piwik no script img

Die den Mut in sich gefunden haben

Im Willy-Brandt-Haus erinnern Porträts an die letzten „Gerechten unter den Völkern“, die Juden in der NS-Zeit versteckt haben

Von Katja Kollmann

Tadeusz Stankiewicz hat Majer Gelb, Szloma Jan Szmulewicz, Helena und Sabina Wolfram während der deutschen Besatzung in Polen das Leben gerettet. Fotos zeigen Stankiewicz heute: seine Hände sind in Bewegung, er ist im Gespräch, wache Augen kontaktieren sein Gegenüber. Stankiewicz war zwölf, als er den 20-jährigen Szmulewicz im Jahr 1942 im Wald fand. Nach seiner Flucht aus einem Arbeitslager war dieser bewusstlos. Zusammen mit seiner älteren Schwester schleppte Stankiewicz den Verletzten nach Hause, wo er von den Eltern gesundgepflegt und bis zur Befreiung versteckt wurde. Szmulewicz starb 2007. Bis zu seinem Tod blieben beide in Kontakt, denn im Versteck war eine Freundschaft fürs Leben entstanden.

Vor Kurzem haben zwei FotografInnen Tadeusz Stankiewicz zu Hause besucht. Lydia Bergida und Marco Limberg waren in Polen unterwegs, um die letzten noch lebenden „Gerechten unter den Völkern“ zu treffen. Rund 28.200 Menschen wurde bis jetzt in der israelischen Holocaust Gedenkstätte Yad Va­shem diese Auszeichnung zugesprochen, weil sie während der Shoah Juden und Jüdinnen das Leben gerettet haben. Sie waren in Deutschland und in fast allen deutsch besetzten beziehungsweise mit dem NS-Staat kollaborierenden Ländern in der absoluten Minderheit. Ausnahmen sind Dänemark und Albanien. Die meisten „Gerechten unter den Völkern“ gibt es in Polen.

Man schätzt, dass von einer Million jüdischen Kindern, die bei Kriegsanfang in Polen lebten, circa 30.000 bis 40.000 den Holocaust überlebt haben. Die meisten, weil sie in die Sowjetunion geflohen waren. Die anderen versteckt in Klöstern, bei polnischen Familien, aber auch in Erdlöchern. Zur selben Zeit schwor die Untergrundzeitung der Nationalen Partei Der Kampf ihre Leser ein auf „ein nach dem Krieg endlich judenfreies Polen“. Schon längst hat man mit dem Wort „pożydowskie“ (Deutsch: was nach den Juden zurückgeblieben ist) gearbeitet. Überall verrieten polnische Szmalcowniki die Verstecke von Juden und Jüdinnen an die deutschen Besatzer.

In der Nähe des Forsthauses der Familie Stankiewicz haben sich 1942 circa 200 Menschen vor der Deportation in ein Vernichtungslager versteckt. Die Familie unterstützte sie bei der Nahrungsmittelbeschaffung und half beim Bau von Verstecken. Tadeusz und seine Schwester hatten in diesem Zusammenhang wichtige Aufgaben übernommen, so mussten sie unter anderem sicherstellen, dass niemand die Boten verfolgte, die aus den Waldverstecken geschickt wurden. Trotzdem wurden die Untergetauchten denunziert und nur sechs von ihnen haben den Holocaust überlebt. Tadeusz Stankiewicz sagt an seinem Wohnzimmertisch: „Niemand hat Ansprüche gestellt, weil er Juden gerettet hat. Die Leute dachten, dass es ganz normal war. Die mitfühlenden Menschen, die einen Funken Mut in sich gefunden haben, haben geholfen.“

Die Ausstellung „Auf derselben Seite“ porträtiert 17 dieser außergewöhnlichen Menschen. Im Willy-Brandt-Haus hat man Wandtafeln mit kleinen Fotogalerien aufgebaut.

Eine Widmung. So blickt man in aufmerksame Augen und sieht daneben eine Nahaufnahme der ineinander verschränkten Hände. Oder ein altes schwarzes Klavier, das wie durch ein Wunder die Ausbombung in Warschau überlebte. Und darunter die Hälfte eines Hauses, in dem jüdische Menschen versteckt wurden.

Genowefa Wiśnicka trägt zur Feier des Tages goldene Kreolen im Ohr. Nachdenklich schaut sie in die Kamera. Kleine Faltenlandschaften durchziehen das Gesicht der 94-Jährigen. Zuzia gibt der Uroma einen Kuss. Die hat vor 80 Jahren Pnina Muipa Haimi und Jacob Muipan das Leben gerettet.

Willy-Brandt-Haus, Di.–So. 12–18 Uhr, bis 7. 4. Zum Einlass Personalausweis erforderlich

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen