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berliner szenenEin fast perfektes Alibi

Das Publikum ist überwiegend weiblich – wie meistens bei Buchvorstellungen. Einige Frauen haben ihren Partner mitgeschleppt, so wirken jedenfalls deren gequälte Mienen. Sie werden die Ersten sein, die mal kurz die Augen schließen, wenn sich die Körperwärme im Raum ausbreitet, und manche stecken ihre Frauen an. Wie halten Autorinnen das aus, wenn sie in schlummernde Gesichter gucken?

Aber erst mal fällt ein einzelner Mann auf. Er hat sich in eine der leeren hinteren Reihen gesetzt und guckt sich immer wieder suchend um. Angespannt sieht er aus, als sei er zum ersten Mal bei einer Lesung. Auf den letzten Drücker kommt eine Frau angehetzt. Mit großer Geste wirft sie Mantel und Tasche ab und plumpst neben den wartenden Mann. Sofort entspannen sich seine Züge – er guckt sie verliebt an.

Vorne wird die Schriftstellerin begrüßt und auch die prominente Schauspielerin, die Passagen aus dem neuen Roman lesen wird. Davon bekommen die beiden in der hinteren Reihe nichts mit. Sie können ihre Blicke nicht voneinander lösen, aus ihren zarten Küssen wird ein lang anhaltendes Knutschen. Als die Frau die Hand des Begehrten unter ihren Pullover schiebt, sucht sich ein in der Nähe sitzender Zuhörer einen anderen Platz. Das erotische Spiel lenkt ab vom vorne besprochenen Mutter-Tochter-Drama. Ein Kameramann, der bisher nur die Autorin auf der Bühne gefilmt hat, kommt plötzlich nach hinten. Ruckartig entfernen die beiden verliebten Körper sich voneinander, ein 30-Zentimeter-Lineal könnte zwischen sie passen. Die Turtelei wirkt jetzt wie etwas Verbotenes, wie ein riskanter Seitensprung. Hier im Saal, unter fremden Literaturfreunden, droht keine Gefahr für die beiden. Gefilmt und womöglich in die Welt gepostet, könnte sich dramatische Explosivkraft entwickeln.

Claudia Ingenhoven

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