgelegenen Bahnhof erreiche, ist deshalb auch an diesem Donnerstagabend mit dem Auto gekommen.

Ihr Nachbar in der Schlange will dagegen Scholz zur Außenpolitik befragen: Warum Deutschland nicht mehr dafür tue, damit Russland und die Ukraine endlich verhandeln. Beide müssten sich an einen Tisch setzen, beide endlich mit dem Kämpfen aufhören, meint er.

Waffen für die Ukraine

Dass die Ukraine eine Mitschuld an dem seit zwei Jahren andauernden Krieg trägt, ist eine Ansicht, die in Sachsen weit verbreitet ist. Das merkt man, als Scholz dann im Saal ist: Die 150 Bür­ge­r*in­nen haben sich über die Sächsische Zeitung beworben und wurden zufällig ausgelost, das betont die Moderatorin mehrmals. Hier sei nichts gestellt. Sie bittet die Leute, „wirklich respektvoll miteinander umzugehen.“ Solche Warnungen hat es bei Scholz’ ersten Bürgergesprächen noch nicht gegeben.

Gleich die erste Frage, die ein älterer Herr mit Fliege an den Kanzler richtet, dreht sich um das Thema Ukraine und Waffenlieferungen. Warum Deutschland auf Waffen statt auf Diplomatie setze – „bitter ist das“. Das Scholz die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ablehnt, finde er gut, setzt er nach.

Scholz nimmt erst mal den Zuspruch auf, inszeniert sich als der Besonnene. In den Talkshows versammele sich „ein Generalfeldmarschall“ nach dem nächsten – das sei aber nicht die Politik der Bundesregierung. „Wir werden verhindern, dass es zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato kommt, es wird keine deutschen und keine Nato-Soldaten auf ukrainischem Boden geben“. Dafür erntet er teils kräftigen Applaus.

Seine Ablehnung von Taurus-Marschflugkörpern, für die er aus der FDP und von den Grünen teils heftig kritisiert wurde, begründet Scholz in ungewohnter Klarheit auch damit, dass man der Ukraine eben doch nicht völlig vertraue. Bei einer solchen Waffe, die bis Moskau fliegen könne, „will man genau wissen, wo sie landet. Wir müssten uns also beteiligen und das halte ich für ausgeschlossen.“ Taurus-Marschflugkörper können, einmal abgeworfen, selbständig ihr Ziel erreichen. Dazu müssen sie entsprechend programmiert werden, und da traut Scholz den Ukrainern offenbar nicht hundertprozentig über den Weg.

Waffenstillstand in Nahost

Eine andere Szene sorgt später für Verwirrung. Ein Mann in knallgelbem Hemd, Mitglied der Freien Wähler, übergibt Scholz einen Zettel mit dem Slogan: „Diplomaten statt Granaten“. Er bittet, der Kanzler möge ihn an die Außenministerin weitergeben.

Scholz hätte es dabei belassen können, aber er fühlt sich bemüßigt, dem Mann zu entgegnen: „Diplomaten statt Granaten rufen wir an die Adresse Putins.“ Eigentlich eine ziemlich eindeutige Szene, aber im Netz kursiert später die Behauptung, Scholz habe sich eine prorussissche Forderung zu eigen gemacht. Der Regierungssprecher sieht sich genötigt, das klarzustellen.

Das Thema Außenpolitik kommt auch bei der Frage von Samir Schatta zur Sprache. Schatta kam 2015 aus Damaskus nach Deutschland, mittlerweile schreibt er seine Masterarbeit und arbeitet als Schulsozialarbeiter in Dresden. Warum Deutschland Israel bedingungslos unterstütze und nicht für einen Waffenstillstand in Gaza sorge, will er wissen. „Es ist furchtbar, was die Hamas getan hat, aber nichts rechtfertigt diese Zerstörung jetzt.“

Auch hier wagt sich Scholz etwas mehr aus der Deckung, als man es von ihm gewohnt ist. Man brauche jetzt ziemlich zügig einen längeren Waffenstillstand, sagt er, und: „Wir wollen nicht, dass es zu einer großangelegten Aktion auf Rafah (die Grenzstadt zu Ägypten, Anm. d. Red.) kommt, die humanitäre Katastrophe möchte ich mir nicht ausmalen.“ Das sind ungewohnt klare Worte.

Demokratiefördergesetz versackt

Zufrieden ist Samir Schatta dennoch nicht – zumal Scholz auf seine erste Frage nach der Unterstützung für Vereine, die sich gegen Rassismus engagieren, nur ausweichend geantwortet hat. Schatta ist aktiv beim Verein „Zeugen der Flucht“, gibt Workshops in Schulen, wo Geflüchtete über ihre Fluchterfahrungen sprechen. Der Verein lebt von Spenden, man bemühe sich seit zwei Jahren um staatliche Förderung, sagt er.

Die Bundesregierung hat eigentlich ein Demokratiefördergesetz auf den Weg gebracht, um Initiativen, die sich um politische Bildung kümmern, dauerhaft finanzieren zu können. Doch das Gesetz steckt im Bundestag fest und der Kanzler kann auch nicht mehr sagen, als zu versprechen: „Das Gesetz wird verabschiedet werden.“ Wann, ist unklar.

Das Thema war bereits am Nachmittag aufgekommen, als sich Scholz in einer stehenden Straßenbahn mit dem Verein metro_polis getroffen hatte. „Das Demokratiefördergesetz würde unsere Arbeit enorm erleichtern“, hatte dessen Gründerin Kristina Krömer der taz zuvor gesagt. Sie und ihre Mit­strei­te­r:in­nen verwickeln Fahrgäste in der Tram in Gespräche und versuchen so, einen Austausch über schwierige Themen quer über ideologische Barrieren hinzukriegen.

Der Einstieg erfolge meist über allgemeine Fragen, erläutert Krömer dem Bundeskanzler, der am Donnerstagnachmittag neben ihr in der Tram Platz genommen hat. Also zum Beispiel: „War Ihre Kindheit ein Erfolg, darauf können Sie jetzt antworten“. Scholz erweist sich als eher zäher Gesprächspartner. „Glücklich“, antwortet der Kanzler knapp.

Kritik an Migrationspolitik

Auf die Fragen im Bürgerdialog antwortet Scholz ausführlicher. Eine Frau will wissen, warum nur die AfD via TikTok ihre „kackbraune“ Soße über die Menschen ausbreite, die demokratischen Parteien aber so inaktiv seien. Da outet sich Scholz als künftiger TikTok-Influencer, natürlich in Scholzschem Duktus: „Auch die Bundesregierung diskutiert das und wir müssen da mehr rein.“ Man darf gespannt sein auf den tanzenden Kanzler.

Es geht außerdem um Rente, um Bildung, um die Klimaziele, um Migration. Es kommen die üblichen Anwürfe gegen die Grünen – warum darf ein Schriftsteller Wirtschaftsminister sein, wobei Scholz sich eher pflichtschuldig vor den Minister stellt, ohne Robert Habecks Namen zu nennen. Einige Fragen kommen auch kritisch von links. „Warum rennen Sie dem negativen Migrationsnarrativ der AfD hinterher“, will eine junge Frau vom Kanzler wissen, wohl in Anlehnung an seine Aussage, „Wir müssen in großem Stil abschieben.“

Der Kanzler dankt der Frau für „ihr gutes Herz“, da schwingt ein Hauch von Herablassung mit. Und dann belehrt er sie darüber, dass es gar nicht stimme, dass Geflüchtete nicht arbeiten dürften, das habe die Ampel geändert: „Jetzt darf jeder nach sechs Monaten arbeiten.“ Das stimmt eben so nicht, denn Menschen, deren Asylverfahren endgültig abgelehnt wurden und die abgeschoben werden sollen, dürfen weiterhin nicht arbeiten.

Eher Monolog als Dialog

„Denn es kann ja nicht sein, dass jeder kommt und sagt, ich bin hier und geh nie wieder“, sagt Scholz der jungen Frau. Warum eigentlich nicht, wenn diese Menschen doch nun mal da sind und gern arbeiten wollen, möchte man fragen. Zumal Scholz betont hat, dass unser jetziger Wohlstand nur möglich geworden sei, weil so viele Menschen zugewandert seien.

Aber Nachfragen und Wortgefechte sind wegen der knappen Zeit nicht vorgesehen, und so ist das Gespräch mit den Bür­ge­r*in­nen eher ein Monolog von Scholz vor den Bürger*innen. Kein Wunder, dass Scholz am Ende betont, er sei ganz beseelt. Das Gespräch sei viel interessanter als manches Interview. Klar, wenn einem nicht widersprochen wird. Das Format, so bürgernah es auch inszeniert wird, hat dann doch Schwächen.

Das findet auch Martin Sauer. „Der Kanzler hat ja auf viele Fragen ausführlich geantwortet, aber wenn man mal über den Gehalt nachdenkt, hat er doch wenig gesagt“, sagt der Student. Zur Frage des Fachkräftemangels in Kitas etwa habe Scholz nur sehr allgemeine Aussagen gemacht. Ihre Frage nach dem 49-Euro-Ticket hat Kerstin Schulze dann doch nicht gestellt. Dafür hat sie wie viele andere die Gelegenheit genutzt, noch ein Selfie mit dem Kanzler zu machen.

Der kann sich in dem Glauben wiegen, dass die Menschen in Sachsen ihn und seine Politik doch gar nicht so schlecht finden. Zumal die „Freien Sachsen“ bei seiner Abreise dann auch schon wieder eingepackt haben und weg sind.

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