Brandenburgs Grüne im Wahlkampf: „Gegenwind, weil wir stark sind“

Grünen-Fraktionschefin Petra Budke über die Polarisierung in Brandenburg, die Grünen als Hassobjekt und die Aussicht auf die Wahlen am 22. September.

Petra Budke steht an einem Rednerpult, im Hintergrund ist das grün, gelbe Sonnenblumen-Logo der Grünen zu sehen.

Petra Budke wurde beim Parteitag in Cottbus auf Platz drei der Landesliste gewählt Foto: Soeren Stache/dpa/picture alliance

taz: Frau Budke, Sie haben bereits im vergangenen Juni gesagt, die Stimmung in Brandenburg sei aufgeheizt. Wie würden Sie die Stimmung nach den jüngsten Attacken auf grüne Politiker bezeichnen?

Petra Budke: Die Anfeindungen nehmen zu. Wir haben nach der Entscheidung zum Agrardiesel, obwohl sie ja noch mal deutlich revidiert wurde, gesehen, dass die Demonstrationen auf den Straßen teilweise eskaliert sind und auch ein anderes Bedrohungspotenzial angenommen haben.

In der Uckermark hängen an den Ortsschildern grüne und rote Gummistiefel, die mit einem Kreuz markiert sind. Ist das schon ein Mordaufruf?

Es hat ja auch Galgen gegeben. Da muss die Polizei sehr genau hinschauen. So eine Eskalation darf man nicht hinnehmen. Wenn sie eine gewisse Grenze überschreitet, ist das auch ein Straftatbestand.

Spitzentrio Am Samstag und Sonntag hielten die Brandenburger Grünen ihren Parteitag in Cottbus ab. Dabei wurde auch die Landesliste für die Landtagswahl am 22. September gewählt. Verbrauchschutzstaatssekretärin Antje Töpfer erhielt auf dem ersten Listenplatz 91,13 Prozent der Stimmen. Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke erhielt auf Platz 2 92,86 Prozent der Stimmen. Auf Listenplatz drei wurde Petra Budke mit 89,5 Prozent gewählt.

Wahlkampf Mit einer kämpferischen Rede schwor Co-Landesvorsitzende Hanna Große Holtrup die Mitglieder auf den Wahlkampf ein. „Noch regieren wir, und wir haben nicht vor, damit ab September aufzuhören", rief sie den Delegierten zu. Die Partei peilt bei der Wahl ein zweistelliges Ergebnis an. Letzte Umfragen sahen sie bei 8 Prozent. Bei der Wahl 2019 erreichten sie mit 10,8 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis. Beim Einlass zum Parteitag gab es Sicherheitskontrollen. (dpa)

Die Stiefel in der Uckermark hat niemand abgenommen, auch nicht die Polizei.

Da ist nicht nur die Polizei gefordert, sondern auch die Zivilgesellschaft. Wenn bedrohliche Symbole sichtbar werden, muss man dagegen vorgehen und sie auch entfernen.

Vielleicht haben manche in Dörfern, in denen es eine rechte Hegemonie gibt, schlicht Angst?

Das kann durchaus vorkommen. Aber so nachvollziehbar das auch im Einzelnen sein mag, so besorgniserregend ist es für unsere Gesellschaft. Hoffnung machen mir da all die Menschen, die nach den Correctiv-Enthüllungen auf die Straße gehen und unsere Demokratie verteidigen.

Dennoch verschärft sich vor allem im ländlichen Raum die Lagerbildung.

In der Prignitz gab es Hofläden, die haben gesagt, wir verkaufen nicht mehr an Grüne und Grünenwähler.

geboren 1958 in Bielefeld, lebt in Dallgow-Döberitz im Havelland. Von 2013 bis 2019 war sie Landesvorsitzende der Brandenburger Grünen, seitdem ist sie mit Benjamin Raschke Fraktionsvorsitzende.

Hofläden? Im Ernst?

Hofläden! Umso wichtiger ist es jetzt, auf eine gesellschaftliche Atmosphäre hinwirken, in der Kommunikation und Auseinandersetzung wieder möglich sind. Das gilt für beide Seiten.

Wie schätzen Sie ihre eigene Bedrohungslage ein?

Ich bin da furchtlos. Vielleicht auch deshalb, weil mir persönlich noch nie etwas passiert ist. In meinem Wahlkreisbüro war die Tür bisher immer offen. Jetzt ist sie aber geschlossen, weil uns das die Polizei vor Ort empfohlen hat.

In Brandenburg sind im Juni Kommunal- und im September Landtagswahlen. Was heißt all das für den Wahlkampf? Weniger Straßenwahlkampf?

Die Konsequenz kann nicht sein, dass wir nicht mehr präsent sind. Wir wollen ja Gesprächsangebote machen. Aber natürlich bedeutet das auch, dass wir Sicherheitskonzepte brauchen. Wir müssen auch unsere Leute schützen. Auch Grüne, die in berlinferneren Regionen leben, wo die Situation oft eine ganz andere ist.

Wann hat es eigentlich damit angefangen, dass die Grünen zum Hassobjekt im ländlichen Raum geworden sind? War es Habecks Heizungsgesetz? Oder fing es schon mit Corona an?

Na gut, das ist für uns Grüne keine ganz neue Erfahrung. Auch vor Corona hatten wir, aber auch Mitglieder anderer Parteien bei manchen Veranstaltungen mit einer aufgeheizten Stimmung zu tun.

Vor Corona gab es vielleicht schon verschiedene Lager, aber oft noch einen Gesprächsfaden. Nun dominieren vielerorts eine Schnauze-voll-Stimmung und Konfrontation.

Ja, aber wir sollten trotzdem genau unterscheiden. Nicht alle Landwirte beispielsweise lassen sich vor den Karren spannen. Es ist oft nur ein Teil, der laut ist. Der Bauernverband hat sich von dieser Form der Proteste distanziert. Wir müssen auch deutlich machen, dass die Menschen, wenn sie der AfD hinterherlaufen, das Gegenteil von dem bekommen, was sie wollen. Bei den Bauernprotesten stellen sie sich an die Spitze, in ihrem Programm steht das Gegenteil.

Die Streichung aller Subventionen im Agrarbereich.

Genau.

Trotzdem können sich in Brandenburg gerade mehr Menschen vorstellen, nicht die Grünen zu wählen als die AfD. Was ist denn schiefgelaufen? Vor fünf Jahren schielten die Grünen noch in die Mitte? Haben Sie die Mitte jetzt verloren?

Nein, ganz und gar nicht. Wir als Grüne haben im Gegensatz zu den anderen Ampelparteien nicht gravierend verloren. Wir bleiben in den Umfragen bundesweit relativ stabil. Das zeigt doch eher, dass der Gegenwind gerade so stark ist, weil wir selbst stark bleiben.

Das ist die Kernwählerschaft, die man irgendwann auch erweitern wollte.

Das wollen wir nach wie vor. Und wir sehen auch, dass nach den Demokratieprotesten die Zustimmung für die AfD schwindet und immer mehr Menschen Mitglieder bei den Grünen werden. Das gibt uns viel Zuversicht für die Landtagswahlen im September.

Wird das eine Wahl werden, die besonders von Landesthemen bestimmt wird oder doch eher vom Unmut, den es an vielen Stellen über die Ampelregierung gibt?

Natürlich können wir uns auf der Landesebene nicht ganz vom Bundestrend abkoppeln. Ich hoffe aber doch, dass die Wäh­le­r:in­nen drauf gucken, was hier in Brandenburg los ist. Brandenburg steht deutlich besser da, als es die Stimmung im Lande ist. Da können wir auch unsere Erfolge durchaus stolz herausstellen und gleichzeitig sagen, wo es noch besser werden muss.

Wirtschaftlich hat Brandenburg mehr Dynamik als alle anderen Bundesländer. Trotzdem steht die AfD in Umfragen vorne. Wie erklären Sie sich das?

Zur Wahrheit gehört auch, dass viele wichtige Erfolge in dieser Wahlperiode natürlich etwas Zeit brauchen, bis sie vor Ort wirken. Und natürlich frage ich mich, wie wir unsere Kommunikation verbessern können. Wir haben nicht nur ein gutes Wirtschaftswachstum, auch bei der Arbeitslosenquote steht das Land gut da. Es lebt sich auch gut in Brandenburg. Wir konnten alle Krankenhausstandorte halten. Auch im Schienenverkehr gibt es mehr Verbesserungen als in anderen Bundesländern.

Ministerpräsident Dietmar Woidke scheint sich gerade neu zu erfinden und setzt im Wahlkampf ganz auf den Strukturwandel in der Lausitz. Ist das auch für die Grünen ein Gewinnerthema?

Wir haben uns sehr für den Strukturwandel starkgemacht. Wir wollen den Menschen in der Region eine verlässliche und sichere Perspektive geben, zumal der Kohleausstieg ja früher kommen muss und wahrscheinlich schon aus wirtschaftlichen Erwägungen früher als 2038 kommen wird. Damit verhindern wir Strukturbrüche, wie sie die Menschen in Brandenburg in den Jahren nach der Einheit erlebt haben.

Das alles braucht Zuwanderung. Dabei fragen sich manche, was sie in der Lausitz erwartet, ob sie ihre Kinder dort guten Gewissens in eine Schule geben können. Wie sehr gefährdet die toxische rechte Szene, wie sie der Verfassungsschutz nennt, den Strukturwandel?

Die Gefahr ist auf jeden Fall da, das sagen inzwischen auch Unternehmerverbände oder Handwerkskammern. Wenn sich die Menschen um ihre eigene Sicherheit oder die ihrer Familienangehörigen Sorgen machen, kommen sie nicht in die Lausitz, sondern gehen dorthin, wo sie keine Diskriminierung befürchten. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir auf allen Ebenen dafür arbeiten, dass Brandenburg ein tolerantes und weltoffenes Land bleibt. Gerade als Bildungspolitikerin setze ich mich dafür ein, dass das sehr früh losgeht. Ich kann schon in der Kita vermitteln, dass ich die Meinung anderer respektieren muss.

Ist es auch ein Zeichen für die Lausitz, dass die Grünen ihren Parteitag in Cottbus gemacht haben?

Das ist ein Zeichen für die Lausitz und für uns, dass wir in jeder Region in Brandenburg aktiv sind. Man darf Regionen wie die Lausitz auch nicht immer nur schlechtreden. Es gibt da sehr viele engagierte Leute und in Cottbus eine vielfältige und bunte Stadtgesellschaft.

Was ist Ihr Ziel für die Landtagswahl? CDU-Spitzenkandidat Jan Redmann hat bereits deutlich gemacht, nicht wieder mit den Grünen koalieren zu wollen.

Die CDU hat sich verändert, seitdem Merkel nicht mehr an der Spitze steht. Mit Friedrich Merz als Vorsitzendem bemerken wir, dass die CDU andere Positionen einnimmt als vor fünf Jahren.

Gilt das auch für die Brandenburger CDU?

Auch da gab es vor fünf Jahren eine größere Offenheit, zum Beispiel was das Thema Geflüchtete betrifft. Da sehen wir schon einen eindeutigen Rechtsruck, aber den beobachten wir nicht nur bei der CDU, sondern auch bei der SPD.

Und bei Ihren eigenen Wählerinnen und Wählern: Da wünschen sich 51 Prozent eine restriktivere Asylpolitik.

Natürlich reden wir darüber, wie eine gute Asylpolitik aussehen kann. Vieles von dem, was gerade diskutiert wird, ist aber Symbolpolitik. Es gibt ein Grundrecht auf Asyl. Bei den Menschen, die zu uns kommen, wollen wir, dass sie möglichst schnell integriert werden und auch schnell in Arbeit kommen. Wir brauchen Arbeitskräfte und Fachkräfte.

Würden Sie das auch so sagen, wenn es mehr grüne Bürgermeister in Brandenburg gäbe? Gerade in den Kommunen sind die Probleme vor Ort ja deutlich spürbar.

Deswegen würde uns ja gerade mehr dezentrale Unterbringung helfen. Stattdessen haben wir sehr, sehr große Einrichtungen für sehr, sehr viele Menschen.

Wenn man sich bei SPD und CDU umhört, hört man immer wieder, die Gestandenen bei den Grünen, die Minister Vogel und Nonnemacher und auch die Petra Budke wissen, wie wichtig es ist, Kompromisse zu machen. Mit den Jüngeren dagegen würden die Grünen wieder ideologischer und weniger pragmatisch werden.

Wir haben am Wochenende unsere Liste aufgestellt, und ich glaube, das ist eine sehr gute Mischung aus erfahrenen und aus neuen Leuten. Und, na klar, Kompromisse sind das Herz einer Demokratie. Aber auch ich, das sage ich Ihnen, kämpfe hart für gute Kompromisse, die keine Scheinlösungen sind.

Sie selbst sind auch nochmal angetreten.

Ich bin auf Platz drei angetreten, Benjamin Raschke auf Platz zwei. Und mit Antje Töpfer auf Platz eins haben wir als Staatssekretärin auch eine sehr erfahrene Frau, die an guten Lösungen interessiert ist. Genau diese guten Lösungen brauchen wir für das Land.

Was, wenn es nach dem 22. September nicht reicht für eine Neuauflage der Koalition mit SPD und CDU?

Dann bräuchten wir möglicherweise einen vierten Partner.

Das wäre die Linke. Da gibt es allerdings einen Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU.

Da würde ich mir mehr Offenheit bei der CDU wünschen. Wichtig ist doch, dass Brandenburg weiter von einem demokratischen Bündnis regiert wird.

Sind sie persönlich für ein Verbot der AfD?

Ich bin dafür, ein AfD-Verbot sehr sorgfältig zu prüfen. Wenn man so ein Verbotsverfahren anstrengt, muss es auch gelingen. Gleichzeitig sehe ich aber die Notwendigkeit, dass wir jetzt sehr deutlich machen, wofür die AfD steht und wohin es führen würde, wenn die AfD hier mitregieren würde. Ein Verbotsverfahren würde sehr lange dauern und würde aktuell gar nicht helfen. Wir müssen denen, die noch erreichbar sind, zu sagen, was es heißt, AfD zu wählen. Da helfen konkrete Beispiele.

Im Thüringen-Monitor war davon die Rede, dass 20 der 30 Prozent der potentiellen AfD-Wähler ein rechtsextremes Weltbild hätten und zehn Prozent Protestwähler sind. Wie ist das in Brandenburg?

Das wissen wir nicht. Aber bei denen, die ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild haben, gibt es kaum Chancen, die für die Demokratie zurückzuholen. Mit den anderen muss man natürlich reden – und durch gute Politik überzeugen.

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