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GesellschaftAufstehen und stehen bleiben

Ohne sie gäbe es keine Demos gegen rechts: Menschen, die beim Ordnungsamt die Proteste anmelden. Wer die Köpfe hinter den Aktionen in Baden-Württemberg sind und warum „zu links“ mancherorts unerwünscht ist.

Etwa 7.000 Menschen demonstrierten am vergangenen Sonntag in Esslingen gegen rechts. Foto: Simon Schaller / Agentur Blumberg

Von Franziska Mayr und Minh Schredle

Beeindruckend sind die Bilder aus der ganzen Republik: Hunderttausende waren in den vergangenen Wochen auf den Straßen, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Neben den großen Metropolen bewegt sich auch viel in den kleineren Städten und Gemeinden. Allein in Baden-Württemberg gab es am vergangenen Wochenende dutzende Aktionen, vom Pulse of Europe in Stuttgart, bis Isny im Allgäu. Viele, die schon lange aktiv sind, damit Rassismus und Menschenhass nicht unwidersprochen bleiben, freuen sich über neue Gesichter: etwa weil nun auch Turnvereine oder Theatergruppen die Kundgebungen unterstützen und aufrufen, sich einzubringen.

In Biberach zum Beispiel habe es schon in der Vergangenheit Demos gegen rechts gegeben, erzählt Walter Scharch vom Stadtjugendring. „Da kamen dann vielleicht so 500 Menschen, wenn es gut lief.“ Jetzt freut er sich: „Die, die damals dabei waren, sind jetzt wieder gekommen, und noch viele mehr frisch dazu.“ Angemeldet hatte er 600 Teilnehmende, es wurden um die 3.000 – bei knapp 35.000 Einwohner:innen. Scharch selbst war schon auf vielen Kundgebungen unterwegs. Doch die am vergangenen Wochenende war die erste, die er selbst initiiert hat, zusammen mit Simon Özkeles vom SPD-Kreisverband.

Erwünscht waren alle, die sich zu Demokratie und Menschenrechten bekennen, sagt Scharch. Neben Zivilgesellschaft, Kultur und Kirche waren Parteien von CDU bis zur Linken vertreten. „Diese Breite ist ein Novum für Biberach“, meint er – und sehr wichtig, denn Zersplitterung sei aktuell das letzte, was sich Engagierte angesichts des Rechtsrucks leisten dürften.

Doch nicht überall ist der Schulterschluss so groß wie in Biberach. In Lahr etwa hat sich die CDU-Fraktion von einer geplanten Demo gegen Rechtsextremismus distanziert, weil sie nichts von Mitläufertum halte. Anderorts gibt es Bedenken, dass manche Bündnispartner vielleicht zu links sein könnten. Insgesamt aber ist das Spektrum bemerkenswert, aus dem heraus aktuell Aktionen angestoßen werden: vom Agentur-Unternehmer in Esslingen bis zur Organisierten Autonomie Stuttgart/Nürnberg.

Politiker:innen hinter dem Protest

Auch in Parteien tut sich einiges. Wenn Ina Schultz, Referentin der grünen Landtagsabgeordneten Andrea Bogner-Unden, vom Protest spricht, sprudelt sie vor Emotion. „Ich träume nachts gerade davon, weil alles so überwältigend ist“, sagt die Betriebswirtin und Rechtsökonomin. Sie hat eine Demonstration in Sigmaringen angemeldet. Für sie war klar: „Es geht einfach nicht, dass immer wieder Gruppen furchtbar laut schreien und sagen, sie seien die Mitte der Gesellschaft, die sie gar nicht sind.“ Stattdessen müsse die Politik die wahre Mitte mehr mitnehmen, also „diejenigen, die sich das Ganze sonst noch vom Sofa aus angeguckt haben, sich jetzt aber dem Radikalen entgegenstellen“. Das will Schultz versuchen, vorausgesetzt sie wird bei den kommenden Kommunalwahlen in den Gemeinderat gewählt. Und sie will „den Menschen ins Gewissen sprechen“ sagt die 45-Jährige. „Jeder muss auch vor der eigenen Haustür kehren.“

Seine politische Funktion als Gemeinderat möchte auch Roland Hirsch weiterhin nutzen, um „mit einer guten Öffentlichkeitsarbeit darauf hinzuweisen, wie rückwärtsgewandt die Programmatik der AfD ist“, sagt der SPDler. Er hat die Demo in Lahr angemeldet. Mit Ausnahme der CDU wird die Aktion am 3. Februar von „allen fünf Lahrer Gemeinderatsfraktionen der Mitte“ (gemeint sind Freie Wähler, Grüne, SPD, FDP und die Fraktion Linke Liste Lahr & Tierschutzpartei) unterstützt. Dass die Union nicht mitmachen will, bedauert Hirsch sehr – und er kann es sich auch nicht wirklich erklären: „Als aufrechter Demokrat gibt‘s gar nichts anderes, als dagegen zu demonstrieren.“ Nämlich gegen die Rechten, „die versuchen das Wort Remigration, was ja nichts anderes als Ausbürgerung und Vertreibung bedeutet, hoffähig zu machen“. Vor über 30 Jahren hat er bereits eine Demonstration gegen Rassismus und Flüchtlingsfeindlichkeit angemeldet, 2017 eine gegen die Pläne der NPD, in der Lahrer Innenstadt einen Stand aufzustellen. Doch er weiß: „Es ist ja nicht damit getan, nur aufzustehen, man muss auch stehen bleiben.“

In Leonberg waren die Fraktionen hingegen einfacher für die Demo-Unterstützung zu gewinnen. Angemeldet hat den Protestzug samt Kundgebung Angie Weber-Streibl, Grünen-Kreisrätin und Gesundheitspädagogin, als Einzelperson, weil sie nicht wollte, „dass es eine Grünen-Veranstaltung wird“, sagt sie. Unterstützt haben sie alle großen Parteien aus dem Leonberger Stadtrat ebenso wie Geflüchtetenorganisationen, KZ-Gedenkstätten-Initiativen und andere zivilgesellschaftliche Vereinigungen. Nicht erwünscht auf ihrem Protestzug war die Antifa. Auch ihre Kolleg:innen aus Lahr und Sigmaringen wünschten sich „weder Rechts- noch Linksradikale“ vor Ort, wie Schultz aus Sigmaringen sagt. Alle verweisen auf eine Gewaltbereitschaft der Antifa.

Ina Schultz, Grünen-Referentin, in Sigmaringen. Foto: Waldemar Fotler

Esslingen will Anschluss für alle

Auffällig bei den Demonstrationen, die von Politiker:innen angestoßen wurden, ist, dass sie zwar überparteilich sind – aber dass in der Regel viele Partei-Leute zu Wort kamen. In Esslingen sollte das verhindert werden, und auch, dass es „ein sehr langwieriges und anstrengendes Programm wird“, sagt Manuel Uez, der dortige Veranstaltungsleiter. Also durfte vor den 7.000 Demonstrierenden am Sonntag Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD) als einziger Politikvertreter sprechen, die anderen Beiträge kamen aus der Kultur, von der Jugend und den Gewerkschaften. Anmelder Uez ist Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Blumberg, engagiert sich nebenher bei der Klimabewegung und ist Mitglied bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG).

Der 45-Jährige hat sich nach der Demo in Berlin am 14. Januar geärgert, dass in Stuttgart zu diesem Zeitpunkt noch nichts offenkundig geplant war. Aus der Überzeugung, man müsse jetzt sofort gegen rechts demonstrieren, habe er in Esslingen „einfach mal die Anmeldung gemacht, damit sich etwas bewegt“. Er wollte als Anmelder jedoch nie im Vordergrund stehen, stattdessen sollte von Anfang an ein breites Bündnis daraus entstehen, das gemeinschaftlich auftritt mit dem Ziel, „die zu erreichen, die bisher mit Demos und Protesten gar nichts am Hut hatten. Das Esslinger Demo-Bündnis aus über 140 unterstützenden Gruppen will auch weiterhin Aktionen organisieren, sagt Uez. Denn er ist sich sicher, dass bei dieser breiten Bewegung viele Menschen auch zukünftig dabeibleiben können, „mehr als bei ‚klassischen‘ Demos, die häufiger nur von linken Gruppierungen getragen werden oder Menschen mobilisieren, die sich ohnehin immer schon offen gegen Rechtsextreme positioniert haben“.

Walter Scharch vom Stadtjugendring Biberach. Foto: Katrin Mentz

Antifaschismus unerwünscht?

Einer, der ebenfalls an langfristigen Bündnisstrukturen arbeitet, ist der Autor und Kontext-Kolumnist Joe Bauer, der in Stuttgart gemeinsam mit Gleichgesinnten ein „Netzwerk gegen Rechts“ aufbaut. Schon am 20. Januar hat er auf dem Schlossplatz eine Rede gehalten, vor etwa 30.000 Teilnehmenden. Vergangenen Sonntag war das Publikum bedeutend kleiner: Zum Holocaust-Gedenken haben sich knapp 150 Menschen an der Gedenkstätte am Stuttgarter Nordbahnhof versammelt. Mehr als 2.600 Jüd:innen sind von hier aus in nationalsozialistische Vernichtungslager deportiert worden.

Die Namen der von Nazis Deportierten stehen auf der Mauer der Gedenkstätte. Foto: Jens Volle

Zur Gedenkstätte wurde der Ort erst 2006 und gegen einigen Widerstand aus der Kommunalpolitik, die am Sonntag mit keinem einzigen bekannten Gesicht vertreten war. Bauer hob in seiner Rede hervor, dass gerade das Alltägliche dieser Kulisse etwas in ihm auslöse: Beim Blick auf die Schienen sei es, als würde man das Rollen der Räder hören. „Hier, vor unserer Haustür, ist das Grauen des Vergangenen spürbar gegenwärtig. Die Verbrechen der Nazis werden hier sichtbar als Teil unserer Umgebung, in der wir leben.“ Angesichts der faschistischen Bedrohung appellierte er „Scheuklappen abzulegen, im Zweifelsfall auch mal politische Kompromisse zu schließen und Brücken über Ideologien hinweg zu bauen – mit dem Ziel, das Schlimmste zu verhindern“.

Begrüßt wurden die Menschen, die am Gedenken teilnahmen, als „liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten“, aufgerufen hatte die Organisierte Autonomie. Auch ein Redner von „Stuttgart gegen Rechts“ kam zu Wort – also von der Gruppe, die unabhängig von der Konjunktur seit Jahren dort für Aktionen sorgt, wo ansonsten dröhnende Stille herrschen würde: Kundgebungen etwa nach dem rechtsextremen Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke oder nach dem Terror in Hanau, bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund ihr Leben verloren. Dass ausgerechnet diejenigen, die mit beharrlicher Arbeit Leerstellen füllen, auf manch einer großen Demo, die breite Bündnisse beschwört, wegen eines Bekenntnisses zum Antifaschismus unerwünscht sind, mutet merkwürdig an.

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