Die Wahrheit: Musik für Flugzeuge

Musikalische Belästigung auf Linienflügen von oder nach Dublin: Dahinter müssen nicht immer Bono und The Edge stecken.

Manchmal braucht man Geduld, wenn man reist. Beim Flug von Berlin nach Dublin ging neulich zunächst alles glatt. Die Maschine bewegte sich in Richtung Startbahn, vor uns standen drei Flugzeuge in der Schlange. Als wir schließlich an der Reihe waren, gab der Pilot bekannt, dass es einen technischen Defekt gebe und man zurück an die Rampe müsse.

Der Passagier auf dem Mittelsitz neben mir fing an zu beten: „Herr, bitte lass nicht schon wieder irische Musiker an Bord sein.“ Er erklärte, dass er ein Déjà-vu durchleide. Vorigen November wollte er von Frankfurt nach Dublin fliegen. Auch damals musste das Flugzeug an der Rampe ausharren, bis das Wetter einen Start erlaubte. Er hatte sich gerade in die Zeitung vertieft, als das Unfassbare geschah, sagte er.

Sechs Musiker von Comhaltas Ceoltóirí Éireann, der Organisation, die sich der Förderung von Musik, Gesang und Tanz Irlands widmet, holten ihre Fiedeln, Flöten und Akkordeons aus dem Handgepäck und begannen, ohrenbetäubende Musik zu machen. Die Gruppe aus der Grafschaft Cavan hatte in Würzburg an einem Programm zu Ehren von St. Kilian teilgenommen. Der stammte ebenfalls aus Cavan und hatte im 7. Jahrhundert das Christentum nach Franken gebracht.

„Aber auch Kilian hatte kein Einsehen“, sagte mein Sitznachbar. „Es war zum Fremdschämen.“ Die deutschen Passagiere waren jedoch begeistert. Dann hörte er, wie eine Mutter in der Reihe hinter ihm dem etwa zehnjährigen Sohn erklärte: Der Ire an sich würde in jeder Lebenslage fröhlich musizieren. „Ich wollte mich umdrehen und ein paar Dinge klarstellen“, sagte der entnervte Ire, „aber dann hätte man mich für einen Miesepeter gehalten.“

Bitte kein Akkordeon

Das Bordpersonal spielte bei dem schaurigen Treiben mit. „Aber hätten sie das auch getan“, fragte er, „wenn es sich um eine Death-Metal-Band gehandelt hätte? Warum glauben die Leute, dass traditionelle irische Musik auf allgemeines Wohlgefallen stoße?“ Tom Waits hat einen Gentleman einmal als jemanden definiert, der Akkordeon spielen könne, es aber nicht tue. Ich gab ihm aus leidvoller Erfahrung recht: Mein Vater liebte Akkordeonmusik, aber weil er unmusikalisch war, musste ich als Steppke drei Jahre lang Unterricht nehmen und das schwere Instrument mit 96 Bässen einmal in der Woche in den vierten Stock der Musikschule schleppen.

An Bord des fatalen Flugs waren auch ein paar irische Blogger und Journalisten, die über den von Red Bull ausgerichteten Tanzwettbewerb „Dance Your Style“ in Frankfurt berichtet hatten. Sie stellten Videos von dem Flugzeug-Spektakel umgehend ins Netz. Jemand kommentierte: „In einem engen Raum gefangen zu sein und mit lauter Musik beschallt zu werden, ist etwas, das man mit Terroristen macht und nicht mit Leuten, die für einen Flug bezahlt haben.“

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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