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Dem Abstieg entgegen schunkeln

Der FSV Mainz verliert zu Hause gegen Werder Bremen mit 0:1. Weder besseres Spiel noch das spezielle Karnevalskostüm haben geholfen. Am Rhein gehen nun die Sorgen um. Und Werder freut sich auf ein von Erfolgen begleitetes Klub-Jubiläum

Aus Mainz Frank Hellmann

Einmal im Jahr macht der FSV Mainz 05 seinem Ruf als Karnevalsverein alle Ehre, wenn der sogenannte Fastnachtsspieltag zelebriert wird. Ein beträchtlicher Teil des Publikums kommt kostümiert in die Arena, in der vor Anpfiff noch mehr Stimmungslieder erklingen, Büttenredner auftreten und die Spieler in einem vierfarbigen Sondertrikot auflaufen. Dumm nur, wenn es ausgerechnet an einem solchen Feiertag einen Stimmungsdämpfer setzt. Nach einem höchst überflüssigen 0:1 gegen Werder Bremen wächst die Gefahr, dass gewöhnlich frohgelaunte Nullfünfer am Saisonende nach ununterbrochen 15 Bundesligajahren absteigen müssen.

Zu viel läuft gerade schief bei den Rheinhessen, die so vergeblich am Turn­around werkeln wie ein beim Wasserrohrbruch gerufener Klempner, der sein Werkzeug vergessen hat. Auf dem Platz sieht das so aus, dass sich diese Mannschaft zwar mit Händen und Füßen wehrt, aber anders als vor drei Jahren bei einer sagenhaften Aufholjagd unter Bo Svensson fehlt ein richtiger Plan. Vor allem mangelt es an Torgefahr. „Viel Leidenschaft, viel Bemühungen. Aber zu wenig, um zu siegen, zu hektisch und zu ungenau. Heute sollte ein Startschuss sein im Kampf um den Klassenerhalt, der ging daneben“, seufzte Sportdirektor Martin Schmidt.

Trainer Jan Siewert fasste sich kurz: „Die extreme Wut im Bauch werde ich in Mut umwandeln.“ Die nächste Chance komme schließlich „sehr schnell“: Das Nachholspiel gegen Union Berlin am Mittwoch (18.30 Uhr) entscheidet darüber, ob sich der Kater in diesem Klub verschlimmert. Gegen die Eisernen steht extrem viel auf dem Spiel.

Ich habe jetzt am eigenen Leib erfahren, dass es in dieser Saison mehr Glück braucht“

Nadiem Amiri, Spieler des FSV Mainz 05

Die Verantwortlichen verschließen nicht die Augen davor, dass sich die Negativspirale gefährlich weiterdreht. Auf die Frage, ob es um etwas anderes als Rang 16 gehen können, antwortete Schmidt: „Im Moment nicht, nein.“ Der Dreikampf mit dem 1. FC Köln und Darmstadt 98 „wird noch lange so sein“. Auch Siewert bestätigte, dass die direkte Rettung nicht mehr das Ziel ist: „Wir müssen der Realität ins Auge sehen.“

Vorstand Christian Heidel, der in einer ähnlichen Notlage zu Weihnachten 2020 zurückgekehrt war, dürfte über den neuerlichen Rückschlag einigermaßen geschockt gewesen sein. Der Mainzer hat über ein Vierteljahrhundert das richtige Gespür für personelle und strategische Entscheidungen bewiesen. Unter der Woche hatte er gemeinsam mit 800 Fans an den Schulterschluss appelliert. „Mainz ist eine besondere Stadt. Werder Bremen muss gegen eine ganze Stadt spielen“, rief er. Doch Taten folgte dem nicht.

Nichts illustrierte die triste Gegenwart besser als das kuriose Gegentor nach nicht einmal zwei Minuten. Da hatte der Mainzer Anthony Caci seinen Mitspieler Tom Krauß im eigenen Strafraum übereifrig angeschossen und Bremens Nationalstürmer Marvin Ducksch netzte gekonnt aus der Drehung ein. Der Werder-Fan Arnd Zeigler hat dafür in seiner Fernsehsendung „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ einmal die Rubrik „Kacktor“ erfunden – dieses Wort bemühte auch der Mainzer Neuzugang Nadiem Amiri für den Nackenschlag, dem das Team bis zum Ende trotz 23:6 Torschüssen, 11:1 Ecken oder 60 Prozent Ballbesitz vergeblich hinterherlief.

„Wir waren klar die bessere Mannschaft. Ich habe jetzt am eigenen Leib erfahren, dass es in dieser Saison mehr Glück braucht“, meinte die Leihgabe aus Leverkusen. Der Mittelfeldspieler gefiel auf Anhieb als spielstarker Antreiber, dem das grundsätzliche Hemmnis im neuen Umfeld nicht verborgen blieb: „Ich denke, ich konnte der Mannschaft etwas mitgeben. Man merkt, dass viele Spieler die eine oder andere Blockade haben.“ Mit Amiri stand auch der aus Frankfurt geholte Jessic Ngankam sofort in der Startelf, der weitgehend unauffällig blieb und wie seine Sturmkollegen Ludovic Ajorque oder Karim Onisiwo eine Ausgleichschance versiebte. Verdient wäre ein Punktgewinn gegen merkwürdig passive Gäste übrigens allemal gewesen.

Die Hanseaten wunderten sich selbst, dass ihnen die schlechteste Leistung des Jahres zum dritten Sieg in Folge genügte. Zwei unüberwindbare Innenverteidiger (Anthony Jung, Marco Friedl) und ein überzeugender Torhüter (Michael Zetterer) genügten als Garanten eines „dreckigen Sieges“ (Ducksch), den Trainer Ole Werner gerne mitnahm: „Wir haben nicht unseren besten Fußball gespielt, sind aber als Gruppe in der Organisation und Kommunikation stabil geblieben.“ Und weil „eine Menge Glück“ (Werner) dazukam, jubelte der Werder-Anhang ausgelassen, der anfangs ein riesiges Banner zum 125-jährigen Vereinsjubiläum spannte. Gründungsdatum des aktuell bestplatzierten Nordvereins ist der 4. Februar 1899, zelebriert wird das Ganze erst mit dem Heimspiel gegen den 1. FC Heidenheim und einer Party in der Alten Werft am kommenden Samstag. Gelingt im Weserstadion gar der vierte Dreier hintereinander, dürfte die Stimmung in Bremen mindestens genauso gut sein wie in jeder Karnevalshochburg.

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